Der eine war schon einmal auf der Welt, der andere wäre gern Kinobesitzer.

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Beide wollen unvergessen bleiben: Günter Kerbler (li.) und Gert Voss.

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Standard: Ich will über das Spielen und das Leben reden. Wo wird mehr geschauspielert - am Theater oder im Geschäftsleben?

Kerbler: Ich hoffe doch im Theater. Wobei uns das tägliche Leben schon zum Schauspielen zwingt.

Standard: Sind Sie eher Komödiant oder Tragöde?

Kerbler: Eher Komödiant.

Voss: Überall wird gespielt. Und Politiker sind überhaupt die allergrößten Staatsschauspieler, die es gibt. Aber das Spielen ist nichts Schlechtes, auch Tiere spielen voreinander, um sich zu schützen, um sich größer zu machen.

Standard: Sind Politiker gute Schauspieler?

Voss: Sie sind noch bessere Schauspieler als wir auf der Bühne, weil sie sich ihre Rolle aussuchen können. Als Schauspieler bekomme ich eine Rolle; ein Politiker sucht sich die aus, in der er überzeugend klingt. Er hat das strategische Interesse, seine Botschaft ans Publikum zu bringen. Ein Schauspieler muss das auch tun - er ist aber an den Text, die Literatur gebunden, wie eine Eisenbahn ans Gleis. Er kann auf dem Gleis das Tempo wechseln, er kann auch ein Nebengleis befahren, aber das Ziel ist immer das Gleiche: das Ende des Stückes. Es gibt ja nur ein Ziel am Abend: das Ende.

Standard: Wie im richtigen Leben.

Kerbler: So ist es.

Standard: Herr Voss sagt, sein Beruf sei der "der Täuschung".

Voss: Ja, so ist es. Alles, was wir auf der Bühne tun, ist ein Spiel, und das weiß der Zuschauer auch. Wir müssen daher so gut sein, dass er das vergisst und dass er uns glaubt.

Standard: Spüren Sie eigentlich, wenn Sie das Publikum in der Tasche haben?

Voss: Das ist praktisch unmöglich. Jedes Publikum reagiert anders, das einzige Kriterium, an dem wir Konzentration messen können, ist, wenn das Publikum relativ still ist und keine Asthmaanfälle hat. Nicht einmal der Applaus muss ein Gradmesser sein, ob ein Abend wirklich toll war. Aus dem Applaus zu schließen, dass das Publikum das Stück verstanden hätte, das wäre waghalsig.

Standard: Wann ist ein Abend toll für Sie?

Voss: Wenn ich das Gefühl habe, dass ich schön ins Spiel komme mit meinen Partnern. Als Zuschauer habe ich selbst schon Aufführungen erlebt, die mir enorm gefallen haben, aber das Publikum hat sich völlig undankbar verhalten, die Qualität des Spiels nicht erkannt.

Standard: Und geht es im Geschäftsleben auch um Täuschung?

Kerbler: Natürlich spielt man, zum Beispiel bei Verhandlungen. Wenn da wer lästig wird, dann spiele ich den Bösen. Aber wenn ich wirklich bös' bin, dann bin ich bös', da gibt es keine Täuschung. Dann wird es ernst.

Voss: Mein Vater war Kaufmann. Wenn er eine Ware verkaufen wollte, hat er dem Kunden nichts vorgemacht, er wollte seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Ich glaube, dass das in der höheren Mathematiiik der Wirtschaftsberufe auch heute noch gilt...

Kerbler: Wenn ich mich mit einem Produkt nicht identifizieren kann, dann verkauf ich das nicht. Ich habe ja schon sehr viel verkauft in meinem Leben: Versicherungen...

Standard: Eis...

Kerbler: Cornetto, vor 40 Jahren.

Standard: Er war auch Badewaschl. Wissen Sie, was das ist?

Voss: Waschlappen?

Kerbler: (lacht) Waschlappen war ich keiner. Aber Bademeister.

Standard: Mir fällt auf: Sie sagen noch immer Mathematiiik. Dabei sind Sie seit fast 26 Jahren in Wien.

