Verena Winiwarter ist Wissenschafterin des Jahres 2013.

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STANDARD: Österreichs Wissenschaftsjournalisten haben Sie zur Wissenschafterin des Jahres gewählt. Überrascht?

Winiwarter: Ja, ich war völlig überrascht. Die meisten der bisherigen Wissenschafterinnen und Wissenschafter des Jahres sind vom Profil her doch etwas anders als ich. Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, weil das eine weitere Möglichkeit bietet, dass Umweltgeschichte in den Medien vorkommt.

STANDARD: Sie haben 1998 die erste "österreichische" Dissertation in Umweltgeschichte verfasst und sind seit 2007 die erste Professorin in Österreich für dieses Fach. Was kann man sich darunter vorstellen?

Winiwarter: Das lässt sich am besten anhand unserer Forschungen erklären. In einem gerade abgeschlossenen Projekt "Enviedan" haben wir gerade die Veränderungen der Donau im Wiener Raum von 1500 bis zur Gegenwart untersucht und die vielen unbeabsichtigten und langfristigen Folgen der Regulierungen des Stroms auf Ökosysteme und Gesellschaft analysiert.

In einem anderen, seit März 2012 laufenden FWF-Projekt stehen die Auswirkungen des Skitourismus auf die österreichische Landschaft und die Umwelt im Zentrum. Umweltgeschichte ist im Grunde die Geschichte der Nebenwirkungen menschlicher Aktivitäten. So wie Arzt und Apotheker über Wirkungen und mögliche unerwünschte Nebenwirkungen bei Medikamenten informieren, so tut das die Umweltgeschichte im Hinblick auf die Natur.

STANDARD: Wie wichtig ist für Sie Öffentlichkeitsarbeit als Teil Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit?

Winiwarter: Das ist mir aus zwei Gründen ein riesengroßes Anliegen: Zum einen ist die Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF), der ich angehöre, vor gut 30 Jahren angetreten, Wissen für die Gesellschaft wirksam zu machen. Das wiederum bedeutet, die Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft intensiv zu bearbeiten. Ich mache das auch ganz aktiv, weil ich will, dass unser Wissen in der Umweltpolitik aufgegriffen wird. Zum zweiten werden unsere Forschungen von öffentlichem Geld bezahlt. Und deshalb haben wir auch die Verpflichtung, der Öffentlichkeit das mit ihrem Geld finanzierte Wissen zur Verfügung zu stellen.

STANDARD: Wie machen Sie das konkret? Und wen wollen Sie erreichen?

Winiwarter: Ich habe auch Publizistik studiert und weiß daher, dass es "die Öffentlichkeit" im Singular nicht gibt. Im Grunde geht das bei uns von den Kindern bis zu den Entscheidungsträgern in der Politik. Ich halte Vorträge im Kindermuseum, in der Kinderuni oder in Schulen und diskutiere da mit den Kindern über die Langfristigkeit der Gesellschafts-Natur-Interaktionen.

Eine entscheidende Rolle in der Umweltproblematik kommt der Zivilgesellschaft zu: Sie ist wohl der entscheidende Akteur bei einer Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. Deshalb müssen wir auch die Zivilgesellschaft erreichen – und über sie auch die Politik.

STANDARD: Über was reden Sie mit den Kindern konkret? Und welche Umweltgeschichten haben Sie für die Zivilgesellschaft parat?

Winiwarter: Den Kindern erzähle ich meistens die Geschichte des Klos, weil das in ihrer Lebenswirklichkeit eine wichtige Rolle spielt und man daran viel erklären kann. In der Umweltgeschichte ganz allgemein werden uns die guten Geschichten über die Folgen von Umwelteingriffen nicht so bald ausgehen: Ich habe gerade mit einem deutschen Geografen ein Buchmanuskript mit 60 Fallgeschichten beendet.

