Lech - Wollen wir uns über das Ich im Klaren werden, stehen wir eigentlich vor einer unlösbaren Aufgabe. Schon die begleitenden Grundbegriffe sind verwirrend: "Individuum", etwas ganz anderes als Individualität; "Person", ursprünglich nur eine Maske, eine Rolle; "Selbst", psychologisch oder doch philosophisch zu definieren; "Bewusstsein", ein Wort, für das es im Englischen zwei sehr verschiedene Übersetzungen gibt, wie überhaupt viele einschlägige Termini sich kaum übersetzen bzw. rückübersetzen lassen: me, myself and I ...

Und trotzdem, sagt Philosophieprofessor und Autor ("Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?") Richard David Precht, sprechen wir dauernd und offenbar mühelos in der Ich-Form. Aufgabe des Philosophen ist es aber, Begriffe auf ihre historische Bedingtheit und Brauchbarkeit hin zu untersuchen. Beim 17. Philosophicum Lech nähert sich Precht dem Symposiumsthema "Ich. Der Einzelne in seinen Netzen" in Form einer furiosen Berg-und-Tal-Fahrt durch die Geistesgeschichte.

Ich und Neurowissenschaft

Der zweite große Gipfel nach den Griechen war die Hausse vom Ich in Zeiten der Aufklärung, die Emanzipation des Bürgertums begleitend. Damals genoss die introspektive Methode - sich selber Gedanken über (Ich-)Erfahrungen zu machen - höheres Ansehen als der an den Naturwissenschaften orientierte Empirismus. Heute hingegen stehen wir vor einem "Scherbenhaufen der Ich-Philosophie", nicht zuletzt angesichts der Erfolge der Neurowissenschaften.

Diese machen das Ich an Hirnregionen fest, quasi als Nebenprodukt der Evolution. Sind wir damit am Ende der Ich-Geschichte? Keineswegs. Es gehört zu den Erkenntnissen in Lech, dass über die vermeintlichen Grenzen oder endgültigen Antworten hinaus weitergedacht und diskutiert wird. Konrad Paul Liessmann, Leiter des Symposiums, und Peter Strasser (Uni Graz) spannen den Bogen vom Vereinzelten zum "Massenmenschen", von der Selbstsorge zum Narzissmus, von der Antiquiertheit des Privaten bis zur Orientierung an sozialen Netzen. - Von weiteren Vorträgen wird noch zu berichten sein. (Michael Freund, DER STANDARD, 28.9.2013)