Voss: Solche Betonungsfehler passieren allen, die eine fremde Sprache sprechen. Aber immerhin sage ich Kaffee und nicht mehr Kaffe. Kaffe, das ist ja die höchste Beleidigung für Österreicher.

Kerbler: Hatten Sie nie Lust, wie Ihr Vater Kaufmann zu werden? Handeln Sie bei Ihrer Gage?

Voss: Nein, ich bin gar nicht gut im Handeln und Feilschen, und Gagen-Aushandeln ist mir unangenehm. Es ist mir peinlich, besonders wenn mir mein Gegenüber sympathisch ist. Darum habe ich eine Agentin.

Standard: Sie haben einander kennengelernt, als Herr Voss ein Haus gesucht hat und sich dann in Ihrem hier, wo Sie lang mit Ihrer Familie gewohnt haben, eingemietet hat...

Kerbler: Gott möge Mieter Voss lange erhalten...

Standard: Haben Sie gern mit ihm verhandelt?

Kerbler: Nein, ich war sehr g'schamig, als Gert und ich die Miete ausgehandelt haben.

Standard: Gehen Sie öfter ins Theater, seit er Ihr Mieter ist?

Kerbler: Lassen Sie mich das so sagen: Mit zunehmendem Alter gehe ich gern ins Theater und die Oper.

Voss: Übrigens hätte mein Vater gerne gesehen, dass ich Kaufmann werde. Ich habe einmal in den Ferien vier Wochen für ihn gearbeitet - und ich muss bekennen, dass ich die Arbeitszeit als eine unendliche empfand. Ich habe mich sehr gelangweilt. Aber ein Beruf muss einem doch Spaß machen.

Standard: Apropos Spaß: Welche Rolle hätten Sie besser nie gespielt?

Voss: Da habe ich mehr Glück als Verstand: Ich habe mit jeder Rolle einen neuen Kontinent entdeckt.

Standard: Und welchen Deal hätten Sie besser nicht gemacht?

Kerbler: seufzt

Standard: Ihre Gastronomie- und Medieninvestments haben Sie rund sieben Millionen Euro gekostet...

Kerbler: Ja, aber wir lernen auch aus Deals, die schief gegangen sind - und zum Lernen sind wir auf der Welt.

Standard: Wussten Sie, dass Herr Kerbler an einer Kinokette beteiligt war? Kino ist ja Ihre größte Leidenschaft, Sie wären gern Filmschauspieler oder Regisseur geworden.

Voss: Nein, das wusste ich gar nicht. Ich wäre auch gerne Kinobesitzer geworden, um alle Filme zu zeigen, die ich perfekt finde.

Standard: Zum Beispiel?

Voss: Ach, da gibt es so viele. Francis Ford Coppolas "Der Pate": Das ist einer der größten je gedrehten Filme, er hat Shakespeare'sche Ausmaße.

Kerbler: Marlon Brando war der Pate. Früher haben sie zu mir gesagt, ich schaue aus wie er. Nicht, wie Brando zuletzt ausgesehen hat, sondern als Junger.

Voss: Für mich ist "Der Pate" wie eine Verdi-Oper oder ein Konzert.

Standard: Ich dachte, Sie mögen Opern nicht?

Voss: Doch, doch. Oper kann in den Menschen über den Klang der Musik viel mehr auslösen, als wir am Theater das können. Wir haben nur den Text, die Oper erfasst einen viel tiefer. Danach kommt - für mich - schon das Kino. Deswegen wollte ich ja auch viel lieber Kino-Regisseur werden, weil im Geschichtenerzählen eine ungeheure Macht liegt. In einem dunklen Kinosaal zu sitzen, auf diese Riesenleinwand zu gucken und von einer Geschichte aufgesogen zu werden: Das ist fantastisch.

Kerbler: Hast du schon in einem Film mitgespielt?

Voss: Viel zu selten, leider. Ich sage immer zu meiner Frau, auf meinem Grabstein wird stehen: "Er war ein guter Theaterschauspieler, aber seine Leidenschaft, der Film, ging nicht in Erfüllung."

Standard: Viel zu lang für eine Grabinschrift.

Voss: Auf Grabsteinen stehen ja fürchterliche Sachen. Wenn das die Toten wüssten. Allein der Satz "Ruhe in Frieden": furchtbar.

