Dass alle heutigen Menschen von einer Homo-sapiens-Population abstammen, die vor 100.000 bis 200.000 Jahren in Afrika lebte, ist unter Wissenschaftern kaum umstritten. Bisher gingen viele Forscher beim Auszug unserer Vorfahren aus Afrika von einer einzigen Wanderungsbewegung vor 50.000 bis 75.000 Jahren aus. Für diese These scheint unter anderem zu sprechen, dass die genetische Vielfalt der Menschen mit wachsender Entfernung ihrer ursprünglichewn Heimat im südlichen Afrika abnahm. Neuere Ergebnisse genetischer, archäologischer und paläoanthropologischer Studien stellen dieses Szenario nun aber in Frage.

Die Wissenschafter rund um die Katerina Harvati von der der Universität Tübingen glauben, dass die ersten Vorfahren heutiger Menschen schon vor rund 130.000 Jahren eine südliche Route über die Arabische Halbinsel in Richtung Asien genommen haben. Die Forscher überprüften verschiedene hypothetische Ausbreitungsszenarios anhand geografisch möglicher Routen, genetischer Daten und vergleichender Schädeluntersuchungen.

Als Resultat setzen sie die erste Auswanderungswelle aus Afrika im Mittleren statt im Späten Pleistozän und damit früher an, als bisherige Untersuchungen ergeben hatten. Eine zweite Ausbreitungswelle ins nördliche Eurasien erfolgte vor rund 50.000 Jahren, wie sie in der aktuellen Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Sciences" schreiben.

Vergleich zweier Wanderbewegungen

Die Forscher um Harvati überprüften die beiden gängigen Out-of-Africa-Hypothesen einer einzelnen gegenüber mehrfachen Wanderungsbewegungen der anatomisch modernen Menschen aus Afrika. In ihren Untersuchungen nutzten sie Daten anatomischer Schädelvergleiche heutiger Menschen aus verschiedenen Regionen, neutrale genetische Daten und die zurückzulegenden Distanzen der verschiedenen möglichen Ausbreitungsrouten.

Ebenso wurden basierend auf den genetischen Daten und dem jeweiligen Ausbreitungsmodell die Zeitspannen berechnet, die zur Aufspaltung der Populationen notwendig waren. Jedes Ausbreitungsszenario ist mit spezifischen geografischen und zeitlichen Voraussetzungen verbunden. Diese bekannten Parameter stellten die Forscher den neutralen biologischen Distanzen aus den genetischen und anatomischen Untersuchungen gegenüber.

Isolierte Australier

"Beide Beweisketten, sowohl die anatomischen Schädelvergleiche als auch die genetischen Daten, sprechen für mehrfache Auswanderungswellen", sagt Harvati. Eine erste Gruppe unserer Vorfahren brach demnach vor rund 130.000 Jahren von Afrika aus auf und wanderte an der Küste der Arabischen Halbinsel entlang bis nach Australien und in das Gebiet des Westpazifiks. "Australier, Papuas und Melanesier blieben nach dieser frühen Ausbreitung über die Südroute zunächst relativ isoliert", sagt Hugo Reyes-Centeno, Erstautor der Studie und Mitarbeiter des Tübinger Forscherteams. "Andere asiatische Populationen scheinen dagegen einer späteren Auswanderungswelle zu entstammen, die vor etwa 50.000 Jahren von Afrika aus ins nördliche Eurasien aufkam."

Die Forscher gehen davon aus, dass weitere Feldstudien sowie Fortschritte in der Genetik die Befunde zu den Wanderrouten der urgeschichtlichen Menschen besser absichern und weitere Details in der raumzeitlichen Auflösung liefern können. Bisher lässt sich nur spekulieren, ob zum Beispiel starke Dürrezeiten in Ostafrika in der Zeit zwischen 135.000 und 75.000 Jahren die Wanderungen ausgelöst und die Entwicklung der menschlichen Populationen beeinflusst haben könnten. Die südliche Route umfasst ein großes geografisches Gebiet, in dem zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige archäologische und anthropologische Forschungen stattgefunden haben und welches daher für künftige Forschungen sehr vielversprechend ist. (red, derStandard.at, 22.04.2014)