Einen langgehegten Herzenswunsch erfüllte sich Bernd Klüser am 6. Februar bei Sotheby's in London. Der William-TurnerTraum ("Study of a Castle by a Lake", um 1824) hatte allerdings seinen Preis: Der Hammer sauste bei 302.500 Pfund (365.000 Euro) herunter.

Foto: Sotheby’s

Bernd Klüser, 1945 in Wuppertal geboren, studierte Jura, bevor er seine Karriere im Kunstbetrieb startete. Gemeinsam mit Studienkollege Jörg Schellmann gab er zunächst Kunsteditionen heraus, 1978 gründeten sie ihre erste Galerie. Zum Portfolio der heutigen Galerie Bernd Klüser in München, die der Vater zweier Kinder mit Tochter Julia führt, gehören Künstler wie Joseph Beuys, Alex Katz, Sean Scully und Andy Warhol. Zu sammeln begannen Bernd und Verena Klüser, eine Kunsthistorikerin, bereits in Studientagen.

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Es sind kaum mehr als ein paar Pinseltupfer, kaum mehr als ein intensivblauer Fleck in nebligem Graubraun. Aber so reduziert das Aquarell auch sein mag, man vergisst es nicht. So erging es auch Sammler und Galerist Bernd Klüser, der schon lange ein Auge auf diese kleine, schnell hingeworfene Studie von William Turner geworfen hatte. Allein, das eine Burg an einem See zeigende Blatt, vermutlich Teil eines Skizzenbuchs, war jahrelang nicht am Markt - bis zum 6. Februar dieses Jahres: Da kam das Los bei Sotheby's zu Versteigerung. Ein langgehegter Wunsch, daher war Klüser bereit, mehr als das Vierfache des Schätzwertes (50.000-70.000 Pfund) zu zahlen: rund 365.000 Euro. "Ich wollte es unbedingt haben", gesteht er in Krems, wo das exklusive Blatt nur fünf Wochen später die Präsentation seiner von 1500 bis ins Heute reichenden Kollektion in der Kunsthalle schmückt: Zurück in die Zukunft. Zeichnungen von Tiepolo bis Warhol (bis 29. 6.).

STANDARD: Sie sind ja nicht nur Sammler, sondern auch Galerist. Wann begann Ihr Kunstinteresse?

Klüser: Es begann mit 13 oder 14 Jahren über erste Begegnungen mit Bildern von Munch und deutschen Expressionisten. Manchmal, wenn ich keine Lust mehr hatte, bin ich zwei Stunden früher aus der Schule gegangen und habe meine Zeit im Museum (Anm.: Von der Heydt-Museum, Wuppertal) verbracht. Noch als Schüler habe ich brieflich Kontakte gesucht zu Künstlern - näher kennengelernt habe ich u. a. Ernst Wilhelm Nay. Er hatte keine Kinder und auch keine Lehrtätigkeit, aber ihn interessierte der Kontakt zu meiner Generation. Wir führten interessante, auch philosophische Gespräche. So kam ich ein bisschen in Künstlerkreise hinein. Auf Reisen, die ich nach dem Abitur mit meiner späteren Frau unternahm, sind wir auf dem Weg bei Oskar Kokoschka am Genfer See oder Erika Mann am Zürichsee vorbeigefahren.

STANDARD: Das ging einfach so, ohne dass man sich kannte?

Klüser: Das konnte man damals noch ohne Voranmeldung machen, weil bei den Künstlern noch nicht - so wie heute - drei Assistenten an der Türe warteten, die einen abgewiesen hätten. Die Gastfreundschaft war fantastisch. Ich erinnere mich noch an den Besuch bei Kokoschka: Es war der Tag, bevor er nach Deutschland aufbrach, um das Porträt Konrad Adenauers zu malen. Ein Fernsehteam war bereits im Haus, das hat er wegen uns sogar eine Stunde warten lassen. "Da draußen sind drei Kinder aus Deutschland", rief er seiner Frau zu, als wir reinkamen. All diese Erlebnisse waren sehr motivierend. Nach dem Abitur sind wir nach München gezogen. Meine Frau hat Kunstgeschichte studiert, ich Jura.

STANDARD: Wieso Jura, bei Ihrem immensen Interesse für Kunst?