Eine davon handelt von den Galápagos-Inseln und dem Einschleppen invasiver Arten durch den Tourismus, eine andere von den Quecksilberminen von Huancavelica in Peru, wo unter der Kolonialherrschaft der Spanier eine Umweltkatastrophe passierte, die bis heute die Böden vergiftet. Diese 60 Geschichten sind uns ganz leicht eingefallen. Und auch für Österreich werden mir die interessanten Umweltgeschichten nicht ausgehen.

STANDARD: Wie hat sich Österreich in den vergangenen Jahrzehnten Ihrer Meinung nach umweltpolitisch entwickelt? Täuscht der Eindruck, dass wir von einem internationalen Vorreiter in den 1980er-Jahren zu einem Nachzügler geworden sind?

Winiwarter: Nein, ich teile diese Einschätzung. Wir waren früher tatsächlich ein Vorreiterland, was womöglich auch mit der Vorbereitung auf den EU-Beitritt zu tun hatte. Diese Rolle haben wir längst verloren. Als Historikerin weiß ich allerdings auch, dass es schwierig ist, Einschätzungen über die Gegenwart abzugeben – und deshalb spreche ich in der Frage lieber als interessierte Bürgerin und als Medienkonsumentin.

Aber offensichtlich ist, dass die Umweltpolitik ihren Status als Politikbereich ersten Ranges, den sie in Österreich in den 1980er-Jahren hatte, längst eingebüßt hat. Das ist aber auch in anderen Ländern passiert.

STANDARD: Wie und warum kam es dazu?

Winiwarter: Ich denke, dass es in den späten 1960er-Jahren ausgehend von den USA und Büchern wie "Silent Spring" von Rachel Carson eine Art ökologischen Aufbruch gab, der zum Beispiel zur Gründung der US-Umweltschutzbehörde (EPA) 1970 führte. Diese Bewegung hat aber wohl auch deshalb an Kraft verloren, weil klar wurde, dass nicht nur die böse Industrie an allem schuld ist, sondern dass wir alle unseren Lebensstil ändern müssen.

Das Montreal-Protokoll 1987, bei dem es um den Schutz der Ozonschicht ging, war deshalb so erfolgreich, weil eine einzige konkrete Maßnahme ausreichte: nämlich die FCKWs zu verbannen. Das hat zugleich aber auch vielen Firmen Chancen eröffnet, weil sie Ersatzstoffe entwickeln mussten.

Bei den Maßnahmen gegen den Klimawandel geht es aber nicht darum, etwas durch etwas anderes zu ersetzen, sondern darum, vieles gar nicht mehr zu tun. Damit war Umweltpolitik nicht mehr mehrheitsfähig und steht selbst bei den österreichischen Grünen nicht mehr im Zentrum.

STANDARD: Gibt es nicht auch ein paar österreichische Spezifika – wie etwa die Tatsache, dass Umwelt und Landwirtschaft in einem Ministerium vereinigt sind?

Winiwarter: Das spielt sicher eine Rolle: Aufgrund dieser Struktur kann man im Umweltressort nur zur Erkenntnis kommen, dass die Landwirtschaft nicht schädlich für die Umwelt sein kann. Dazu kommt eine sehr mächtige land- und forstwirtschaftliche Lobby.

Auch die österreichische Bündestruktur ist der Umweltpolitik wenig förderlich, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Man muss aber wohl auch ganz generell konstatieren, dass wir in einer Zeit des allgemeinen Politikversagens leben, das sich nicht allein auf die Umwelt beschränkt. Inzwischen sind ja oft schon die Konzerne nachhaltiger als der Staat.

STANDARD: Wie kann man die Zivilgesellschaft dazu bringen, den Lebensstil zu ändern? Die dramatischen Berichte über die Folgen des Klimawandels scheinen die Bevölkerung mittlerweile eher kaltzulassen.