Kerbler: Oder: "Hausherrnwitwe".

Voss: Naja, das Kino... Man kann nicht alles haben.

Standard: Ist doch wichtig, dass man unerfüllte Sehnsüchte hat.

Voss: So beruhige ich mich auch.

Standard:Was ist denn Ihre unerfüllte Sehnsucht?

Kerbler: Die Ziele, die ich mir gesetzt habe, habe ich übertroffen.

Standard: Wow. Sie wollten ein "weiser alter Mann werden". Meinen Sie dieses Ziel?

Kerbler: Muss ich schon weise sein? Bin ich schon so alt?

Standard: 57.

Kerbler: Ich wollte immer Hausherr werden. (lacht)

Standard: Sind Sie eigentlich stolz auf sich?

Voss: Ach, stolz. Auf zwei Dinge bin ich wirklich stolz: darauf, dass ich eine Tochter habe, die mich liebt, und darauf, dass ich eine derartig wunderbare Frau habe, die ich liebe. Aber beruflich? In meinem Beruf ist alles so wahnsinnig kurzlebig. Mit jeder Rolle ist es vorbei, und es bleibt nichts übrig.

Standard: Reichern sich Rollen, die Sie spielen, nicht in Ihnen an?

Voss: Rollen beginnen, werden gespielt und, fssst, sind dann weg. Ob von ihnen etwas in mir bleibt, weiß ich nicht - allerdings habe ich nicht das Gefühl, dass ich bei der Ausübung meines Berufs immer dümmer werde. Sonst hätte ich längst aufgehört. Deswegen muss man Neugier besitzen und die Dinge verändern. Denn mit Stillstand beginnt die allmähliche Verdummung. Allerdings: Ich würde nie einen anderen Beruf wollen.

Standard: Arzt wären Sie doch gern geworden.

Voss: Ja, Medizin hätte ich gern studiert. Ärzte sind noch viel intensiver mit den Menschen beschäftigt als Schauspieler, und sie können auch Wirkung erzeugen beim Menschen.

Kerbler: Stimmt. Ich war gerade bei der Blutabnahme. Allein der Stich hat mich zum Wegschauen veranlasst.

Voss: Als Kind wäre ich gern Arzt geworden oder jemand, der sich aufs Schiff setzt, ins Meer sticht und ein neues Land entdeckt. Wann immer ich heute das Meer sehe, entsteht sofort die Erinnerung an diesen meinen Traum.

Standard: Sind neue Rollen nicht auch wie neue Länder?

Voss: Doch. Meine Rollen sind kleine Kontinente, die ich mir erfinde.

Standard: Sie reisen gern durch Wüsten, haben Hotels in der Karibik, Wohnungen in New York...

Kerbler: Ich war viel in der Welt unterwegs, aber jetzt, finde ich, ist es genug.

Voss: Du hast bei all deiner Neugier doch sicher auch eine gewisse Lust am Risiko, nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Oder? Dieses permanente Sicherheitsdenken ist doch eine permanente Behinderung...

Kerbler: ... und bremst. Dich auch?

Voss: Sicher. Hätte ich als Schauspieler nicht Lust, Risiko einzugehen, wäre der Beruf nicht nur dumm, sondern auch wahnsinnig langweilig.

Kerbler: Wenns ums Entdecken geht, fallen mir meine Indien-Reisen ein. Wo ich auch bin, ich denke ja immer ans Investieren. Nur in Indien, am Weg zum Himalaya, zu meinen Mönchen, habe ich mir gedacht: Indien ist das Land der Inder, das soll das ihre bleiben. In Indien investiere ich nicht...

Standard: Ein kleines Spital haben Sie aber in Indien.

Kerbler: Das ist aber kein Investment, sondern für die Leute dort.

Standard: Herr Kerbler hängt der tibetischen Urreligion Bönpo an. Sind Sie noch ein bisserl konfuzianisch angehaucht, von Ihren Großeltern her, die 40 Jahre in China lebten, wo auch Sie geboren sind?

Voss: Nein. Meine Eltern, mit denen ich als Kind nach Deutschland kam, waren Protestanten. Als mein Großvater aus dem sibirischen Straflager zurückkam, hat er in der kurzen Zeit, die er noch zu leben hatte, nur gelesen, in seinem kleinen Studierzimmer.