Klüser:Ich war tatsächlich nicht in Jura verliebt, wollte aber meine Mutter und meine künftige Schwiegermutter beruhigen. Damit die sagen konnten: "Der Junge kann auch irgendwas Bürgerliches." In München bin ich sehr schnell in den Kreis um die Galerie Heiner Friedrich gekommen und habe Künstler wie Blinky Palermo, Gerhard Richter, Georg Baselitz oder Imi Knoebel kennengelernt. Das war nun eher meine Generation - eine offene Generation. Das Umfeld von Nay oder Beckmann war ja total anders, fast etwas wagnerianisch ausgeprägt. Es war in der Kunst eine historische Situation; eine Chance, die man wahrnehmen konnte oder nicht. Damals fingen wir auch zu sammeln an. Wir besaßen sehr früh Bilder von Richter oder Palermo, die damals nur 700 Mark kosteten. Wenn man jedoch von 500 Mark im Monat alle Kosten bestreiten musste, war auch diese Summe ein Opfer. Aber wir lebten von Anfang an mit der Kunst.

STANDARD: Das erste Werk, das Sie gekauft haben?

Klüser: Eine Beuys-Zeichnung.

STANDARD: Noch während des Studiums begann Ihre Karriere als Verleger von Editionen. Wie kam das?

Klüser: Schon mit Anfang 20 gab es gemeinsame Aktivitäten mit der Galerie Heiner Friedrich. Ein Beispiel: Friedrich hatte das Angebot, fünf frühe Bilder von Cy Twombly zu kaufen. Die kosteten damals zusammen 55.000 Mark - in dieser Zeit sehr viel Geld. Das konnte man sich nur leisten, wenn man sofort wieder, wenn auch mit geringen Margen, einen Teil verkaufte. Ich habe dabei geholfen, das Geld zu sammeln. So versuchte man, Dinge möglich zu machen, obwohl man kaum Mittel hatte. Das erste OEuvre-Verzeichnis von Beuys hat mein damaliger Partner 1971 von Hand mit Letraset gesetzt. Für die Ringbuchbindung gingen wir stundenlang um einen Tapeziertisch, um Seite für Seite zusammenzutragen.

STANDARD: Sie sagten, es war eine historische Chance. Würden Sie heute als junger Mensch nochmals eine Galerie eröffnen?

Klüser: Ich glaube nicht. Dafür haben sich die Zeiten zu sehr geändert. Damals ging es primär um die Sache. Man konnte zu den Künstlern gehen und sagen: "Ich habe eine Idee, wollen wir das machen?" Das ist vorbei. Der Spaß wurde uns zum ersten Mal ausgetrieben, als wir bei Christo waren und er sagte: "Die Ideen interessieren mich nicht. How much money is involved?" Heute ist zu viel Geld im Spiel. So wurden Grauzonen aktiviert, die nicht mehr seriös sind. Von Beginn an haben wir versucht, keine Kompromisse zu machen, und wirklich nie irgendwelche dekorativen Arbeiten gezeigt. Es startete mit sehr geringen finanziellen Mitteln, trug sich jedoch sofort, weil alles bescheiden dimensioniert war. Ohne eine gewisse Basis könnte man heute das erste halbe Jahr nicht überleben.

STANDARD: Da Vinci sagte, die Zeichenkunst könne unendlich viel mehr hervorbringen als die Na- tur selbst. Welche Fähigkeiten besitzt die Zeichnung für Sie?

Klüser: Da bin ich ziemlich von Beuys geprägt. Er sagte, eine Zeichnung muss einfach eine innere Notwendigkeit haben, damit sie entsteht. Sie muss näher an die Vorstellung von Wahrheit herankommen, als man es mit Sprache oder Schrift ausdrücken kann.

STANDARD: Sie haben Zeichnung als Gegenmedium zur Zeit beschrieben. Warum?

Klüser: Mit Zeichnungen muss man eine Art Dialog beginnen, muss auf sie zugehen. Sonst sind sie - schon rein optisch betrachtet - gar nicht lesbar. Eine gute Zeichnung hat immer mehrere Ebenen, die man Schicht für Schicht abtragen kann. Je mehr man davon freilegt, je mehr Wissen man einbringt - sei es etwa durch kunsthistorische, historische, philosophische oder literarische Verbindungen -, desto mehr kann sie einem zurückgeben.

