Sommer, Sonne, trügerische Freiheit: Ann-Kristin Reyels schickt in "Formentera" ein Paar auf einen Inselurlaub, in dessen Verlauf die Zweisamkeit brüchig wird.

Foto: Filmdelights

Wien – Die Anreise ist idyllisch. Ben schmiegt sich an Nina und flüstert ihr ein "ich liebe dich" zu. Die Sonne scheint, die Fähre steuert auf die Ferieninsel zu, die kleine Tochter des jungen Paares ist in Deutschland bei der Oma geblieben. Alles könnte gut werden, aber Urlaubsreisen sind delikate Angelegenheiten. Vom Alltag verdeckte Bedürfnisse und Eigenschaften können da zutage treten und sich zu gravierenden Unvereinbarkeiten auswachsen, neue Bekanntschaften das austarierte Verhältnis von zweien stören.

Das Kino macht aus diesem Umstand herrliche Situationskomödien – wie Elaine Mays ultimative Flitterwochensabotage The Heartbreak Kid – oder großartig konzentrierte (Insel-)Dramen: Die britische Filmemacherin Joanna Hogg hat sich in diesem Genre zuletzt gleich mehrfach empfohlen. Ihre deutsche Kollegin Maren Ade hat mit Alle anderen 2009 eindeutig den Nerv des Publikums getroffen. Und auch Formentera ist dieser ernsthaften Urlaubsabrechnungsfraktion zuzurechnen.

Alt-Hippies und Neo-Berliner

Der zweite Kinofilm der deutschen Regisseurin und Autorin Ann-Kristin Reyels spielt auf der kleinen Baleareninsel gleichen Namens. In den 1960er- und 70er-Jahren war Formentera wie das benachbarte Ibiza Anlaufstelle für Aussteiger; Teile dieser Hippie-Kultur haben sich bis heute erhalten. Der Däne Ben (Thure Lindhardt), der jetzt in Berlin lebt, kennt das aus seiner eigenen Kindheit. Seine Freundin Nina (Sabine Timoteo) trifft hier nicht nur auf einen ihm vertrauten Kommunenverbund, sondern auch auf ein ihr selbst ein Stück weit fremdes Lebensmodell: "Toll, wie die Kinder hier aufwachsen." – "Die sind doch nur sich selbst überlassen."

Formentera stellt diese Formation rund um Nina zügig auf, aber damit ist erst einmal noch nichts entschieden. Reyels, die ihre Protagonisten in ihrem viel beachteten Debüt Jagdhunde durch die winterliche Uckermark streifen hat lassen, entwickelt auch hier aus dem Schauplatz (trügerische) Atmosphären. Diesmal schwelgt der Film – wie seine Figuren – im Sommerlicht. Tagsüber am Strand, im warmen Gegenlicht, werden sie davon fast aufgesogen, nachts erscheinen sie im spärlichen Kerzenschein wie von alten Meistern ausgeleuchtet.

Nina beobachtet. Sie streunt umher. Sie fühlt sich ausgeschlossen, und sie nimmt sich selbst zurück. Ben hat Hintergedanken. Aber nicht so, wie Nina denkt. Nachts performt die Band Bonaparte am Strand; Mara (Vicky Krieps), die so alt ist wie Nina, aber so lebt wie deren Gastgeber, will nach dem Ende dieser Party hinüber nach Ibiza schwimmen. Nina, die weiß, dass sich Ben seit einem Unfall als kleiner Junge vor dem Wasser fürchtet, zieht mit.

Das Drama, das sich schon länger ankündigt, spitzt sich damit zu. Allerdings ohne den Film deshalb gleich in die nahe liegendste Richtung zu treiben. Und das ist – neben der geballten Dosis Licht für Oster-Winter-Geschädigte – nicht der geringste Grund für einen Gang ins Kino. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 26.3.2013)