Standard: Als Bub besuchten Sie ihn oft, in der Villa Roseneck am Bodensee...

Voss: Genau, und da hab ich den schweigsamen Mann durch meine penetrante Neugier zum Reden gebracht. Das war meine Begegnung mit der chinesischen Geisteswelt.

Standard: Herr Kerbler wird dafür dereinst wiedergeboren...

Kerbler: Meine Seele wird wiederkommen, nicht mein Körper.

Standard: Sie glauben, Sie hätten in der Zeit der Französischen Revolution schon einmal gelebt?

Voss: lacht

Kerbler: Ja, deshalb sind mir Egalité, Liberté, Fraternité sehr, sehr wichtig. Das hat meine Seele damals erfahren, das versuche ich jetzt umzusetzen - bei all dem Schauspiel, das wir täglich aufführen, obwohl wir manchmal gar nicht merken, dass wir spielen.

Standard: Welche Rolle würden Sie Herrn Kerbler geben?

Voss: Eine Rolle für Günter?

Kerbler: Hauswart.

Voss: Nein, nein, du mit deiner Ausstrahlung könntest viel spielen. Wenn das Charisma stark ist, muss man gar nicht so gut sein: Die Leute schauen einen trotzdem an. Wie ein Tier auf der Bühne, das beobachten sie auch lieber als
den Schauspieler, weil es etwas Unberechenbares hat. Das Unberechenbare ist das Spannendste fürs Publikum, daran bleibt es hängen. Für Günter gäbe es viele Rollen, er ist schwer in ein Fach zu bringen. Er hat sich viel verändert in seinem Leben, also würde ich ihm Rollen geben von Menschen, die sich immer wieder neu schuppen oder häuten.

Kerbler: Das war mir immer wichtig in meinem Leben: Ich will nicht in einer Schublade stecken, weder politisch noch sonstwie. Ich bin mal so, mal so.

Standard: Aber ein Faust wäre er nicht.

Voss: Ein Faust? Doch, doch, Günter wäre auch ein Faust, aber ein ganz moderner. Der Goethe'sche Faust, ich sage das mit Verlaub, geht mir ziemlich auf den Geist, den finde ich enervierend. Aber trotzdem ist die Idee der Person interessant: Ein Mensch, der so viel weiß, dass er anfängt, sich zu langweilen und einen Deal mit dem Teufel eingeht, um etwas Unbekanntes zu erfahren. So ein Faust, der Lust hat, etwas Neues zu erfahren, so ein Faust wäre er.(lacht)

Standard: Sie wollen sich nicht in ein Fach stecken lassen. Als Sie 1991 vergeblich die "Arbeiterzeitung" retten wollten, dachten Sie...

Kerbler: ...dachte ich, der ich kein wirklicher Sozialist bin: Sozialismus und Kapitalismus müssen doch irgendwie zusammenpassen. Nach meinem ersten Gespräch mit dem Betriebsrat wusste ich: Das muss nicht zusammenpassen. Aber da hatte ich schon eingezahlt. Mir war das dann doch zu links, und dann habe ich das Wirtschaftsmagazin New Business gegründet. Das war leider nicht meine Liga. Länger beteiligt war ich nur am Falter, bis 1998. Dafür habe ich ein lebenslanges Gratisabo.

Standard: Weil wir zuvor beim gelehrten Faust waren: Sie haben in Tübingen studiert, Germanistik, Philosophie, Politikwissenschaften...

Voss: Ja, wegen des Numerus clausus konnte ich nicht in die Medizin, und ein Freund riet mir: "Studier' doch alles, vielleicht findest du etwas, was dir gefällt." Das tat ich und hörte mir alle Vorlesungen an, die mich interessierten.

Standard: Was hat Ihnen am besten gefallen?

Voss: Gerichtsmedizin. Unvergesslich ist mir der Mann, der von einem Blitz erschlagen worden war, was man seiner Leiche von außen aber nicht ansah. Also wurde er aufgeschnitten. Und: Durch seinen ganzen Körper verlief eine grasgrüne Straße, grasgrün, er war wie oxydiert. Diesen Anblick werde ich nie vergessen.