STANDARD: Gibt es eine Konkurrenz zwischen dem Galeristen und dem Sammler Bernd Klüser? Setzt sich der Sammler durch?

Klüser: Ich fürchte, es ist eher umgekehrt (lacht). Die Grundregel war immer jene - das ist eine Frage der professionellen Haltung -, dass die Galerie Priorität hat. Trotzdem hat man sich manchmal auf die Lippen gebissen und gedacht: "Konnte der nicht was anderes aussuchen?"

Standard: Wieso sind Zeichnungen im populistischen Sinn eigentlich weniger spektakulär als Malerei?

Klüser: Zuerst, weil sie meist kleinere Formate haben; gerade in der zeitgenössischen Kunst besitzt Malerei eine ganz andere physische Präsenz. Wir hängen in der Galerie Bilder zum Beispiel deutlich höher auf als in Amerika. Die Amerikaner wollen wirklich, dass man quasi in die Bilder reingehen kann. Gemälde sind in der Regel fertige Produkte während Zeichnungen meist nur transformatorische Stationen festhalten und von daher offener sind als das Endprodukt. In der Wahrnehmung sind die Zwischenschritte zum endgültigen Bild oft interessanter.

STANDARD: Was ist Ihrer Meinung nach am Fragmentarischen einer Zeichnung so interessant?

Klüser: Fragmentarisch heißt ja nicht, dass irgendetwas nicht fertig geworden ist, sondern dass gerade der Schwebezustand oder das noch nicht Endgültige das Interessante an dem Blatt ist.

STANDARD: Spielt für Sie die Verweiskraft - sprich: dass sich in der Dynamik eines Strichs der Charakter eines später ausgefertigten Gemäldes abzeichnet - eine Rolle?

Klüser: Bei akademisch geprägten Sammlern spielt das Herstellen eines Kontextes zu Gemälden oder Fresken eine große Rolle. Das sind auch Sicherheitskriterien im Hinblick auf Fälschungen, weil es die Zuordnung zu einem Künstler erleichtert. Das haben wir eigentlich nie gemacht. Wir haben immer versucht, die freieren Arbeiten zu finden. Die Verweise - und damit auch Zuschreibungen - haben sich manchmal später gefunden. Zum Glück gab es bisher noch keine Abschreibungen. Wir sind bewusst das Risiko eingegangen, lieber eine autonome, qualitätvolle Zeichnung zu nehmen, als mit einer vorbereitenden Studie auf der sicheren Schiene zu laufen. Nur Meisterzeichnungen zu sammeln steht bei uns nicht im Vordergrund.

STANDARD: Sie selbst haben die Entwicklung Ihrer Sammlung als sprunghaft beschrieben: Erst Ende der 1990er-Jahre erweiterten Sie die Sammlung der Gegenwartskunst mit Zeichnungen früherer Epochen. Wie kam das?

Klüser: Es hatte ehrlicherweise auch ein bisschen mit Frust zu tun. Wenn man das Glück hatte, in den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren, wo sich noch enorm viel veränderte und viele Felder noch nicht besetzt waren, zu beginnen, dann war das natürlich sehr viel spannender als nach dem Beginn der regellosen Postmoderne mit dem Prinzips des "anything goes". Es ist schlimm zu bemerken, dass sich Künstler nicht einmal mehr gegen ihre Vätergeneration auflehnen können, weil künstlerisch sowieso alles möglich ist. Es gibt keine Auseinandersetzungen mehr, keine Kampfstimmung. Daher die persönliche Frage, ob es nicht noch Dinge gibt, die man spannender findet, die dazu zwingen, permanent dazuzulernen. Peu à peu erarbeiten wir uns nun die Jahrhunderte: Das birgt wunderbare Momente. Wie modern und mit welch riskanten Ansätzen bereits Künstler früherer Epochen an die Zeichnung herangegangen sind, wenn sie frei von Aufträgen arbeiten konnten, war für uns wirklich überraschend. (Anne Katrin Feßler, Album, DER STANDARD, 22./23.3.2014)