Christian Meyer, Jahrgang 1962, ist Gründungsdirektor der Arnold-Schönberg-Center-Privatstiftung und Vorstandsmitglied der Internationalen Gustav-Mahler-Gesellschaft.

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STANDARD: Zum zehnjährigen Jubiläum bilanzierten Sie mit 120.000 Besuchern. Ist es mit dem regen Besucherzuspruch so weitergegangen?

Christian Meyer: Wir werden seit unserer Gründung 1998 an die 200.000 Besucher gehabt haben. Die großen Ausstellungen der letzten Jahre haben besonders viele Interessierte angezogen. Zusätzlich kommen auch jährlich ungefähr tausend Schüler - aus Wien, aber auch aus Deutschland und Dänemark.

STANDARD: Sie besitzen 20.000 Manuskriptseiten und 3500 Fotos zum Schönberg-Thema. Sind diese alle wissenschaftlich aufgearbeitet? Wie muss man sich die Forschungsarbeit konkret vorstellen?

Meyer: Der weltweite Bestand an Schönbergiana teilt sich in verschiedene Corpora: in die Musikmanuskripte, seine Schriften, sein Briefwechsel und sonstige Manuskripte und Artefakte. Das musikalische Werk ist durch die Gesamtausgabe weitgehend aufgearbeitet. Da wird nur noch minimal Neues gefunden: Vor ein paar Jahren wurden zehn tonale Walzer entdeckt. Zur Serenade op. 24 - es gibt hier endlich Notenmaterial ohne Druckfehler - wurde ein Satzfragment gefunden, das Schönberg verworfen hat. 69 Takte sehr schöne Musik - wir werden sie hier im Mai uraufführen.

STANDARD: Hat es vom Schönberg-Center in der letzten Zeit Neuerwerbungen gegeben?

Meyer: Wir kaufen laufend, aber eher Unspektakuläres: ein Lied, Briefe, ein verschollenes Bild - eine Winterlandschaft. Die Erwerbung hat ein Mäzen ermöglicht.

STANDARD: Sind die Subventionen der Stadt Wien auslänglich?

Meyer: Natürlich sind wir ambitioniert und haben daher latent zu wenig Geld ... Die indexierte Subvention beträgt zurzeit ziemlich genau eine Million Euro, mit dieser bestreiten wir unsere Fixkosten. Die Kosten für Projekte wie diese Ausstellung - in diesem Fall über 200.000 Euro - werden von Erlösen, Sponsorenbeiträgen, Spenden bestritten.

STANDARD: Das Schönberg-Center widmet sich primär der wissenschaftlichen Forschung, präsentiert ergänzend auch Konzerte. Ist es schwierig, als Konzertveranstalter wahrgenommen zu werden?

Meyer: Durch die Fokussierung auf Schönberg und auf Zeitgenössisches haben wir eine Nische. Grundsätzlich fördert Konkurrenz das Interesse an Neuem. Zu beklagen ist der Verlust der Führungsrolle, die das Konzerthaus hier innehatte. Da ist, sowohl was Qualität als auch Quantität anbelangt, einiges zurückgegangen. Es wäre wichtig, dass das Konzerthaus dieser Rolle wieder gerecht wird.

STANDARD: Im Musikverein gibt es Anfang April die Wiederholung des sogenannten "Skandalkonzerts" von und mit Schönberg von 1913. Heutzutage reagiert der Konzertbesucher auf Schönberg mehr mit Apathie als mit Furor.

Meyer: Schönberg hat etwas von einer K2-Besteigung. Es ist ein unbequemer Berg, und es ist gefährlich und unvernünftig, ihn zu besteigen, aber es ist eben auch eine Herausforderung. Schönberg hat in einer Generation mehr Schritte gesetzt als viele Generationen von Komponisten vor ihm insgesamt. Zwischen Bach und Richard Strauss gab es nicht so viel Veränderung wie zwischen der Verklärten Nacht und seiner Suite op. 27. Diese radikalen Schritte musste man erst einmal verdauen.

STANDARD: In der Spätromantik hat sich alles aufgebläht: die Symphonien, das Orchester, die Harmonik. War Schönberg der, der in diese Blase reingepiekst hat, und alles ist hinausgeschleudert worden in das Universum des "Anything goes"?

Meyer: Ich sehe alles als eine harmonische Entwicklung ohne große Brüche. Schönbergs Expressionismus war eine Intensivierung der Romantik. Dann hat er die Dissonanz dadurch, dass er sie nicht mehr aufgelöst hat, emanzipiert. Damit das nicht zu anarchisch wurde, hat er die Zwölftonmethode entwickelt, sie hat ihm geholfen, in dem neuen Klangraum zu bleiben. Komponisten wie Strauss haben sich einfach nicht getraut, den Weg weiterzugehen. Vor Kolumbus sind alle, die Kontinente entdecken wollen, nach Tagen umgekehrt. Schönberg ist wie Kolumbus weitergesegelt.

STANDARD: Das Publikum hingegen macht immer noch vorrangig ihn für den Königsmord an der Tonalität verantwortlich.

Meyer: In der Postmoderne passt alles nebeneinander. Es wird heutzutage mehr tonale Musik, aber auch mehr Neue Musik komponiert denn je. Die Gesellschaft nimmt diese Pluralität der Dinge an. Ein kleines Feld davon ist Schönberg. Er war visionär und hat alles wahrhaftig empfunden, deswegen berührt es die Leute heute. Deswegen kommt auch ein Zubin Mehta zu uns und dirigiert beim Jubiläumsfest die Kammersymphonie. Und nicht zu vergessen das Arditti Quartett. Die Musiker lieben Schönberg. (Stefan Ender, DER STANDARD, 13.5.2013)