Bild nicht mehr verfügbar.

Lavendel, Minze, Bergamotte, Cassis, Moschus, immer wieder einprägen.

Foto: Nic Miller/Corbis

Fein säuberlich im Halbkreis stehen 300 dunkle Fläschchen aufgereiht. In jedem steckt ein Duft. Manche sind einem vertraut, beschwören angenehme Erinnerungen herauf. Andere sind dabei, die man genau zu kennen glaubt und doch nicht benennen kann. Es sind Düfte darunter, die sich wie Lavendel und Rosmarin spontan identifizieren lassen. Andere riechen so übel, dass man bereut, den Geist aus der Flasche gelockt zu haben.

Der Arbeitsplatz eines zukünftigen Parfümeurs hat nichts mit einer Blumenwiese zu tun. Er ist weiß, klinisch sauber wie ein Labor, und man begreift sofort: Der Geruchssinn ist derjenige unserer fünf Sinne, den wir am meisten vernachlässigen. Nur einen Bruchteil der 10.000 unterscheidbaren Duftstoffe können die meisten Menschen benennen. Eine professionelle Nase, wie die Parfümeure heute bezeichnet werden, kommen nach zehn Jahren Training auf 3000 bis 4000. Wer die Grundausbildung zum Parfümeur macht, muss immerhin 300 Gerüche im Gedächtnis speichern und beschreiben können.

Aber riechen, lässt sich das wirklich lernen? "Ja, absolut", sagt Cécile Montier, Direktorin der ISIPCA. Die Abkürzung steht für "Institut supérieur international du parfum, de la cosmétique et de l'aromatique alimentaire". Montier leitet die internationale Hochschule für Parfümerie, Kosmetik und Aromen. Sie ist angesiedelt vor den Toren von Paris, in Versailles, unweit des Schlosses, wo Ludwig XIV. Hof hielt, jener König, von dem erzählt wird, er sei so verrückt nach Parfüm gewesen, dass er am Ende auf viele allergisch reagiert habe.

Es ist ein Campus, wie man ihn sich idyllischer kaum vorstellen kann: Von Bäumen umsäumt zwei alte Villen, die 2004 durch einen modernen, gläsernen Bau mit 14 Laboren ergänzt wurden. Auch eine große Bibliothek mit Dokumentationszentrum gehört dazu und eine Osmothèque, ein Duftkonservatorium, in dem die Formeln von mehr als 1800 Parfums, darunter 400, die längst aus dem Handel verschwunden sind, hinter Schloss und Riegel bewahrt werden.

Gegründet von Jean-Jacques Guerlain

Der Parfümeur Jean-Jacques Guerlain war es, der die Hochschule vor über vierzig Jahren gegründet hat. 1984 ist sie von der Industrie- und Handelskammer von Versailles übernommen worden und gehört heute zu einer der weltweit renommiertesten Ausbildungsstätten der Lebensmittel-, Kosmetik- und Parfümindustrie. Zu ihren Absolventen gehören Francis Kurkdjian, der nach einer steilen Karriere 2009 seine eigene Marke gegründet hat, und Patty Canac, die sich als Dufttherapeutin von Rehakliniken einen Namen gemacht hat und Unfallopfern mit Düften hilft, das Gedächtnis und oft auch die Sprache wiederzufinden. Beide unterrichten heute an der ISIPCA. Man lernt hier also riechen. Aber was heißt das genau? Ein Besuch der 14 Labors gibt einen Einblick in die Spannbreite des Berufsfeldes: In einem Labor duftet es nach Kaffee, in einem anderen riecht es nach Joghurt. In einer Duftkabine werden Raumkerzen getestet, in der anderen steht ein Wäscheständer. "Hier geht es darum zu kontrollieren, ob der Weichspüler tatsächlich so riecht, wie der Hersteller es vorgesehen hat", sagt Fabienne du Teil, Marketingchefin der Schule.

Von der Kosmetikberaterin, die später Kundinnen in Kaufhäusern die passende Creme empfiehlt, über Marketing- und Packagingexperten, Flavoristen, die Aromen für die Lebensmittelindustrie entwickeln, bis hin zum klassischen Parfümeur reicht das Feld der Berufe, die man an der ISIPCA erlernen kann. Alles hängt mit Düften und Aromen zusammen, aber nicht alle Absolventen dürfen davon träumen, am Ende der Ausbildung eine Nase zu sein. "Ein Besuch der ISIPCA führt nicht automatisch zu einer Karriere als Parfümeur, der ein neues Shalimar kreiert oder den Nachfolger von Chanel No 5", sagt du Teil, "das sind Ausnahmen." Nur wer ein Grundstudium in Chemie hinter sich hat, kann sich auf einen Platz im Masterstudiengang "fine fragance" bewerben und die zweijährige Ausbildung beginnen.

Duftothek statt Bibliothek

Gelernt wird vor allem eines: Düfte einprägen, benennen, beschreiben und in Formeln ausdrücken können. Die Studenten verbringen ihren Tag in der "Duftothek", wie andere in die Bibliothek gehen. Lavendel, Minze, Bergamotte, Cassis, Moschus, immer wieder einprägen. Wissen, wie die chemischen Bestandteile aussehen, was es mit Phenylethylalkohol und Ambroxan auf sich hat. Riechen, immer wieder, an Fläschchen, Papierstreifen, vergleichen, unterscheiden, beschreiben, komponieren.

"Wenn man ein Parfüm macht, erzählt man erst einmal seine Geschichte. Das ist nicht das Ende des Prozesses, aber es ist der Anfang", hat Jean-Paul Guerlain einmal gesagt, letzter Parfümeur der Familie. Düfte also als Geschichte erzählen, so wie andere Musikstücke komponieren. Theoretisch macht das der Parfümeur wie der Komponist im Kopf und kann sich das Ergebnis vorstellen.

Im Masterstudiengang steht am Ende als Abschlussarbeit die Entwicklung eines eigenen Parfums, wobei sich Kommilitonen um Namen, Verpackung und Vermarktung kümmern. Dennoch ist man mit dem Zeugnis in der Tasche noch kein Parfümeur. Zehn Jahre, so sagt man, dauert es, zu einer richtigen Nase zu werden. Ihre Zahl wird auf weltweit 300 bis höchstens 500 geschätzt. Die meisten sind freiberuflich tätig. Nur noch fünf große Parfumhäuser in Frankreich leisten sich noch den Luxus einer eigenen Nase.

In die Arbeitslosigkeit studiert man sich an der ISIPCA dennoch nicht. "87 Prozent der Absolventen", versichert du Teil, "finden sofort nach ihrer Ausbildung eine Stelle." Die sogenannte funktionelle Parfümerie, der ganze Bereich der Körperkosmetik und Raumdüfte, aber auch das Geruchs-Marketing spielen eine immer größere Rolle. Der Innenraum eines Mercedes, der die Fabrik verlässt, muss in Südamerika anders riechen als in Asien. Bäckereien, die nicht mehr vor Ort backen, locken ihre Kunden mit dem künstlichen Duft frischen Brotes an. Selbst Kinos sollen heutzutage gut riechen, und manchmal geht es schlichtweg darum, Produkte duftneutral zu gestalten. "Toilettenpapier", sagt du Teil, "darf nicht bereits stinken, bevor man es benutzt." Es muss nur der richtige Flaschengeist losgelassen werden. Eine Wissenschaft für sich. (Martina Meister, Rondo, DER STANDARD, 15.3.2013)

Weiter zur Ansichtssache: Neue Düfte