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Der FC Bayern konnte in den letzten drei Jahren kein Ligaspiel gegen Dortmund gewinnen, verlor vier von sechs Duellen.

Foto: EPA/Bernd Thissen

Bayern und Dortmund spielen grundsätzlich beide ein 4-2-3-1. Bleiben die Trainer ihrem Spielsystem treu, könnte die Aufstellung am Samstag etwa so aussehen. Klopp passte sein System in den vergangenen Monaten allerdings häufig stärker an das von Heynckes an als noch in den Meistersaisonen.

Grafik: Tom Schaffer/ballverliebt

Am Samstag bestreiten - so viel Zeit muss einmal sein - der Fußball-Club Bayern München und der Ballspielverein Borussia Dortmund im Wembley-Stadion das 21. Finale der UEFA Champions League. Nach einer herausragenden Saison für den deutschen Fußball stehen sich am geheiligten Rasen in London zwei Teams mit einer zwar konträren, doch jeweils gut entwickelten und lange eingespielten Philosophie gegenüber.

Ballbesitz gegen Umschaltspiel

Einen wesentlichen Unterschied findet man beim Ballbesitz. Nur Barcelona hält den Ball länger in den eigenen Reihen als die Bayern. Die "warten" ähnlich wie die Katalanen beim Vorrücken geduldig und risikoavers auf aufgehende Lücken. Dementsprechend hoch ist auch ihre Passerfolgsquote (86 Prozent). Dortmund liegt, was den Ballbesitz anbelangt, hingegen im unteren Drittel der 32 diesjährigen Champions-League-Teams und pflegt stattdessen ein schnelles Umschaltspiel (79 Prozent Passgenauigkeit).

Auf das Ballhalten eher zu verzichten (Dortmund hat heuer in der CL 44 Prozent, vorige Saison hingegen durchschnittlich 54 Prozent Ballbesitz) und das laufintensive Offensivpressing der beiden Meistersaisonen zu reduzieren ist eine Lektion, die Jürgen Klopp aus dem internationalen Versagen im Vorjahr gelesen haben will. Bälle werden jetzt gezielter, aber tiefer erobert. Gelingt dies, geht es weiterhin so schnell wie möglich nach vorne. Dort wartet mit Lewandowski ein überragender Ballsicherer. Die patente Dreierreihe Marco Reus, Mario Götze und Jakub Blaszczykowski, die normalerweise mit viel Geschwindigkeit auf den Ableger nachrückt, falls sie den Ball nicht ohnehin selbst nach vorne bringt, wird in London allerdings nicht in gewohnter Formation zum Zug kommen, da Götze verletzt passen muss.

Attraktivität durch Gegensätzlichkeit

Diese unterschiedliche Anlage ist wohl ein Grund dafür, warum die Spiele zwischen diesen beiden Teams in den letzten Jahren so attraktiv anzusehen waren. Ähnlich wie im spanischen Clasico beherrschen auch die beiden deutschen Klubs genau den Angriffsstil, der dem Gegenüber weh tun kann. Der Unterschied lässt sich statistisch schön erkennen. Die Bayern tätigen fast 100 Pässe mehr pro CL-Spiel als Dortmund. Interessanterweise gleichen sich trotzdem (anteilsmäßig) die kurzen und langen Pässe (je 87 bzw. 13 Prozent).

Allerdings darf man nicht komplett vergessen, dass die beiden Spiele gegen Barcelona (und übrigens auch gegen das Dortmund nicht ganz unähnliche Arsenal, das die Bayern fast ausgeschaltet hätte) die traditionellen bayrischen Statistiken etwas verzerrt haben. Die Müncher verfolgten dort doch einen wesentlich reaktiveren und direkteren Stil - sie können also auch anders.

Das ist auch ein Grund, warum man dem Finale gespannt entgegenblicken kann: Beide Trainer haben ihren Teams die Fähigkeiten eingeimpft, während dem Spiel im Notfall grundlegende Dinge zu ändern. Der FCB geriet in dieser Saison zwar selten in die Verlegenheit das zu tun - Dortmund musste häufiger Rückstände drehen - aber gerade die direkten Duelle gestalten sich taktisch oft außerordentlich dynamisch.

Klopps Optionen in der Trickkiste

Den Bayern wird - wie gegen Barça auch im Finale - wohl Toni Kroos fehlen, der ihnen im Zusammenspiel mit Bastian Schweinsteiger und Javi Martinez im Mittelfeld viel Kontrolle verleiht. An seiner Stelle wird hinter Mario Mandzukic Thomas Müller spielen - ein schneller Läufer mit dem Riecher für die Lücken, aber kein bestimmender Spielmacher und Kontrolleur. Möglicherweise greift Jürgen Klopp deshalb nach der Überlegenheit im Zentrum und bietet zur Abwechslung mit Ilkay Güdogan und Nuri Sahin zwei spielstarke Sechser auf.

