Ein Mann, zuerst ganz am Boden, lernt wieder zu fliegen: Matthew McConaughey als Ron Woodroof in "Dallas Buyers Club".

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Wien - Die erste Diagnose der Ärzte ist fatal. Ron Woodroof, als Rodeo-Cowboy eher der unerschütterliche Typ, soll nur noch einen Monat zu leben haben. Die Krankheit heißt Aids - 1985, als man über das Virus noch wenig wusste, wurde diese vor allem mit Homosexualität in Verbindung gebracht. Woodroof reagiert entsprechend forsch - der Beginn eines Kampfes, in dem der kaputte Held zum gewieften Geschäftsmann wird: Abteilung illegaler Medikamentenimport.

Nach einem realen Vorbild erzählt der Frankokanadier Jean-Marc Vallée in Dallas Buyers Club die Geschichte eines Eigenbrötlers. Als Darsteller hat er mit Matthew McConaughey einen Schauspieler an der Seite, der in dieser Rolle kaum wiederzuerkennen ist: Spindeldürr, mit durchdringendem Blick und nicht enden wollender Energie liefert er eine der beeindruckendsten Leistungen seiner Karriere.

STANDARD: Der Part von Ron Woodroof ist der Höhepunkt einer ungewöhnlichen schauspielerischen Neuerfindung. Aus welcher Motivation heraus haben Sie Ihr Rollenprofil so radikal verändert?

McConaughey: Vor fünf, sechs Jahren glichen alle Rollen, die man mir angeboten hat, meinen bisherigen. Romantic Comedies, Action-Abenteuer und Action-Filme - ich fühlte mich ein wenig wie in einer Beziehung, in der man sich nach einer gewissen Zeit fragt: Gibt es da nicht auch noch etwas anderes? Ich wusste nicht, was ich wollte - nur, was ich nicht wollte. Also ließ ich es für eine bestimmte Zeit gut sein. Und fragte mich, wie lange dieser Zeitraum sein würde ... Ich wusste, dass es Konsequenzen haben würde, die Angebote versiegen würden.

STANDARD: Was ist dann passiert?

McConaughey: Sechs Monate lang sagte ich zu jedem Angebot Nein. Dann verging ein Jahr, und es passierte nichts mehr. 18 Monate später war plötzlich Mud da, Jeff Nichols hatte die Rolle für mich geschrieben. William Friedkin rief wegen Killer Joe, Steven Soderbergh wegen Magic Mike an. Ich war das Ziel. Aber es war ein wenig so, als hätte ich den Pfeil selbst abgeschossen. Seltsam - ich zog mich in den Schatten zurück, und es kam wie ein Bumerang zurück: Eine schöne Sache, drei Jahre früher wäre das wohl nicht passiert.

STANDARD: Wie betrachten Sie dieses neue Selbst? Ist es wie ein Potenzial, das immer da war, aber bisher nicht geweckt wurde?

McConaughey: Nein, es ist wie ein anderer Charakter. Ich kann es nicht genau benennen, eine Epiphanie, es ist nicht so klar. Ich dachte, wenn man ins Kino geht, und dort werden 20 Filme gespielt: Welcher wäre der erste, den ich sehen will? Magic Mike? - Ja, der ist wild! Paperboy, Killer Joe - die auch. Es ist nicht uneigennützig. Ich habe in meinem Leben umgesattelt, wurde Vater. Davor hatte ich eine Produktionsfirma. Nun dachte ich, das ist alles zu viel: Nun ist meine Familie der Job. Ich wollte nur noch ein Schauspieler sein, den man mieten kann. Meine einzige Verantwortung soll der Figur gelten, die ich spiele.

STANDARD: Und nun sind Sie einer der Oscar-Favoriten.

McConaughey: Ich habe nicht daran gedacht, was dabei herauskommt. Bei Dallas Buyers Club war mir von Anfang an klar, dass dieses Drehbuch etwas Besonderes ist. Dass er auch für Preise infrage kommt, wenn wir es gut umsetzen - okay, das ahnten wir.

STANDARD: Was macht denn diese Rolle besonders? Sie haben einmal gesagt, alle Ihre jüngeren Figuren seien Antihelden. Ging es darum, zu einer realeren, raueren Form von Männlichkeit vorzudringen?

McConaughey: Ja, es handelt sich um Figuren an den Rändern der Gesellschaft, Außenseiter, die ihre eigenen Regeln aufstellen. Die meisten sind Einzelgänger, Männer wie Inseln, in Mud ganz wortwörtlich. Sie haben ihre eigene Politik und versuchen der Welt auf ihre Weise Sinn abzutrotzen. Und sie haben alle Obsessionen: Die von Killer Joe ist es, Ordnung in die Welt zu bringen ...

STANDARD: ... auf brutale Weise.

McConaughey: Ja, so ist es. Woodroof aus Dallas Buyers Club ist ein Kapitalist, er denkt nur an die Geldvermehrung. Diese eine Obsession herauszufinden ist oberstes Prinzip. Woodroof hatte viele Hindernisse zu bewältigen. Aber er wollte am Leben bleiben, und dafür war ihm jedes Mittel recht. Er bewegte sich gegen das Gesetz, durch das Gesetz, über das Gesetz hinweg. Er war ein Pirat, ein Gauner. Über solche Obsessionen finde ich zur Identität einer Figur - wie ich schon bei der Screen-Actors-Guild-Gala sagte: Wenn ich ins Innere einer Figur finde, kann man mir eine Augenbinde umlegen und mich irgendwohin führen. Und wenn man sie mir dann wieder abnimmt, sollte man sicherstellen, dass die Kamera läuft. Dann spiele ich nicht mehr, ich verhalte mich wie meine Figur.

STANDARD: Einige dieser jüngeren Filme waren Independent-Produktionen. Spielte das bei der Auswahl denn eine Rolle?

McConaughey: Ich gehe von den Parts aus. Ich lese Drehbücher, beachte die Regisseure. Ich habe zuletzt mit lauter unbeirrbaren Filmemachern gearbeitet. Man kann mit ihnen in eine Rolle hineingehen, und sie werden nicht versuchen, sie geradezubiegen. Auch bei unabhängigen Filmen gibt es den Druck, sie glatter zu machen. Aber das richtige Leben und die Leute, die ich mag, sind nicht so ausgeglichen, rund. In der Wildheit steckt mehr Realität.

STANDARD: Ist das Ihre Reaktion auf die Krise des Blockbuster-Kinos?

McConaughey: Ich sehe es nicht als Revolte. Ich hatte Glück, die Filme stießen auf Interesse. Magic Mike, der 17 Millionen Dollar gekostet hat, explodierte richtiggehend, auch Mud ging richtig gut. Bei Dallas Buyers Club denkt man sich vielleicht: Ein wichtiger Film, sollte ich ihn anschauen - ist er auch unterhaltsam? Wir haben ihn für weniger als fünf Millionen Dollar gemacht. Und es ist kein Medizinfilm geworden. Es ist ein ausgewachsener Film mit hohem Unterhaltungswert.(Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 4.2.2014)