"Die Unterscheidung zwischen physischer und psychischer Erkrankung ist eine virtuelle", sagt Georg Psota, Chefarzt des Psychosozialen Diensts in Wien.

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"Psychisch krank" - das ist eigentlich "normal" in der Gesellschaft. Genauso wie fast jeder Mensch einmal an einer Influenza erkrankt, zeige er im Laufe seines Lebens auch einmal Symptome einer psychischen Erkrankung, so der Chefarzt der Psychosozialen Dienste Wiens (PSD), Georg Psota. "Die Unterscheidung zwischen physischer und psychischer Erkrankung ist eine virtuelle." Die Stigmatisierung der Betroffenen schädige genauso wie die Krankheit an sich.

"Die Bedeutung psychischen Krankseins für den Einzelnen liegt in der Angst vor sozialen Folgen, Angst vor finanziellen Folgen und der Angst vor den existenziellen Folgen", sagte der Spezialist für Alterspsychiatrie. Medienschlagzeilen wie "Irrer schießt auf spielende Kinder" oder "Irrer legt die U-Bahn lahm", seien Ausdruck von Stigmatisierung und "sicher nicht hilfreich", was die Information der Öffentlichkeit über psychische Erkrankungen angehe.

Vor allem würden - so Psota - psychisch Kranke oft quasi als "die Anderen" gesehen, eine Trennlinie zu den Betroffenen gezogen. Die statistischen Daten sehen anders aus: In den führenden Industriestaaten sind derzeit die fünf Leiden mit der größten Krankheitslast in dieser Reihenfolge die Depressionen, die koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus, die Alkoholsucht und  Herz-Kreislauferkrankungen. Damit sind psychische Erkrankungen nicht die "Leiden der Anderen", sondern jene Krankheiten, welche in der gesamten Gesellschaft an der Spitze der Prioritäten stehen sollten.

Viele große Geister psychisch krank

Die größten "Monster" der Historie waren nicht psychisch krank, wie die Geschichte der Menschheit laut Psota zeigen würde. Hingegen eindeutig von psychiatrischen Leiden geplagt waren viele der buchstäblich "größten Geister": zum Beispiel Abraham Lincoln und George Washington (beide schwere Depressionen), Winston Churchill (bipolare Depression; manisch depressiv) und Ludwig van Beethoven (alkoholkrank).

"'Psychisch krank' ist von 'psychisch gesund' nur durch Definition abgrenzbar", betonte Gabriele Sachs, Leiterin der Wagner-Jauregg Landesnervenklinik in Linz. Die Ursachen seien multifaktoriell. Gesellschaft, Arbeitswelt und Politik sollten jedenfalls entsprechend in Prävention und Behandlung investieren, um die negativen Auswirkungen zu minimieren.

Das geht auf jeden Fall aus den Daten hervor, die der Wiener Sozialmediziner Bernhard Schwarz (Karl Landsteiner Institut für Gesundheitsökonomie) präsentierte: "Psychische Erkrankungen gehören in Europa zu den am häufigsten auftretenden Diagnosen, besonders im erwerbsfähigen Alter."

Besonders bedeutend sind laut Schwarz die affektiven Erkrankungen, zu denen auch die Depression mit einer Häufigkeit von zehn bis 20 Prozent, Angsterkrankungen (14 bis 25 Prozent,) Anpassungsstörungen einschließlich 'Burn Out' (20 bis 50 Prozent) sowie Suchterkrankungen (15 bis 27 Prozent) zählen. (APA/red, derStandard.at, 21.2.2013)