Winiwarter: Das ist richtig. Wenn man die Leute dazu motivieren wollte, etwas für Giraffen im Krüger-Nationalpark zu tun, ist das überhaupt kein Problem, weil man da so weiterleben kann wie bisher. Wenn wir aber den Klimawandel ernst nehmen und etwas dagegen tun wollen, dann müssen wir alle in der sogenannten Ersten Welt unser Leben massiv ändern. Aber das will niemand hören und auch niemand tun. Da hilft auch die immer stärkere Dramatisierung in den Medien wenig.

STANDARD: Was hilft dann?

Winiwarter: Eine Möglichkeit ist das, was etwa das "Solutions Journal" macht. Dieses Magazin veröffentlicht nicht Artikel, die problemorientiert sind – was in der Wissenschaft üblich ist –, sondern solche, die Lösungen vorschlagen. Eine Botschaft dabei könnte und sollte sein, dass ein Lebensstil, der weniger Auswirkungen auf das Klima hat, womöglich auch zu einem besseren und glücklicheren Leben führt.

Und im Grunde wissen wir ja: Porsches machen nicht unbedingt potenter und glücklicher. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es auf diese Weise zu so etwas wie einer Suffizienz-Revolution kommen könnte, einer neuen Art von Genügsamkeit. Wir haben zwar alles, aber eine glückliche Gesellschaft sind wir auch nicht gerade.

STANDARD: Ist der Klimawandel das größte Umweltproblem, das wir haben?

Winiwarter: Ich halte die Veränderung unserer Böden für ähnlich dramatisch wie den Klimawandel. Wir machen die besten Böden kaputt, indem wir Beton und Asphalt darüberlegen und sie versiegeln. Es gibt aber noch viele andere Möglichkeiten, Böden zu ruinieren: Bioenergie ist vor allem deshalb eine schlechte Lösung, weil die Böden damit völlig ausgelaugt werden, indem man sie intensiv bebaut – und nach einigen Jahren sind die Böden kaputt.

STANDARD: Warum ist das so eine Katastrophe?

Winiwarter: Die Böden sind dann für tausende Jahre tot. Sie sind eine nicht erneuerbare Ressource – zumindest im menschlichen Maßstab. Dieses Problem macht mich aber vor allem auch deshalb so besorgt, weil darüber so gut wie gar nicht berichtet wird.

STANDARD: Woran liegt das?

Winiwarter: Über den Klimawandel kann man deshalb schreiben, weil die Luft, die wir atmen, ein Gemeingut ist. Sie gehört niemandem. Und die Lufttemperatur betrifft jeden von uns direkt. Beim Boden ist das anders: Der gehört im Normalfall jemandem. Nach geltenden Gesetzen ist es aber so gut wie unmöglich, in Eigentumsrechte einzugreifen. Das Gerede von der ökosozialen Marktwirtschaft ertrag ich aus diesem Grund nur ganz schlecht, weil damit all diese – buchstäblichen – Grundprobleme unangetastet bleiben. 

STANDARD: Damit sind wir auch wieder beim Problem angelangt, dass Umwelt und Landwirtschaft in einem Ministerium vereinigt sind. Was sagen Sie eigentlich zur einer anderen Ressortzusammenlagung, der von Wirtschaft und Wissenschaft?

Winiwarter: Ich denke, dass man Politiker in erster Linie an ihren Taten messen sollte. Und es wird sich zeigen, ob der neue Doppelminister dem Wissenschaftsressort, das nicht gerade ein unterkomplexes ist, genügend Aufmerksamkeit wird schenken können.

Das würde unter anderem bedeuten, mehr Geld in den FWF zu stecken und in die Universitäten. Wenn er das tut, dann sehe ich in dieser Zusammenlegung kein Problem, auch wenn diese Zusammenlegung natürlich ein problematisches Signal ist. Österreich hat jetzt schon eine der höchsten Quoten bei der Förderung wirtschaftsnaher Forschung. Und wenn die Kombination Wirtschaft und Wissenschaft dazu führt, dass diese Quote noch weiter steigt, dann wäre das eine eindeutige Fehlentwicklung. (Klaus Taschwer, derStandard.at, 7.1.2013)