Bernd Petrovitsch, Obmann der Linux User Group Austria (LUGA), im Webstandard E-Mail-Interview über den neuen Linux-Kernel, SCO und Defizite.

Was bringt der neue 2.6.x-Kernel?

Bessere Unterstützung für den Embedded System Bereich durch weitergehende Modularisierung, die es erlaubt, nicht benötigte Module und Systemteile wegzulassen, um Platz zu sparen.

Bessere Skalierung, damit große Hardware, die in der Regel weit mehr wie 4GB RAM und/oder mehr wie 8 Prozessoren hat. Im Desktop- und üblichen Serverbereich wirkt sich das auf die bessere Unterstützung von SMP und HyperThreading aus.

Aktuelle Hardware wird zum allergrößten Teil unterstützt, insbesondere ist USB-2.0 und FireWire/IEEE1394 vollständig unterstützt. Alle auch in anderen kommerziellen Unix-Versionen vorhanden Journalling-Filesysteme gibt es auch als Portierung, die von den jeweiligen Firmen auch gewartet wird, im Linux-Kernel.

Weitere Details gibt es auch auf http://www.kniggit.net/wwol26.html nachzulesen.

Ihre Prognose für den Linux-Markt 2004?

Im Embedded Bereich wird immer mehr und öfters Linux verwendet - der komplette Source ist verfügbar, Vernetzung per IP ist standardmäßig verfügbar und es gibt viele fertig zu verwendende Tools bzw. Applikationen.

Serverinstallationen werden ebenfalls massiv zu nehmen - dort braucht man keine ressource-vergeudende graphische Oberfläche und eine einfache funktionierende und effektive Fernwartung ist ein "muss". Im Desktopbereich wird der Druck immer stärker - mit KDE und GNOME gibt es auch einfach verwendbare Desktopoberflächen, OpenOffice mausert sich zu einem immer MSFT-Office-kompatibleren Paket, das auch für Windows verfügbar ist, und mit Mozilla ist auch ein W3C-Standard-konformer und sicherer Webbrowser verwendbar.

Damit lässt sich eine Migration von bestehenden Desktopsystemen vorbereiten und in Folge in Angriff nehmen ohne "von heute auf morgen" radikale Änderungen befürchten oder gar realisieren zu müssen.

Was halten Sie von der Übernahme von Ximian und SUSE durch Novell?

Novell war und ist im Middleware-Bereich relativ stark - NovellDirectoryService ist wohl das bekannteste Produkt - und ergänzt dadurch die Linux- und Unix-Softwarelandschaft. Ebenso wird - soviel ich weiß - so ziemlich jede Software von Novell im Moment auf Linux portiert, und damit wird in Folge Novell das eigene Betriebssystem durch Linux ersetzen. Welche weitergehenden strategischen Pläne Novell hat, weiß letztlich nur Novell.

Und inwieweit sich Novell an die bei den Übernahmen getätigten Aussagen hält, dass die bestehenden Firmen bzw. Markennamen im wesentlichen selbständig bleiben und weitermachen können wie bisher, wird die Zukunft zeigen.

Die (reinen GPL-)Projekte wie GNOME, auf dem Ximian aufbaut, und KDE bei SuSE haben auch vor Novell existiert, deshalb werden sie nicht so einfach wieder verschwinden.

In welchem Bereich weist Linux momentan noch die größten Defizite auf?

Naja, es gibt kein zentrales oder größer koordiniertes Lobbying wie es große Weltkonzerne auf allen Ebenen in Richtung Kunden und Presse betreiben. Dadurch ist es relativ einfach, mit Halbwahrheiten, aus dem Zusammenhang gerissenen Fakten und extrem tendenziöser Berichterstattung Marketing zu betreiben, obwohl die technischen Fakten und die jahrelange Erfahrung genau das Gegenteil sagen und damit die ungeliebte technische Konkurrenz mit technisch wenig begründbaren Aussagen loszuwerden.

Wie sehr nervt Sie SCO?

SCO nervt mich nicht mehr - nach fast einem Jahr hat SCO immer noch keine nachvollziehbare konkrete Untermauerung der Vorwürfe gezeigt, deshalb glaube ich nicht, dass da noch was nachkommt.

Was mich eher nervt ist die Tatsche, dass für eine Firma, von der man seit längerem am Markt wenig sehen oder gehört hat, offenbar möglich ist, mit ein paar unbewiesenen Behauptungen und unbegründeten Anschuldigungen ein Jahr lang immer noch positive Publicity machen zu können ohne dass bei jedem Interview und jedem Vortrag die erste Frage ist, in welchen Kernel-Versionen konkret welche Teile tatsächlich von SCO sein sollen. Der Aktienkurs von SCO ist meines Wissens nach seit letztem Jahr immer zur Freude des SCO-Top-Managements, das natürlich auch jede Menge Aktien an SCO besitzt, noch massiv gestiegen, obwohl nicht der Funken eines Beweises zu sehen war.

Bei den ersten Sourceode-Stücken, die im Herbst fast schon show-mäßig gezeigt wurden, fehlt noch der Beweis, dass die tatsächlich von SCO kopiert worden sind - es gibt frühere Unix-Versionen, wo identischer Sourcecode schon wesentlich früher unter der freien BSD-Lizenz veröffentlicht war.

Und bei der Liste von Files, die erst unlängst veröffentlich wurde, ist zumindest eines dabei, das schon in den 0.99er Kerneln praktisch identisch vorhanden war.

In Deutschland gibt es seit einem halben Jahr ein Urteil, dass SCO eben diese unbewiesenen Behauptungen ohne Beweis vor einem Gericht nicht mehr in die Welt setzen darf. (red)