Wenn Gerhard Schröder am Abend des 17. Oktobers nicht zurücktreten muss, dann kann er sich bei der CDU bedanken. Denn das Konzept der größten Oppositionspartei zur Reform der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland kommt für ihn gerade rechtzeitig. Jene, die mit Schröders Kurs Probleme hätten, sollten sich genau anschauen, was der politische Gegner vorhabe, heißt es in der SPD. Ein Blick auf die CDU-Pläne dürfte den Kritikern die Zustimmung zu Schröders Reformagenda bei der Abstimmung im Bundestag in neun Tagen tatsächlich erleichtern und die Kanzlermehrheit - nur vier Stimmen mehr als die Opposition - sichern helfen.

Für eine große Volkspartei mit einer langen sozialpolitischen Tradition ist es eine Revolution, was Parteichefin Angela Merkel der CDU als Kurs verordnen will: die Anhebung des Pensionsalters von 65 auf 67 Jahre, Einschnitte bei der Witwenrente und einheitliche Krankenkassenprämien - der Spitzenmanager zahlt genauso viel wie die Hausfrau. Die Parteiführung stellte sich hinter dieses Konzept. Merkel hat damit die erste Hürde auf dem Weg geschafft, ihre Partei für den Wahlkampf 2006 als marktwirtschaftliche Alternative zu Rot-Grün zu positionieren. Aber die von Merkel forcierten Reformpläne polarisieren die Union: christdemokratische Arbeitnehmerschaft kontra wirtschaftsnaher Flügel. Setzt sich Merkel mit ihrem Kurs durch und zwingt die Partei hinter sich, ist ihr die Kanzlerkandidatur nicht mehr streitig zu machen, auch nicht von Edmund Stoiber.

Noch nützt ihr Kurs aber Amtsinhaber Schröder und dessen Partei. Die SPD-Führung kann endlich wieder die Opposition als unsozial anprangern, statt sich von der eigenen Basis Verrat linker Ideale vorwerfen lassen zu müssen. Ein Rücktritt Schröders in nächster Zeit käme Merkel nicht gelegen, denn dann müsste sie CSU-Chef Stoiber erneut den Vortritt lassen. Somit ist Merkels Hilfestellung für Schröder durchaus eigennützig. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.10.2003)