Ranke-Heinemann: "Schönborn wäre tatsächlich gar nicht die schlechteste Wahl. Bei ihm hatte ich nämlich immer den Eindruck, dass er tatsächlich die Botschaft Jesu verbreitet."

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Uta Ranke-Heinemanns Studienkollege Joseph Ratzinger

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Uta Ranke-Heinemann setzte große Hoffnungen in ihren Studienkollegen Joseph Ratzinger, als der 2005 zum Papst gewählt wurde. Umso größer war ihre Enttäuschung, als sie erkennen musste, dass der neue Papst kein Reformer war. Im Gegenteil. "Mit Ratzinger erreichte die 2.000 Jahre dauernde Sexual- und Frauenfeindlichkeit ihren Höhepunkt", konstatierte sie später.

Im derStandard.at-Interview spricht sie unter anderem über ihre Enttäuschung, den überraschenden Rücktritt Benedikts XVI., Kardinal Schönborn, der nicht die "schlechteste "Wahl" als Papst wäre, und die Klone Ratzingers.

derStandard.at: Waren Sie überrascht vom Rücktritt Benedikts XVI.?

Ranke-Heinemann: Ja, ich war wirklich sehr überrascht.

derStandard.at: Denken Sie, dass etwas hinter den Putschgerüchten stecken könnte, oder war der Grund seines Rücktritt allein sein fortgeschrittenes Alter?

Ranke-Heinemann: Sein Alter ist sicher ein Grund für seinen Rücktritt, der Hauptgrund wird aber ein anderer sein.

derStandard.at: In Ihrem Buch "Eunuchen für das Himmelreich" schreiben Sie im Kapitel über Benedikt XVI., dass Ihnen erst nach dem Amtsantritt von Joseph Ratzinger als Papst klar wurde, dass er seit 1981 als Chef der Glaubenskongregation de facto die Kirche regierte. Sie schreiben später unter anderem: "Ratzinger war es, der weltweit alle fortschrittlichen Theologen von ihren Lehrstühlen fegte, Ratzinger war es (...) mit dem die 2.000-jährige Sexual- und Frauenfeindlichkeit ihren Höhepunkt erreichte." Ihre Einschätzung bei seiner Wahl 2005 war noch eine andere.

Ranke-Heinemann: Ja, da habe ich mich noch gefreut und gedacht, dass jetzt die nächste große Reformation bevorsteht. Aber er war kaum im Amt, da merkte ich, dass er nicht mehr der war, den ich seit unserer gemeinsamen Studienzeit 1953/54 kannte. Ratzinger fiel mir damals auf als sehr intelligent. Er war der Star unter den Studenten. Und ich sehe uns noch, wie wir beide einsam in einem der großen Hörsäle nebeneinander sitzen und die Thesen unserer Doktorarbeiten ins Lateinische übersetzen. Eine gegenseitige Achtung war seitdem verblieben. Ich hatte damals unter den Studenten einen gesucht, der für mich als bereits Verlobte in Frage kam und mir nicht plötzlich einen Kuss auf die Backe drückt, wenn wir stundenlang mutterseelenallein abends in einem der großen, leeren Hörsäle sitzen und übersetzen. Er hatte schon immer die Aura eines Kardinals, hoch intelligent bei Abwesenheit jeglicher Erotik. Und über 50 Jahre habe ich geglaubt, "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", dass er unter Johannes Paul litt.

derStandard.at: Was ging Ihnen bei Papst Benedikt auf die Nerven beziehungsweise was haben Sie ihm übel genommen?

Ranke-Heinemann: In seinem Buch "Licht der Welt" schreibt er 2010, dass Kondome nur "für männliche Prostituierte" erlaubt sind. Am 7. August 2004 sah ich eine BBC-Dokumentation. Eine junge schwarze Frau weinte verzweifelt, weil sie gerade erfahren hatte, dass sie sich bei ihrem Mann mit Aids angesteckt hat. Als der Reporter fragte, ob sie denn nicht gewusst hatte, dass ihr Mann Aids hat, antwortete sie: "Doch. Aber unser Pfarrer hat uns gewarnt: Wenn wir ein Kondom benützen, kommen wir in das ewige Höllenfeuer." Der Reporter ging zu dem Pfarrer. "Ja, auch bei Ansteckung und Todesgefahr sind Kondome nicht erlaubt. Ehefrauen, die sich bei ihrem Ehemann angesteckt haben, das sind die Märtyrerinnen unseres Jahrtausends." Papst Benedikt hat das Evangelium zu einer Bordellbotschaft gemacht.

derStandard.at: Stichwort Kondomverbot, Umgang mit Missbrauchsskandal etc.: Ist sich die Kirche ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst?

Ranke-Heinemann: Nein. 2001 hat Ratzinger einen Erlass verfasst mit dem Titel "De delictis gravioribus" (Über schwerer wiegende Verbrechen). Das Schreiben – übrigens im Internet nachlesbar – betont "die gerichtliche Alleinzuständigkeit der Glaubenskongregation als eines apostolischen Gerichtshofes für Straftaten von Klerikern gegen die Moral". Missbrauchsfälle dürfen unter Strafe der Exkommunikation ausschließlich an den Vatikan gemeldet werden. Das Schreiben hat Ratzinger nie zurückgenommen oder zugegeben, dass er es überhaupt geschrieben hat.

Solange dieses Schreiben aber nicht zurückgenommen wird, wird sich nichts ändern am Umgang der Kirche mit Missbrauchsfällen. Erst kürzlich hat der Kriminologe Christian Pfeiffer eine Untersuchung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aufgeben müssen, weil er "an den Zensur- und Kontrollwünschen der Kirche gescheitert" ist. Ich empfehle allen, auf Youtube den Film "Sex Crimes and Vatican" anzusehen, der im deutschen Fernsehen dank der katholischen Bischöfe nicht gezeigt werden durfte. Der Film zeigt, wie die katholische Kirche mit Täuschung und Vertuschung die Aufklärung von Pädophiliefällen unmöglich macht.

derStandard.at: Mittlerweile wird die Frage offen gestellt, ob ein Papst von einem anderen Kontinent gewählt werden könnte? Halten Sie das für möglich?

Ranke-Heinemann: Da sich Ratzinger seit 1981 auf allen Bischofssitzen geklont hat, ist es völlig egal, von welchem Kontinent der Klon kommt.

derStandard.at: Viele Katholiken in Österreich interessiert es allerdings, ob nicht doch Christoph Kardinal Schönborn Papst wird. Was hielten Sie von ihm?

Ranke-Heinemann: Er wäre tatsächlich gar nicht die schlechteste Wahl. Bei ihm hatte ich nämlich immer den Eindruck, dass er tatsächlich die Botschaft Jesu verbreitet. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 20.2.2013)