Alternativen zu Sahin sind die gewohnterweise spielenden Sebastian Kehl oder Sven Bender. Da Götze am Samstag nicht mitwirken kann, wird voraussichtlich Reus zentral und Kevin Großkreutz links spielen. Das dürfte Dortmund allerdings etwas Kreativität rauben.

Beide Teams kennen sich natürlich durch die vielen hochkarätigen Duelle der letzten Jahre sehr gut, Sahins Einsatz wäre deshalb eine der realistischeren Möglichkeiten für die taktische Trickkiste. Sicher gesetzt ist Gündogan, der für das Spiel der Schwarzgelben enorm wichtig ist. Er kann den Ball unter Druck behaupten, stellt defensiv alles zu, und offensiv ist der 22-jährige deutsche Teamspieler in die meisten Angriffe eingebunden oder einleitend tätig. 

Gündogan und Schweinsteiger als Pressing-Ziele

Bayern wird versuchen, ihn aus der Gleichung zu nehmen. Mario Mandzukic wird sich tiefer fallen lassen, um Gündogan zu stören. Der Kroate kann das und wird deshalb auch Mario Gomez als bayrischer Stürmer vorgezogen. Mandzukic hat heuer zum Beispiel schon Juves Andrea Pirlo mit Attacken aus dessen Rücken entnervt.

Die Maschine der Bayern schnurrt allgemein geschmeidig, deshalb sollte man sich keine Überraschungen beim Personal erwarten. Martinez und Schweinsteiger werden von Beginn an auflaufen und die Bälle verteilen. Besonders der deutsche Taktgeber könnte dabei gefragt sein. Dortmund verschiebt bei gegnerischen Angriffen über die Flanken immer wieder sehr aggressiv.

Dieses Pressing führt oft zu Ballgewinnen und schnellen Vorstößen über die schnellen Flügel (vor allem die polnische Achse Lukasz Piszczek/Kuba Blaszczykowski hat ja die EM 2012 erstaunt), macht sie gegenüber zügigen Seitenwechseln aber etwas anfälliger.

Die Bayern sind ein Team, dass diese Pressingsituationen lösen und rasch verlagern kann. Gerade Schweinsteiger fügt dem bayrischen Spiel genau dieses Element hinzu. Lewandowski muss ihn in solchen Situationen schnell unter Druck setzen.

Unterschiedliche Spielarten, klonverdächtige Statistiken

Trotz verschiedenen Spielarten, der Output von FCB und BVB ähnelt sich. Sowohl Bayern (16,8) als auch Dortmund (14,6) liegen unter den zehn besten CL-Teams, wenn es um die Anzahl der Schüsse pro Spiel geht. Bei den Schüssen auf das Tor (BVB 6,6/FCB 6,4) sind beide gar unter den besten vier. Ebenso bei denen ins Tor. Die Münchner treffen im Schnitt 2,4 Mal, die Borussen 1,9 Mal.

Die Bayern kommen recht oft innerhalb des Fünfers zum Abschluss. Acht Prozent aller Versuche kommen aus unmittelbarer Tornähe. Dortmunds vier Prozent aus dieser Zone sind eher unteres CL-Mittelfeld. Der bevorzugte Abschlussraum des BVB ist der sonstige Strafraum. Wenig andere Teams schaffen es, sechs von zehn Torversuchen aus dieser Zone anzubringen. Der Durchschnitt sind etwa die vier von zehn des FC Bayern. Beide Teams schießen (vergleichsweise) selten aus der Distanz - wobei die Bayern (etwa jeder zweite Abschluss) doch öfter als der BVB (eher jeder dritte).

Keinen Unterschied gibt es bei den groben Angriffsmustern. Mehr als sieben von zehn Angriffe laufen gleichmäßig verteilt über die Seiten, vier von zehn werden auch aus seitlichen Positionen abgeschlossen. Die Statistiken der beiden Teams unterscheiden sich hier kaum voneinander, wohl aber von vielen anderen der 32 Champions League-Teams. Nur Kiew und Malaga versuchen es seltener im Zentrum als die Bayern. Barcelona trägt zehn Prozent mehr Angriffe durch die Mitte vor.

