Studie eines alten Mannes mit Efeukranz und nicht Weinlaub, jedenfalls von Klimt, war erstmals 1942 im Angebot eines Auktionshauses.

Foto: Im Kinsky
Foto: Univ. Heidelberg
Foto: Im Kinsky

Zu- und Abschreibungen gehören zum Alltag von Kunsthistorikern, die ihre (revidierte) Meinung mit (neuen) Fakten belegen und Analysen untermauern, die stilistische Entwicklungen und Vergleiche zu anderen Werken des Künstlers inkludieren. Das ist Teil der weiterführenden Forschung, die eben nicht auf einem Status von vor 200 oder 50 Jahren eingefroren wird. Beispiele gibt es zuhauf, sowohl hinter den Kulissen musealer Institutionen als auch in der Öffentlichkeit zelebrierte.

Letzteres entbehrt nicht gewisser Tücken, denn die Diskussionen werden vordergründig auf einer sachlichen Ebene geführt. Tatsächlich sind aber auch Emotionen im Spiel, denn es geht um Reputation, um den Ruf, den Experten in ihrem Fachuniversum zu verteidigen haben oder zu etablieren hoffen. Damit verbunden sind wiederum Anerkennung, eine Portion Eitelkeit und ja, auch ein Quantum Macht.

Und selbst wenn Wissenschafter stets ihre Unabhängigkeit betonen, spielen wirtschaftliche Interessen dennoch eine Rolle. Wenn nicht direkt, dann eben indirekt für den Besitzer eines "strittigen" Kunstwerkes. Womöglich hat der beispielsweise vor Jahren für vergleichsweise viel Geld ein Gemälde erworben, das später über neue Erkenntnisse der Kunstforschung abqualifiziert und damit abgewertet wird. Die umgekehrte Situation gibt es ebenfalls, wenn auch seltener. Mit anderen Worten: Experten entscheiden damit auch über Werte, ob sie das nun wollen oder nicht. All diese Tatsachen und Nebengeräusche erklären, warum in der heimischen Branche in einem aktuellen Fall die Wogen besonders hochgehen.

Anlass ist die Ölstudie eines alten Mannes, die im Zuge der Meisterwerke-Auktion kommende Woche (23. 4.) im Kinsky zur Versteigerung kommen soll (siehe DER STANDARD, 10. 4., "Ganz sicher ein Klimt"), die jedoch nur mit "Klimt" signiert ist. Vom großen und international hofierten Gustav oder vom eher unbekannten Ernst? Die beiden Einzigen, die das zweifelsfrei deklarieren könnten, sind seit 1918 bzw. 1892 unter der Erde.

Wann wurde aus Ernst Gustav?

Gustav: Das war die über das allererste Werkverzeichnis (Wvz) seit 1967 (Nowotny/Dobai) in der Fachliteratur zementierte Meinung, die aktuell von einer Reihe von Experten vertreten wird. Etwa von Hansjörg Krug, Klimt-Dokumentar und vom Kinsky berufener Experte, von Tobias Natter (Leopold-Museum, Wvz, Taschen-Vlg. 2012) und Marian Bisanz-Prakken (Albertina). Letztere mag offiziell "nur" die für Zeichnungen anerkannte Spezialistin sein, wiewohl es ihr, wie sie im Gespräch nachdrücklich betont, in ihrer 40-jährigen Forschung immer um den "gesamten" Klimt, also sowohl um den Zeichner als auch den Maler, gegangen sei.

Die Qualität der vorliegenden Studie, "die enorme Spannbreite an malerischen Differenzierungen und subtilen Kontrastwirkungen und die Art, wie diese gegeneinander ausgespielt werden", sei charakteristisch für Gustav.

Ernst: Das ist die gegenwärtig von Alfred Weidinger vertretene Meinung, mit der er seine bisherige (Wvz, Prestel-Vlg. 2007) revidiert und die auf einer intensiven Auseinandersetzung sowohl mit dem Oeuvre Gustavs als auch mit jenem Ernst Klimts basiert.

Eine Vorstudie zu dessen Gemälde Pan und Psyche (1892), so die Kurzfassung, der sich die andere Fraktion nicht anschließen mag, die gerade das Detail dieses Salonstücks, den alten Mann mit Efeukranz, als schwachen Abklatsch bezeichnet.

Ernst, deklarierten etwa auch schon die Schätzmeister des "Kunstauktionshauses Kärntnerstraße" (siehe Faksimile), wo das Bild im Dezember 1942 zur Versteigerung kam. Es blieb dort ebenso unverkauft wie im März 1943 bei einer Auktion im Dorotheum. Die Klimt-Forschung steckte damals noch in den Kinderschuhen, und man kann heute nur mutmaßen, warum ein lediglich mit "Klimt" signiertes Werk als eines von Ernst gelistet wurde.

Könnte die Signatur nachträglich manipuliert worden sein? Denkbar, zieht Weidinger in Erwägung, ist auszuschließen, erklärt Restaurator Manfred Siems, der das Bildnis vom vergilbten Firnis befreite. Möglich, dass in der Provenienzchronik des Werkes nähere Hinweise schlummern, wann aus dem Ernst erstmals ein Gustav wurde. Nur, diese wurde bei aller aktuellen Fachsimpelei gar nicht erst erforscht und verweist laut Standard -Recherchen tatsächlich auf eine womöglich problematische Vorgeschichte.

Problematische Provenienz?

Im Oeuvrekatalog von 1967 wurde eine Sammlung "Josef Salvagni" als Herkunft angeführt ("derzeitiger Besitz unbekannt"). Ob die Angaben auf der Rückseite (u.a. Siegel) dabei eine Rolle spielten? Eventuell ein Transkriptionsfehler, wie Standard-Recherchen vermuten lassen. Denn in der Frakturschrift ähneln sich die Buchstaben "S" und "G".

In den Lehmann-Adressbüchern der Jahre 1939-42 findet sich ein gewisser Joseph Galvagni, wohnhaft in Wien VIII, Krottenthallergasse 10, von Beruf "Generalsekretär". Den nächsten Puzzlestein trug kurz vor Redaktionsschluss das Research Center des Belvedere mit Verweis auf eine 2004 erschienene Publikation der Österreichischen Historikerkommission bei: In der Studie "Entziehung jüdischen Vermögens im Rahmen der Aktion Gildemeester" (Theodor Venus, Alexandra-Eileen Wenck) scheint Galvagni nicht nur als aktives NSDAP-Mitglied, sondern als "Generalsekretär" der Aktion Gildemeester auf.

Diese 1938 in Wien eingerichtete Organisation hatte nicht nur die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung forciert, sondern den Vermögensentzug Auswanderungswilliger regelrecht betrieben. Wie Joseph (von) Galvagni in den Besitz des alten Mannes mit Efeukranz kam, scheint - schon um Raubkunst auszuschließen - in dieser Causa damit eine nicht minder relevante Frage zu sein.  (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 20./21.4.2013)