"Red' ma drüber" ist das Lebensmotto am Riedberg: Wo einst desolate Sozialbauten standen, ist heute modernes Wohnen möglich.

Foto: ISG

"Kennen Sie Ihren direkten Nachbarn?" Nein? Keine Sorge, Ihr Nachbar wird die Frage wohl ähnlich beantworten. Ein höfliches "Guten Tag", ein müdes "Guten Abend" - die Kontaktaufnahme in den Stiegenhäusern kennt enge Grenzen. Die Anonymität ist Dauermieter in den diversen Wohnanlagen. Heute dient das eigene Zuhause vor allem auch als Schutzraum und Rückzugsort. Devise: Bevor ich den namenlosen Nachbarn um einen Korkenzieher bitte, bemühe ich doch eher meine Facebook-Freunde. Keinen Kontakt pflegen zu müssen bedeutet manchem eben einen enormen Gewinn an Lebensqualität.

Diesem Trend hat man aber jetzt im oberösterreichischen Ried mit einem speziellen Wohnkonzept einen Riegel vorgeschoben. In Zusammenarbeit mit der Stadtgemeinde Ried im Innkreis und dem Land Oberösterreich wurde von der Innviertler Gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft (ISG) in vier Bauabschnitten der Stadtteil Riedberg wiederbelebt und ein Projekt verwirklicht, das sowohl Raum zum Wohnen als auch Raum zum Kommunizieren bietet.

9,6 Millionen Euro Baukosten

Ab dem Jahr 2007 wurde mit dem Neubau von insgesamt 89 Mietwohnungen begonnen und 2012 das letzte und vierte Wohnhaus einer neuen Wohn- und Kommunikationsoase an die Bewohner übergeben. 9,6 Millionen Euro investierte die ISG insgesamt in die Reanimation des einstigen Problemviertels. "Der Mensch hat das Verlangen nach Gesellschaft, Zugehörigkeit und Freundschaft. Er strebt nach Kommunikation - danach, zu hören und gehört zu werden", ist ISG-Direktor Herwig Pernsteiner überzeugt.

Am Riedberg sei "die richtige Mischung" wichtig gewesen: "Einerseits Wohnungen als klassische Rückzugsorte, andererseits offene Begegnungszonen zu schaffen." Mit dem Schritt aus der Haustüre treten Mieter daher nicht in eine Stiegenhaus-Tristesse ein, sondern erleben helle Räume, die von Sonne, Licht und Luft dominiert werden. Für "Kunst am Bau" sorgen in der gesamten Wohnanlage spezielle Fotoinstallationen.

Dorfplatz als Treffpunkt

Zentraler Kommunikationstreff für die 220 Mieter ist ein eigens geschaffener Dorfplatz. Pernsteiner: "Ganz im klassischen Sinn. Wir haben eine bereits bestehende Kirche in die neu errichtete Wohnanlage integriert und einen großen Vorplatz geschaffen. Heute finden dort diverse Veranstaltungen wie etwa Wochenmärkte statt." Von einer Selbstverwaltung der Wohnanlage hat man aber bewusst abgesehen. Pernsteiner: "Das Konzept 'Wir sind eine große Familie' funktioniert in der Praxis nicht. Bevor jemand selbst zum Wischmopp greift, zahlt er lieber 50 Euro mehr an Betriebskosten." (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 26.2.2014)