Fauteuil Biknit vin Patricia Urquiola

Foto: Hersteller

Tun wir mal so, als ob. Tun wir so, als ob Italien immer noch die absolute Nummer eins im Design ist. Was es, zumal wenn es um die "bella figura", um das Schöne, das Farbige, das Elegante im Design ging, für lange Zeit unbestritten war, was es aber angesichts der holländischen Designschwemme, der Vergreisung der italienischen Altmeister (nichts für ungut!) oder der zunehmenden Rekrutierung ausländischer Designer durch die italienischen Hersteller - Magis, Cappellini, Alias, Driade - tatsächlich nicht mehr ist. Aber es war es eben für sehr lange Zeit, für, sagen wir circa fünfzig Jahre, für die Jahre zwischen 1950 und 2000, zumindest aus mitteleuropäischer Sicht.

Warum aber war das so? Eine gute Frage, zweifellos - aber schwer zu beantworten. Fragen wir also: Was passierte in dieser Zeit, was hatte eine unmittelbare Designrelevanz? Und wie sah es sonst so aus in den Gesellschaften des Nachkriegseuropa? Zunächst: Europa war arm, bitterarm. Das war in Deutschland so und in Italien ebenso.

Aber Deutschland war nicht nur arm, es war auch kaputt. Vollständig. Heißt: Deutschland musste komplett neu gebaut werden, während Italien "nur" repariert werden musste. Die berühmten Vorbilder, die Wallfahrtsorte der Architektur, die Fresken und Mosaiken, die waren Gott sei Dank heil geblieben. Man hatte die großen Vorbilder also immer vor Augen.

Und diese Vorbilder waren nicht nur einmalig schön, in ihnen manifestierte sich auch eine der Grundüberzeugungen italienischer Gestaltung: die Nähe, um nicht zu sagen die Verknüpfung zwischen den Künsten, zwischen den angewandten und den freien Künsten, zwischen Architektur, zwischen der Gestaltung von Möbeln und Innenräumen, zwischen Wand- und Tableau- malerei.

Design als Glaubensbekenntnis

Und das sollte so bleiben. Kein Wunder also, dass sich genau dieses Selbstverständnis in allen in die Zukunft gerichteten Projekten und in den diese Projekte vorstellenden Ausstellungen wie den alle drei Jahre stattfindenden Triennalen widerspiegelte. "Design", so schreibt Albrecht Bangert in seinem Buch Italienisches Möbeldesign, "war wie ein Glaubensbekenntnis. Optimistisch wurde hier zur Diskussion gestellt, wie die Welt einmal aussehen sollte."

Vor allem sollte diese Welt nicht nur von purer Ratio, von purer Zweckmäßigkeit geprägt sein. Vielmehr sollte sie gerade dort, wo sich der Fortschritt "industriell" definierte, also zum Beispiel im Industrial Design, die Verbindung zwischen Kunst und Industrie exemplarisch darstellen. 

Funktion, Konstruktion, Haltbarkeit

Am ehesten ließ sich diese Verpflichtung natürlich dort umsetzen, wo sowohl rein rationale Qualitäten, wie Funktion, Konstruktion, Haltbarkeit, preiswerte Herstellung etc. als auch die eher emotional atmosphärischen Ansprüche wie eine aktuelle Form, eindeutige Farbgebung, das zeitgemäße Dekor oder eine treffende Symbolik gefordert waren, wo sich diese Qualitäten aber auch in etwa die Waage hielten, sprich: speziell im Wohnmöbeldesign.

Gleichwohl war es kein Möbel, das diese Synthese zwischen "harten" und "weichen" Kriterien geradezu prototypisch demonstrierte, sondern ein Gerät: Gio Pontis Espressomaschine für Pavoni. Aber diese Maschine hatte alles, was ein Gerät von derart zentraler Bedeutung für die kommunikativen Nischen des öffentlichen Raums haben musste: Sie war von einer präzisen Symbolik, sie war irgendwie großstädtisch, kurzum: Sie war modern, sie war chic! Und so wurde sie zu dem Signal zum Aufbruch zu neuen, nach vorne gerichteten Formen.

Neue, alternative Wohnformen

Was folgte, ist wohl einmalig in der Designgeschichte. Fast im Jahresrhythmus lieferten italienische Designer Beispiele avancierten Möbeldesigns. Jede neue sich abzeichnende Technologie, jede relevante neue Strömung in Kunst und Architektur wurde aufgegriffen und auf ihre Kompatibilität mit den unmittelbaren Ansprüchen und Bedürfnissen des die "Domestic Landscape" (Emilie Ambasz) bevölkernden Individuums abgestimmt.

Und das war keineswegs immer nur gemütlich. Im Gegenteil: Das Publikum wurde überrascht, es wurde provoziert, es wurde mit neuen, alternativen Wohnformen konfrontiert, im Grunde wurde es mehr gefragt als nur willfährig bedient oder gar, wie allgemein üblich, hinterlistig verführt. Es wurde regelrecht zum Partner, zum Gegenüber in einer permanenten Diskussion, ob, wie und warum so oder anders: Könnt ihr euch vorstellen, so zu leben, so zu arbeiten? Entspricht das eurem Lebensgefühl, euren Verhaltensmustern? Könnt ihr euch damit identifizieren?

Publizität und Umsatz

Und die Hersteller? Die machten mit! Geradezu harakirimäßig ließen sie sich auf noch die progressivsten Konzepte von Archizoom, von Pesce, Mendini, Sottsass oder Colombo ein. Und wenn viele dieser Experimente auch nicht zum ganz großen kommerziellen Erfolg wurden, so gewährleisteten diese Expeditionen in die Zukunft zumindest Eines: den Applaus von der medialen Galerie. Zudem waren die Herren Zanotta, Cassina und die anderen Emissäre einer zeitgemäßen Wohnkultur klug genug, die avantgardistischen Speerspitzen durch konventionelle Kollektionen abzusichern - und das funktionierte perfekt: Man hatte beides: Publizität - und Umsatz!

Und heute? Wie gesagt: Wo Italien draufsteht, ist nicht mehr nur Italien drin. Allerdings: Hergestellt wird das Meiste, was man als modern, als progressive bezeichnen kann, nach wie vor in Italien. Nur die Mannschaft ist, wie im Fußball, international geworden. Oder anders gesagt: Wer top ist, geht nach Italien.

Das Modell, die Philosophie des italienischen Designs hat sich global durchgesetzt. Und dazu kann man Italien, gerade im Jahr des 150. Geburtstags, nur gratulieren! (Volker Albus/Der Standard/rondo/29/04/2011)