Hübsche Bilder, aber etwas langatmig und mit nicht sehr stark ausdifferenzierten Figuren: Der Film "Mitternachtskinder", der Salman Rushdies literarischer Vorlage folgt.

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Der britisch-indische Autor fungiert selbst als Drehbuchautor und als Erzähler.

Wien - Ein anderer Drehbuchautor wäre wohl keine schlechte Idee gewesen. Weniger prestigeträchtig zwar, dafür mit mehr Erfahrung und einer gesunden Distanz zur Literaturvorlage. So hat es niemand anderer als Salman Rushdie auf sich genommen, seinen 1980 erschienen Meisterwälzer Mitternachtskinder für die Leinwand zu adaptieren. Zusätzlich spricht der britisch-indische Autor in der Originalfassung auch noch den Erzähler. Kein kleiner Part in einem Film, der mit 127 Sprechrollen das Vorantreiben des Plots auf sehr viele Zungen verteilt.

Mitternachtskinder erzählt die Geschichte Saleem Sinais. Er erblickt am 15. August 1947, dem Tag der Unabhängigkeit Indiens, um Mitternacht das Licht der Welt, mithin ist sein Leben untrennbar mit der Geschichte des Subkontinents verknüpft. Eigentlich wird er in eine arme Familie von Straßenmusikern geboren, seine Hebamme und spätere Haushälterin legt ihn jedoch in einem Akt radikaler Umverteilung in die Wiege der wohlhabenden Familie Sinai. Deren leiblichem Spross Shiva wird hingegen die Jugend eines Bettelknaben zugeteilt, während deren er sich, vom Filmgeschehen weitestgehend ausgeschlossen, zum Gegenspieler Saleems entwickelt.

Unterdessen offenbart sich Saleem die Kraft seiner Nase. Durch gekonntes Hochziehen ist es ihm möglich, all jene Kinder um sich zu scharen, die zur Stunde der Unabhängigkeit Indiens geboren wurden und daher wie er über besondere Fähigkeiten verfügen. Später werden diese Mitternachtskinder als Erklärung für den von Indira Gandhi 1974 verhängten Ausnahmezustand herhalten müssen, und ein Hauch von X-Men wird durch die bis dahin sehr aufgeräumten Slums von Delhi wehen. Der magische Realismus des Buches erscheint hier mehr befremdlich denn poetisch.

Verdunkelter Himmel

Nähere Kenntnisse der Geschichte Indiens zwischen 1918 und 1977 sind durchaus hilfreich, wenn der Film trotz der Spielzeit von 150 Minuten im Eiltempo von den Unabhängigkeitsbestrebungen Pakistans erzählt, einen scheidenden Kolonialherren zu Wort kommen lässt, ein Schlachtfeld in Bangladesch besucht und schließlich eine unheimliche Premierministerin Gandhi den Himmel im wahrsten Sinne des Wortes verdunkeln lässt. Kleinigkeiten wie Kastenwesen, Glaubenskämpfe und staatlich verordnete Vasektomie müssen da in Nebensätzen behandelt werden.

Das Hauptproblem des von Regisseurin Deepa Mehta in erwartungsgemäß hübschen Bildern vermittelten Skripts liegt jedoch darin, dass die Figuren unterentwickelt bleiben und ihre Schicksale kaum berühren. Rushdies offensichtlicher Wille, seinen Roman in dessen Breite zu adaptieren, erweist sich für einen abendfüllenden Film als nicht praktikabel. 30 Minuten vergehen bis zur Geburt des Helden - eine Zeit, die mit den kuriosen Lebenswegen seiner (nichtleiblichen) Vorfahren zwar nicht vergeudet wird, später aber dennoch bitterlich fehlt, wenn die Dreiecksbeziehung zwischen Saleem, Shiva und der Mitternachtstochter Parvati eine wenig nachvollziehbare Behauptung bleiben muss.

In dem an sich starken Ensemble gelingt es Satya Bhabha in der Rolle Saleems zudem nicht, den in der Transkription verlorengegangen Charme des Helden zu reanimieren. Während der Erzählstrom einem durch zu viele Badende eingetrübten Ganges gleich dahinmäandert, bleibt Saleem nicht mehr als ein ziellos Taumelnder mit rinnender Nase. (Dorian Waller, DER STANDARD, 27.3.2013)