Es ist keine drei Jahre her, dass Wirtschaftsminister Bartenstein (VP) und Finanzminister Grasser (FP) unisono die Senkung der Körperschaftssteuer (KöSt) von 34 auf 31 Prozent forderten. "Unterboten" wurden sie von Alfred Gusenbauer mit 30 %.

Einsamer "Träumer" war Robert Hartlauer; er wollte 25 % KöSt. Nur drei Jahre später ist sein Traum wahr geworden, und Wirtschaftskammerpräsident Leitl fordert schon 18 %. Schreiben wir diesen Trend fort, gibt es 2010 gar keine KöSt mehr.

Ruinöser Wettlauf

Ähnlich verläuft die Karriere des Spitzensteuersatzes in Deutschland: Gerade noch bei 48,5 %, will die CDU bereits die Senkung auf 36 %. Österreich und Deutschland fügen sich nahtlos ins Panorama der Industrieländer: Die durchschnittliche Besteuerung von Unternehmensgewinnen ist seit 1985 von 51 auf 33 Prozent gesunken, die von Zinserträgen von 47 auf 33 und die Spitzensätze der Einkommenssteuer von 52 auf 42 Prozent.

Der ruinöse Wettlauf führt zu dreierlei: 1. zu einer immer größeren steuerlichen Belastung der Arbeitseinkommen; 2. zur damit verbundenen Unlust der unteren und mittleren Einkommensschichten aufs Steuerzahlen, obwohl gerade sie am meisten vom Staat profitieren; 3. zum Wettlauf um die niedrigste Staatsquote und damit zur Erosion öffentlicher Güter und Leistungen – vom Gesundheitssystem bis zur Trinkwasserversorgung. Das trifft nicht zuletzt Unternehmen, die eine gute Infrastruktur – von der Ausbildung über günstige Kredite bis zum Transport – vorfinden möchten. Doch je schlanker der Staat, desto mickriger auch der Service des Standorts.

Steuergeschenke an Kapitalgesellschaften

Der von der Regierung erhoffte Investitionsboom wird voraussichtlich ausbleiben. Da 80 Prozent der Unternehmen Österreichs nicht KöSt-pflichtig sind, spüren sie gar nichts von der Absenkung. Und reine Steuergeschenke an Kapitalgesellschaften garantieren nicht einmal dort Investitionen, denn was die Unternehmen mit dem zusätzlichen Geld machen – ob sie Arbeitsplätze schaffen, Rücklagen bilden oder auf den Finanzmärkten spekulieren –, ist ihre Sache. Besser wären gezielte Instrumente wie der Investitionsfreibetrag. Doch den hat die(selbe) Regierung bei der letzten Steuerreform abgeschafft.

Zum zweiten Argument der Regierung: Ist die niedrige KöSt die "Schminke", die den Standort so richtig attraktiv macht? Den meisten Studien zufolge rangieren bei der Standortentscheidung Faktoren wie qualifizierte Arbeitskräfte, politische Stabilität, strategische Nähe zu Absatzmärkten und solide Infrastruktur vor dem Thema Steuern. Und bei der KöSt achten Konzernmanager nicht auf den Nominalsatz (die Schminke), sondern auf den Effektivsatz.

Dieser ist laut übereinstimmender Berechnung von EU-Kommission und Arbeiterkammer mit 18 % derzeit sehr attraktiv – es besteht keine Notwendigkeit zur weiteren Senkung. Im Gegenteil: Angesichts des nun schon jahrelang andauernden Senkungswettlaufs sollten die Unternehmensgewinne EU-weit gesockelt werden, bei mindestens 30 Prozent. Dann wäre Schluss mit der Versteigerung nach unten.

Sperre gegen Steuerdumping

Ob das politisch machbar ist? Die EU-Staaten haben eine Zollunion geschafft, einen Binnenmarkt, eine Währungsunion und eine gemeinsame Geldpolitik. Da wird sich wohl eine kleine Sperre gegen Steuerdumping auch noch ausgehen. Schließlich profitieren vom Übergang zur Kooperation alle: Die Budgets sprudeln wieder – und der ekelhafte Widerspruch, dass in Zeiten des Wirtschafts 3. Spalte wachstums alle um die Wette sparen, könnte endlich aufgelöst werden.

Sollten EU-Unternehmen daraufhin mit der Produktionsverlagerung drohen, gibt es effiziente Gegenmaßnahmen. Zum einen die konsequente Anwendung des Wohnsitzstaatsprinzips: Errichtet ein EU-Konzern eine Tochterfirma in einer Steueroase und verschiebt seine Gewinne mittels "transfer pricing" oder anderer Tricks dorthin, wird einfach die Differenz – die Steuerersparnis – in der EU nachverrechnet. Droht daraufhin der Konzern, auch seine Zentrale zu verlegen – was erfahrungsgemäß nicht so schnell passiert –, lässt sich mit der "unitary tax" der gerechte Steueranteil (gemessen an Umsatz, Kapital und Beschäftigten) abschöpfen, auch wenn die Zentrale auf den Bahamas domiziliert.

Kurzum: Wenn der politische Wille vorhanden ist, lässt sich der Steuerwettlauf beenden. Wer sich "Strukturreformen" so penetrant auf die Fahnen schreibt, müsste bei einer Steuerreform danach trachten, die immer größer werdende Kluft zwischen (zu niedriger) Kapital- und (zu hoher) Arbeitsbesteuerung zu schließen. Alleine die Anhebung der Gewinn- und Vermögenssteuern auf EU-Schnitt würde rund vier Milliarden Euro bringen. Und einen Budgetüberschuss. (Das Nulldefizit, einst Wahlkampfthema, wurde offenbar ad acta gelegt.)

Verpasste Chance

Und wollte man einen wirklich "großen Wurf" erzielen (Wolfgang Schüssel), könnte man noch alle Einkommen – auch Zinsen, Dividenden und Kursgewinne – unter die Einkommenssteuer einbeziehen. Voraussetzung dafür wäre die automatische Meldung aller Einkommen ans Finanzamt, so wie dies heute schon bei Löhnen und Gehältern selbstverständlich geschieht. Dadurch könnten die drückende Steuerbelastung des Faktors Arbeit spürbar gesenkt und soziale Sicherheit wie Standortservice verbessert werden.

Fazit: Gelungen ist weder eine Strukturreform ("nicht die Zeit dafür") noch ein "großer Wurf". Durch den Verzicht auf Steuergerechtigkeit wurde das Nulldefizit verfehlt und durch ziellose Verteilung von Steuergeschenken an Großunternehmen die Chance auf einen Investitionsboom verpasst. Aber der "Reformgeist" kommt sicher nicht so schnell zur Ruh'. Vielleicht klappt's ja beim nächsten Mal ... (DER STANDARD Printausgabe, 13.01.2004)