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Gemeinsam am klügsten: Bienen sind Meister der Schwarmintelligenz.

Foto: REUTERS/Ali Jarekji

Künstliches Leben - das klingt für die einen nach Frankenstein, für die anderen nach Hightech. Der Wohnblock, in dem das "Artificial Life Laboratory" der Universität Graz untergebracht ist, dürfte die Erwartungen in beiden Fällen enttäuschen: Das 15-köpfige Team, das hier unter der Leitung von Thomas Schmickl vom Department für Zoologie der Uni Graz forscht, arbeitet mit Bienen.

Diese sind im Schwarm nämlich zu kognitiven Leistungen fähig, die das Einzeltier überfordern würden. So sind sie etwa imstande, die Temperatur im Stock durch Wassereintrag (bei Hitze) oder kollektives Zittern (bei Kälte) genau zu regulieren, und zwar völlig ohne zentrale Aufsicht und Anleitung. Offenbar weiß jede Arbeiterin, was sie wann zu tun hat, obwohl sie keinen Überblick über die Situation im Stock haben kann. Die Forscher sprechen bei einer solch kollektiven, selbstorganisierenden Problemlösung von Schwarmintelligenz. Das Artificial Life Lab arbeitet daran, sie auf Roboter-Schwärme zu übertragen.

Den Anstoß dazu gab eine Beobachtung vor sechs Jahren. "Eigentlich sollte ich nur ein kurzes Video darüber drehen, wie junge, noch flugunfähige Bienen in einem Temperatur-Gradienten ihr Optimum finden", erinnert sich der Biologe Ronald Thenius. Dabei stellte sich heraus, dass das mehreren Tieren gemeinsam keine Schwierigkeiten bereitet, einzelnen aber sehr wohl: Obwohl jede Biene Temperatur wahrnehmen kann, verlassen viele, wenn sie allein sind, immer wieder den Bereich, der am besten für sie ist. Die folgenden Forschungen zeigten, wie Schwärme vorgehen: In einem flachen Temperaturgefälle bilden sie mehrere Ansammlungen, zwischen denen immer wieder Tiere hin und her wechseln. Je näher die Temperatur eines solchen Clusters beim Optimum von 36 Grad liegt, desto länger verharrt jedes Tier darin, wodurch sich nach wenigen Minuten der größte Teil dort versammelt hat.

Die Arena, in der das Bienenverhalten untersucht wird, hat ca. einen Meter Durchmesser und einen Boden, der mit Temperatursensoren übersät und mit Wachsplatten abgedeckt ist. Sechs darüber angebrachte Scheinwerfer spenden Infrarotlicht, Heizlampen erzeugen den genau überwachten Temperaturgradienten.

Die Bienen sehen das Infrarotlicht nicht, es ermöglicht aber den Forschern, das Geschehen auf einem PC zu verfolgen und über eine Infrarot-Kamera aufzuzeichnen. Im Versuchsraum selbst bleibt es dabei dunkel wie in einem echten Bienenstock. Unter der Anordung quillt jede Menge Elektronik, Marke Eigenbau, hervor. Vieles ist hier selbst gebaut - das Budget ist nicht groß.

In dem heuer angelaufenen Projekt "Rebodiment", das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, soll untersucht werden, ob ein Roboterschwarm imstande ist, sich in einem Wärmefeld genauso zu benehmen wie die Bienen. Weil Temperatur aber eine so komplexe Größe ist, hat die Artificial-Life-Gruppe als Vorstufe dazu Untersuchungen mit verschiedenen Lichtintensitäten angestellt. Die künstlichen Alter Ego der Bienen sind kleine E-Puck-Roboter. Sie haben in etwa Form und Größe einer Thunfischdose und sind dank zweier Räder mobil. Ihre Arena ist viereckig und besteht aus einer ebenen Fläche, die mit Spanplatten abgegrenzt ist.

Projekt-Informatikerin Daniela Kengyel setzt acht E-Pucks in die Arena, die von zwei Schreibtischlampen flankiert wird. Dann wird das Deckenlicht ab- und eine der Lampen aufgedreht. Die Mini-Roboter sind so programmiert, dass sie prinzipiell planlos in der Gegend umherfahren, aber innehalten, wenn sie ein anderes Objekt wahrnehmen. Handelt es sich dabei um die Wand, drehen sie sich ein Stück und fahren weiter, ist das fremde Objekt jedoch ein anderer Roboter, warten sie ein bisschen, und zwar umso länger, je höher die Lichtintensität ist.

Innerhalb von ein paar Minuten sitzen sechs E-Pucks unter dem Licht. Wird die aktuelle Lampe abgedreht und die andere eingeschaltet, verlagert sich das Geschehen innerhalb kurzer Zeit dorthin. Brennen beide Lampen, sammeln sich die Roboter bei der helleren. Im Zuge des laufenden Projektes sollen sie dieses Verhalten auch in einem Wärmegefälle zeigen. Zu diesem Zweck entwickeln die Grazer Forscher gerade Exemplare mit antennenartigen Temperaturfühlern.

Marschierer und Zielfinder

Bei den Robotern wie den Bienen enden nie alle Individuen unter der bevorzugten Licht- bzw. Wärmequelle. Die Individuen, die mobil bleiben, spielen eine wesentliche Rolle für die Anpassungsfähigkeit des Schwarmes an Umweltänderungen: "Wenn wir auf die andere Lampe umschalten, sind sie die ersten, die das mitkriegen", sagt Kengyel. Aufgrund der Bewegungsmuster unterscheiden die Artificial-Life-Wissenschafter vier Bienen-Typen: zufällig herumstreunende "Marschierer", direkt auf die Lichtquelle zusteuernde "Zielfinder", sich stets an der Wand haltende " Wandfolger" und mehr oder weniger stationäre "Sitzenbleiber".

Dabei sind die Bienen aber nicht auf einen Typ festgelegt: Ein Sitzenbleiber im ersten Durchgang kann im nächsten genauso gut ein Zielfinder oder ein Marschierer sein. Warum das so ist, wissen die Forscher noch nicht. Nun sollen auch die Roboter so programmiert werden, dass sie diese vier Bewegungstypen ausbilden. "Das Ziel ist ein Robo-Schwarm, der maßgeschneidert für bestimmte Problemlösungsstrategien programmiert werden kann", führt Thenius aus. Denkbar ist der Einsatz solcher Schwärme unter anderem bei lebensfeindlichen Bedingungen, etwa bei Aufräumarbeiten nach Reaktor- oder Chemieunfällen.

Solche praktische Anwendungen sind aber nicht alles: Die Ergebnisse aus dem Roboter-Verhalten sollen mittels Simulationen neue Erkenntnisse für das Verhalten der Bienen liefern. "Wir suchen nach evolutiven Vorteilen, die es bringen könnte, verschiedene Bewegungstypen zu haben", sagt Kengyel. Schon die bisherigen Arbeiten haben Erstaunliches ergeben: Für das scheinbar so komplexe Verhalten, das die Roboter in der Licht-Arena an den Tag legen, braucht es nur drei Befehle - ein simpler, aber hocheffizienter Algorithmus. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 12.12.2012)