Kerbler: Das glaub' ich.

Standard: Die Gerichtsmediziner haben Sie mehr beeindruckt als Professoren wie Ernst Bloch, Walter Jens, die in Tübingen lehrten?

Voss: Ich hab alle gehört. Aber ich muss zu meiner Schande bekennen: Den Gedanken dieser philosophischen Koryphäen konnte ich nicht folgen, das hat mich deprimiert und darin bestärkt, dass das nicht mein Beruf sein kann. Man möchte ja einen Beruf haben, bei dem man sagt: Hier bin ich gut. Geht dir das auch so?

Kerbler: Absolut.

Voss: Ich möchte sogar besser sein als der Durchschnitt.

Kerbler: Darum für mich keinen technischen Beruf.

Voss: Durchschnitt sein und sich damit abfinden, das ist die absolute Kapitulation. Ich wollte als Junger von den Fachleuten wissen, ob ich besser bin als der Durchschnitt. Ich erlaubte mir die Frechheit, bei meinen Eignungsprüfungen am Theater, nach dem Vorsprechen zu fragen: "Bin ich überdurchschnittlich begabt oder nur durchschnittlich? Wenn Sie sagen, leider nur Durchschnitt, mache ich sofort etwas anderes." Sie sagten mir: "Wir würden Ihnen raten, Schauspieler zu werden." Das war natürlich eine peinliche Frage, aber genau das wollte ich immer wissen. Man darf sich nicht mit der Durchschnittlichkeit abfinden.

Kerbler: Sehen Sie? Er ist schon sehr weise.

Standard: Können Sie auch etwas überdurchschnittlich gut?

Kerbler: Ich hatte es immer mit dem Kaufmännischen. Ich bin schon mit 13 in Horn...

Standard: Waren Sie schon einmal in Horn?

Voss: Im Auto durchgefahren.

Kerbler: ... also ich stand mit 13 auf dem Stadtplatz und sagte: Dieses Haus kaufe ich. Seit zehn Jahren besitze ich es: Stadtplatz 5. Naja, und dann habe ich vielleicht die Begabung, Deals richtig einzufädeln. Und im Wettkampf bin ich eher der, der gewinnt.

Standard: Und auf dem Weg zum weisen alten Mann sind Sie auch schon?

Kerbler: Dieser Weg ist ein steiniger und beschwerlicher.

Voss: Wenn dir jemand, den du schätzt, rät: "Günter, lass die Finger davon." Lässt du es dann sein?

Kerbler: Nein. Wenn ich etwas will, dann mache ich es.

Voss: Ich auch. Ich frage um Rat und tue das Gegenteil. Ich weiß: Das ist unlogisch, aber es ist notwendig.

Und was machst du, wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst? Ich werde total ruhig, weil ich weiß, dass mir gerade in diesem Moment unerahnte Kräfte wachsen.

Kerbler: Ich fokussiere mich in solchen Fällen hundertprozentig auf diese eine Sache, bin für alles andere unansprechbar. Dann marschier' ich durch. Als ich mit 27 Jahren dieses Haus hier für meine Familie gekauft habe, kostete es sieben Millionen Schilling. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das zahlen soll. Also musste ich meine guten Autos abgeben und fortan mit einem klapprigen Golf fahren. Aber das Haus habe ich gehabt.

Standard: Sie hatten 2006 einen Herzinfarkt, haben drei Bypässe. Sie, Herr Voss, hatten zuletzt etliche Knochenbrüche, das Wadenbein haben Sie sich als Mephisto auf der Burg-Bühne zertrümmert...

Voss: Bin aus vier Metern Höhe abgestürzt...

Standard: Und Sie sind im Bett von Faust gelandet...

Voss: Ja, Tobias Moretti, der den Faust spielt, war kurz zuvor nach einem Unfall im selben Spitalsbett gelegen. Als ich da ins Rettungsauto stieg, sagte er mir noch: "Sag dem Chirurgen einen schönen Gruß."

Standard: Was ich eigentlich fragen will: Sie stiegen 2010 nach vielen Problemen bei der von Ihnen gegründeten Immogesellschaft Conwert aus, fingen aber wieder von vorn an. Wann haben Sie genug?