Bayern über Lahm-Robben-Flanke relativ anfälliger

Der einzige statistische Ausbruch aus der Symmetrie ist bei den gegnerischen Abschlüssen der Bayern zu finden. Die Gegner finden auf der rechten Abwehrseite vergleichsweise häufig (23 Prozent vs. überragende acht Prozent links) die Möglichkeit vor. Das lässt sich wohl aus zwei Faktoren ableiten. Philipp Lahm nimmt erstens grundsätzlich mehr Risiko bei Vorstößen als David Alaba. Und zweitens hat der Kapitän mit Arjen Robben oft auch keinen so disziplinierten Arbeiter wie Alaba mit Franck Ribery vor sich (weshalb der Niederländer rechts auch nur mehr zweite Wahl hinter Müller ist, wenn Kroos fürs Zentrum fit ist).

Diese defensive "Schwäche" lässt sich allerdings relativieren, denn die Münchner ließen in dieser CL-Saison durchschnittlich überhaupt nur neun Versuche ihrer Opposition zu. Lediglich der FC Porto verteidigte noch konsequenter. Dortmunds Gegner dürfen es immerhin zwölfmal probieren, was aber immer noch selten ist.

Zittern muss Dortmund wie schon gegen Malaga um den Einsatz von Mats Hummels, der im Saisonabschlussspiel gegen Hoffenheim verletzt ausgetauscht werden musste. Es soll eng für den Abwehrchef werden, der wegen seiner Antizipationsfähigkeiten und seinem Auge für den eröffnenden Pass als extrem wichtig gilt. Mit Felipe Santana an seiner Stelle und dem konsequenten Neven Subotic an seiner Seite vor Keeper Roman Weidenfeller würde dem BVB in diesem Bereich etwas Qualität abgehen.

München kann auch austeilen

Bei den Bayern kann man davon ausgehen, dass zwischen Philipp Lahm und David Alaba der Brasilianer Dante und Jerome Boateng an den Start gehen werden. Beide haben die nötige Geschwindigkeit um schnelle BVB-Gegenstöße abzufangen, was dem neuen frischgebackenen deutschen Meister erlauben wird, höher aufzurücken. Mit Manuel Neuer wartet dahinter immerhin noch ein "mitspielender" Keeper.

Klappt das Ausbremsen mit spielerischen Mitteln einmal nicht, sind die Bayern in ihren Mitteln auch nicht zimperlich. Sie haben mehr Karten als jedes andere Team der CL bekommen (28 Mal Gelb und einmal Rot). Natürlich ist der Spitzenwert das auch eine logische Folge davon, dass sie mehr Spiele als die meisten anderen Teams haben. Allerdings: Dortmund hat mit gerade einmal 13 Gelben Karten bisher weniger Karten als 25 andere Mannschaften provoziert. Während beide Teams in der Liga Niedrigswerte bei Karten haben (der BVB kam 2012/13 komplett ohne Gelbsperre aus), steigen die Bayern international also härter ein - Dortmund nicht.

Fazit

Die Bayern sind aufgrund ihrer dominanten Saison der Favorit für das Finale in Wembley, zumal Dortmund auf Götze verzichten muss und um den angeschlagenen Hummels bangt. Dortmund hat in den letzten Jahren aber bewiesen, dass sie dem deutschen Rekordmeister weh tun können. Wie das Spiel verlaufen wird ist nicht zuletzt aufgrund der taktischen Flexibilität der Klopp-Truppe schwer zu sagen. Während die Bayern für ihr 4-2-3-1 selten Grund zum kompletten Umstellen haben, hat der BVB gegen die Bayern in den letzten Monaten und Jahren unterschiedliche Formationen (4-5-1, 4-2-3-1 und 4-3-3) und Interpretationen dieser Reihen (etwa mit Gündogan auf der 6 oder der 10) versucht. Oberflächlich betrachtet war man damit lange erfolgreich. Bayern konnte in den letzten drei Jahren immerhin kein Ligaspiel gewinnen, verlor vier von sechs Duellen.

Allerdings wird das die Mannschaft von Jupp Heynckes nicht beunruhigen. Die zwei Remis stammen aus dieser Saison, und die letzten Duellsiege gingen ebenso nach München: 2012 war das ein 2:1 im Supercup und im Februar ein 1:0 im DFB-Pokal-Viertelfinale. Dortmund hat seit der 5:2-Dresche im Vorjahres-Pokalfinale nicht mehr gewonnen. Seit Klopp sich in direkten Duellen mehr nach dem Spiel der Bayern richtet, scheint man vom Siegen doch immer einen Schritt entfernt. Die Frage ist, ob Klopp glaubt, dass er diesen reaktiven Ansatz verbessern kann, oder ob er mit einer Besinnung auf die eigenen Stärken im 4-2-3-1 die Flucht nach vorne antritt. (Tom Schaffer, derStandard.at, 23.5.2013)