Mistelbach - Eine kleine Intervention, und die Sache war erledigt: Der ehemalige Eisenbahner mit der Ottakringer-Flasche in der Hand erinnert sich noch gut an seinen Einberufungsbefehl. Erst sei ihm schon bange geworden, berichtet er, doch ein Besuch beim Betriebsarzt habe alle Sorgen zerstreut. "Du kriegst dein Attest", hatte der Doktor gesagt, " und nach einem Tag bist draußen."

Der 65-Jährige erzählt die Geschichte mit verschmitztem Stolz. Empörten Einspruch braucht er nicht zu fürchten: Im nüchternen Arbeiterkammersaal erhebt keiner das Wort, der den Wehrdienst nicht für vergeudete Monate hält. Zu einer "Informationsveranstaltung" hat die SPÖ Mistelbach ihre Genossen zusammengetrommelt - damit diese bei der Volksbefragung am Sonntag das Kreuz an der richtigen Stelle machen.

"Für eine SPÖ-Veranstaltung sind viele Leute da", frohlockt Parteisekretär Johann Kemminger, als sich die hölzernen Sitzreihen füllen, "wir sind auch schon mit 20 Leuten dagesessen." Das Weinviertel sei eben ein "harter Boden", wie der Großteil Niederösterreichs in schwarzer Hand. "Alle sind von der ÖVP indoktriniert", klagt Hubert Kuzdas, örtlicher Nationalratsabgeordneter. Bürgermeister, Feuerwehrmänner, Rotkreuzkommandanten - eine Übermacht marschiere hier für die Rettung der Wehrpflicht auf.

Drei Stargäste

Ausbaufähig ist die Ausgewogenheit allerdings auch am roten Abend. Ein Dutzend SPÖ-Politiker lässt sich per Videobotschaft über den "Zeitdiebstahl" im Bundesheer aus, ehe die drei Stargäste die Bühne übernehmen. Stefan Kammerhofer, Kabinettschef im Verteidigungsministerium, bemüht sich um die feine Klinge, Parlamentarier Otto Pendl trägt das Meidlinger "L" ins weite Land hinaus. Sozialminister Rudolf Hundstorfer versucht, den Staatsmann und den Kumpel in einer Person zu vereinen - und preist sein freiwilliges Sozialjahr als Ersatz für die "Zivis" an: "Die Rettung wird genauso pünktlich oder zu spät kommen wie heute."

Hundstorfer sieht dieser Tage viele Parteiheime von innen, aber nicht immer landet er in einem Heimspiel. "Action" erlebte der Minister etwa im Salzburger Pinzgau, ist doch Landeshauptfrau Gabi Burgstaller nicht nur überzeugte Wehrpflichtanhängerin, sondern auch mit dem dortigen Chef des mit reichlich Zivildienern gesegneten Roten Kreuzes verheiratet. Ebenfalls gegen den Strich bürsten die Sozialdemokraten in der Steiermark. Landesregent Franz Voves gilt zwar nicht als Überzeugungstäter, doch jedes Jahr rauschen mächtige Muren die steirischen Hänge hinunter. Da muss man den Leuten erst erklären können, dass Schlamm schaufelnde Grundwehrdiener überflüssig sind.

Bei den Sozialdemokraten im lawinenarmen Weinviertel fallen die Argumente hingegen auf fruchtbaren Boden. Von verpassten Studienjahren berichten wehrpflichtgeplagte Mistelbacher und von durchwachten Nächten vor Kasernen, die auch in 30 Jahren niemand angreifen werde. Er habe Besseres zu tun, als zu lernen, "wie man sich in die Gosch'n haut", klagt ein junger Mann, dem der leidige Dienst noch droht. "Ich hab nur eine Bitte", antwortet Hundstorfer launig: "Erzählt es überall weiter! Versucht auch, eure Großeltern zu überzeugen - und wenn es euch nicht gelingt, sagt ihnen, sie sollen am Sonntag z' Haus bleiben!"

Wie es kommt, dass so viele Mistelbacher Rote dem Schwenk der SP-Spitze von der Wehrpflicht zum Berufsheer willig folgten? "Wir haben uns in der Partei vorher nie mit der Frage beschäftigt, weil sie niemanden betroffen hat", sagt der Eisenbahner, an dem der Kelch vorbeigegangen war: "Junge Leut' gibt's bei uns ja keine." (Gerald John, DER STANDARD, 16.1.2013)