Kerbler: Ich bin nicht der Typ, der mit 60 in Pension geht.

Standard: Sie werden am Schreibtisch einschlafen, sagen Sie.

Kerbler: Ja, aber man muss ja nicht gleich sterben. Man kann ja wieder aufwachen.

Standard: Und Sie sagten einmal: "Ich höre auf zu spielen, wenn ich nicht mehr neugierig bin."

Voss: Und vor allem, wenn ich keine Lust mehr habe.

Standard: Herr Voss hat sich schon als Kind vor dem Tod gefürchtet und hält ihn für "etwas vollkommen Überflüssiges und Beleidigendes". Der Tod sei der listigste Feind des Menschen. Ist der Tod nicht der einzig verlässliche Feind?

Voss: Natürlich. Ich meine das ganz existenziell: Solang mein Hirn funktioniert, würde ich gern unendlich lange leben. Die Willkür, die darin besteht, dass dir plötzlich ein Schlag gegeben wird und du musst weg, die finde ich in jedem Fall ungerecht.

Kerbler: Ich bin dem Tod schon von der Schaufel gehüpft - ich fürchte mich nicht vor ihm. Wenn ich abtreten muss, dann gehe ich halt. Aber die Reinkarnation wird dann mühsam: Da beginnt alles wieder von vorn, da muss ich wieder so viel lernen, obwohl ich heute schon so gescheit bin. (lacht)

Voss: Keine Angst vor dem Tod haben: Das wäre erstrebenswert. Ich glaube aber den Leuten nicht, die das von sich behaupten - weil der Gedanke ans Sterben zu ungeheuerlich ist. Und kaum wer ist so nah ans Sterben gekommen, dass er weiß, wie er dann wirklich reagiert.

Standard:Als Ehrenmitglied des Burg-Ensembles werden Sie dereinst auf der Feststiege des Burgtheaters aufgebahrt...

Voss: ... und einmal ums Haus getragen. Aber das passiert ja dann ohne mich, ohne das, was ich wirklich bin, nur mit einem Überbleibsel an Körperlichkeit. Man könnte den Sarg auch leer lassen.

Wie ist das bei dir Günter? Hast du nicht den Wunsch, unvergesslich zu bleiben? Man existiert ja nur durch das Erinnern der anderen weiter. Wenn jeder dich vergisst, bist du so tot - toter geht's gar nicht.

Kerbler: Toter geht's nicht, das fürcht' ich auch.

Voss: Aber diese Form des Unvergessenseins kann man sich nicht erkaufen. Die passiert, oder sie passiert nicht.

Standard: Wollen Sie sich dieses Unvergessenbleiben vielleicht erspielen?

Voss: Man kann sich das vielleicht erspielen, aber ich hege Zweifel daran. Denn auch das Langzeitgedächtnis am Theater vergeht; die Leute haben ja schon fast vergessen, dass es Charlie Chaplin gegeben hat.

Standard: Den haben Sie sehr verehrt.

Voss: Charlie Chaplin verkörpert die höchste Form der Schauspielkunst. Es gibt nichts Flügelleichteres als ihn.

Standard: Dieser Leichtigkeit wegen lieben Sie auch die Peking Oper?

Voss: Ja, die habe ich als Kind noch in China gesehen. Ich kann nicht verhehlen, dass ich das, was auf der Bühne stattfindet, lieben können will. Ich möchte mich davon verführen lassen, ich möchte es auch maßlos bewundern können. Was für eine Schwebeleichtigkeit diese Darsteller erreichen, obwohl sie die kompliziertesten und körperlich schwierigsten Dinge machen - sie fliegen praktisch. Dagegen komme ich mir mit meinem Theater vor wie ein Schwerstarbeiter. Das ist es auch, warum ich Chaplin so liebe: Auch er schwebt immer. Und er erreicht in den Menschen viel mehr als diese Theater-Psychoten und -Analytiker, er erreicht es mit der Kindlichkeit von großen Clowns.

Standard: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Voss: Poooh. Kann ich gar nicht beantworten.

Kerbler: Im Leben geht's ums Lernen. Ja, ums Lernen. (Renate Graber, DER STANDARD, 22./23.12.2012)