Eines der Schmuckstücke aus dem Vacheron-Constantin- Museum: Das Unikat "Kallista" (1979) ist mit 118 Diamanten im Baguetteschliff (130 ct.) besetzt.

Foto: Vacheron Constantin

Taschenuhr von Vacheron Constantin (1923). Die Emaille-Arbeit ist eine Reproduktion des Gemäldes "Les Bergers d'Arcadie" von Nicolas Poussin.

Foto: Vacheron Constantin

Unikat mit Reliefgravur der chinesischen Tierkreissymbole aus dem Atelier Cabinotiers von Vacheron Constantin.

Foto: Vacheron Constantin

Wer denkt, Handwerk wäre grundsätzlich etwas Grobes, Kraftvolles und Schweißtreibendes, sollte ein Atelier der Haute Horlogerie besuchen. Wenn man jenen Handwerkern bei der Arbeit zusieht, die Uhren bauen und auf mannigfaltige Weise veredeln, hört man unweigerlich auf zu atmen - in der Annahme, das leiseste Geräusch könnte stören. Die Rede ist nicht nur vom Meisteruhrmacher, der Federhäuser zusammensetzt, Tourbillons montiert und mit Schrauben hantiert, die überhaupt nur mit Mühe als solche zu erkennen sind. Es gibt unzählige Handwerksberufe in der Uhrenproduktion - vom Werkzeugmacher bis zum Polisseur. Sie alle tragen ihren Teil dazu bei, dass Armbanduhren zuverlässig laufen und hübsch aussehen.

Fünf von ihnen sind jedoch echte Künstler: Der Uhrmacher - vor allem jener, der Werke nicht nur zusammenbaut, sondern auch neue Werke zu entwickeln vermag. Der Steinesetzer, der seine Kunst der vorgegebenen Uhrenfasson, dem Tragekomfort und der gebotenen Widerstandsfähigkeit der Uhr unterordnet und daher innerhalb der Goldschmiedezunft als bewundernswerter "Diplomat" gilt. Der Graveur, der jedes erdenkliche Motiv auf kleinstem Raum zustande bringt. Der Guillocheur, der im Mikromillimeterbereich mit unglaublicher Regelmäßigkeit Kurven, Kreise oder Wellenmuster in einzelne Werkteile, Gehäuse oder Zifferblätter ritzt. Ein einziges Zittern, eine unbedachte Bewegung, und der Teil, an dem er womöglich seit Tagen arbeitet, ist nicht mehr zu gebrauchen.

Und schließlich der Emailleur, der einem Miniaturmaler gleich mit einem Hauch von Pinsel mühselig eine Farbschicht nach der anderen aufträgt, um erst nach dutzenden Brennvorgängen feststellen zu können, ob sein Werk auch gelungen ist. Stimmt die Temperatur im Brennofen nur ein Mal nicht, ist alles zunichte.

Es gibt nur noch wenige Uhrenbetriebe, welche all diese Berufe unter dem eigenen Dach vereinen. Nicht nur Werke werden in der Uhrenindustrie zugekauft, sondern auch Arbeiten wie Guilloché oder gar Emaillierungen. Zum einen muss sich ein so hoch qualifizierter Angestellter wirtschaftlich rechnen, zum anderen gibt es in diesen speziellen Bereichen immer weniger fähige Kunsthandwerker. Die Meister ihres Faches sind oft in eigenen Ateliers für verschiedene Uhrenmarken tätig. Ein paar wenige Luxusmanufakturen erhalten diese Disziplinen am Leben, indem sie die nächsten Generationen von Kunsthandwerkern zum Teil sogar selbst ausbilden. So werden nicht nur traditionelle Techniken, sondern auch markenspezifische Standards weitergegeben.

Ausstellung in Singapur

Die Gelegenheit, alle fünf Kunsthandwerke live zu erleben, bot sich kürzlich im National Museum of Singapore, wo Vacheron Constantin - ihres Zeichens die älteste durchgehend tätige Uhrenmanufaktur (seit 1755) - diesem Thema eine Ausstellung widmete. Sechs Künstler zeigten an ihren Werktischen, was sonst unter Ausschluss der Öffentlichkeit und je nach Typ entweder in absoluter Stille oder mit MP3-Earphones passiert.

Es ist lange her, dass Uhrmachermeister ihre Produkte von A bis Z selbst fertigten. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts begannen die sogenannten Cabinotiers, sich auf bestimmte Fertigkeiten zu spezialisieren. Um das Jahr 1800 arbeiteten in Genfer Mansarden fast 5000 Uhrmacher, Gehäusemacher, Graveure, Guillocheure, Ziselierer, Einschaler, Vergolder, Emailleure u. v. m., wobei die Stadt damals nur 26.000 Einwohner zählte.

Durch keine Maschine ersetzbar

Natürlich haben sich seither die Arbeitsbedingungen verändert, und der Mensch hat wie in allen industriellen Bereichen zahlreiche technische Hilfsmittel ersonnen. Trotz moderner maschineller Unterstützung bleibt jede der erwähnten Disziplinen bis heute reine Handarbeit. Das menschliche Auge und vor allem die künstlerisch-kreative Komponente ist eben durch keine Maschine zu ersetzen. Auch wenn die Grundausbildung in einschlägigen Berufsschulen erfolgt - das wahre Handwerk, die über Jahrhunderte überlieferten Techniken, erlernen die Nachwuchskünstler erst in den Ateliers ihrer Arbeitgeber. Deshalb ist es entscheidend, dass Unternehmen den Wissenstransfer von einer Generation zur nächsten ermöglichen.

Zu den Uhrenmanufakturen, die heute noch alle traditionellen Kunsthandwerke unter dem eigenen Dach vereinen, gehören neben Vacheron Constantin auch Patek Philippe, Piaget, Jaeger-LeCoultre, Zenith, Breguet, Blancpain und A. Lange & Söhne (Emailleure gibt es natürlich nur dort, wo entsprechende Uhrenmodelle im Programm sind). Sinnvolle Alternativen: Bei Glashütte Original kommen die Email-Zifferblätter aus der Porzellan-Manufaktur Meissen und das Guilloché von der Deutschen Zifferblattmanufaktur, alles andere wird im Haus gemacht.

Die aktuelle Entwicklung im Luxussegment zeigt eine starke Tendenz Richtung Individualisierung - ein Trend, der den Fortbestand des traditionellen Kunsthandwerks sichern sollte. Immer mehr Unternehmen unterstreichen auch in ihrer Kommunikation ihre Bereitschaft, besondere Unikate auf Kundenwunsch zu realisieren. Bei Vacheron Constantin wurde 2006 in diesem Zusammenhang das Atelier Cabinotiers eingerichtet, in dem Sonderanfertigungen gemeinsam mit dem Auftraggeber entworfen und bis ins kleinste Detail nach seinen Vorstellungen gefertigt werden. Die Zukunft des Kunsthandwerks wird also weniger an der Auftragslage scheitern als am mangelnden Nachwuchs. Allzu wenige junge Menschen interessieren sich für einschlägige Berufe in der Uhrenindustrie. Ausnahmen bestätigen die Regel, wie das Ausstellungsteam von Vacheron Constantin bewiesen hat. (Ines B. Kasparek/Der Standard/rondo/16/09/2011)