Unglücklich liebender Lebemann: Leonardo DiCaprio als Titelheld der Neuauflage von "The Great Gatsby". 

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Ein Mann auf einem Steg, den Rücken der Kamera zugewandt, den Blick sehnsüchtig auf die nächtliche See gerichtet. Aus dem Nebel leuchtet ihm ein grünes Licht entgegen, er hebt seine Hand und versucht danach zu greifen, doch die Distanz ist zu groß. Zwischen Gatsby und der Zukunft und der Erfüllung seiner Wünsche liegt eine Zeitspanne, die sich niemals überbrücken lässt.

Es handelt sich um eine der prunkloseren Szenen aus Baz Luhrmanns Neuverfilmung von The Great Gatsby, aber ihre Wirkung ist der vieler anderer überlegen: Das romantische Setting und der stimmig eingesetzte 3-D-Effekt greifen hier so ineinander, dass man als Zuschauer das Begehren des mysteriösen Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) tatsächlich nachvollziehen kann. Später erst wird man erfahren, dass am anderen Seeufer jene Frau lebt, nach der er sich schon seit fünf Jahren verzehrt: Daisy Buchanan (Carey Mulligan), seine Lebensliebe, die er als junger Offizier nicht heiraten konnte, weil ihm damals noch die Mittel fehlten.

Alles vollzieht sich in F. Scott Fitzgeralds Roman aus dem Jahr 1925 in einer rauschhaft schnell vergehenden Gegenwart. Die Vergänglichkeit ist sein eigentliches Thema. Für das Kino ein idealer Stoff, bildet es doch die Erfahrung einer vergangenen Ära wie kein anderes Medium ab. Dem Australier Luhrmann, der sich mit seinem popkulturell aufgepeppten Bilderteppichstil (Moulin Rouge!) vor allem auf funkelnde Oberflächen versteht, entgeht in seinem Film jedoch dieses Vanitas-Moment. Er inszeniert Gatsbys überbordende Partys mit Neo-Art-déco-Kostümen, silbernem Konfetti-Regen und Feuerwerk am See so, als gelte es einfach, fröhlich mitzufeiern - von der Ahnung einer Endzeitstimmung fehlt jedoch jede Spur.

Zweckmäßiger Glamour

Der in den USA bereits erfolgreich gestartete Film hat am Mittwochabend das Filmfestival von Cannes eröffnet, für das er in Sachen Glamour den Zweck erfüllt. Als Hollywood-Produkt, das Ausstattung über dramatische Verdichtung stellt, erscheint er allerdings wie eine künstlich eingeschrumpfte Welt, über die der Erzähler Nick Carraway (Tobey Maguire) selbst einmal sagt, sie wirke wie ein Vergnügungspark. Von seinem winzigen Cottage aus betrachtet, sieht das Anwesen seines Nachbarn Gatsby eher wie eine Attraktion in Las Vegas aus.

Diese Oberflächenreize sind schuld daran, dass der Film recht leblos wirkt. Luhrmann malt sich zwar immer wieder - beispielsweise in einem ausgiebigen Saufgelage in Rot- und Gelbtönen - ein Bild von Exzessen aus; man blickt darauf jedoch mehr wie in ein hübsch dekoriertes Schaufenster mit beweglichen Figuren.

Erst spät, als Gatsby seine Gefühle offenbart und hinter der Fassade des perfekt lächelnden Lebemanns die Tragik eines Neureichen zum Vorschein kommt, gewinnt der Film an Dringlichkeit. In der Szene des ersten Wiedersehens der beiden Liebenden dürfen die Darsteller das erste Mal richtig spielen, dann auch gleich mit komischem Gewinn. Joel Edgerton legt als rüpelhafter, aber gerissen taktierender Tom Buchanan - der Ehemann Daisys - im offenen Konflikt mit Gatsby dann eine Kantigkeit in sein Spiel, die der Dramatik des Geschehens sehr nützlich ist.

"Du kannst die Vergangenheit nicht wiederholen", sagt Carraway einmal zu Gatsby - ein Satz, in dem dessen ganzes Dilemma zum Ausdruck kommt. Für diesen Riss in der Figur findet Luhrmann letztlich jedoch zu wenig Nachdruck. Anstatt auf die Geschichtlichkeit seines Helden (und Fitzgeralds) zu vertrauen, entfesselt er einen virtuellen Reigen, in dem zu vieles gleichwertig nebeneinandersteht. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 16.5.2013)