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In dem Hollywood-Film Rain Main besitzt Dustin Hoffman geniale Fähigkeiten. Menschen mit dem Asperger-Syndrom, einer besonderen Form des Autismus, sind Inselbegabungen häufig zu eigen.

 

Foto: Reuters/Mario Anzuoni

Kecker Kurzhaarschnitt, wache Augen, den Anflug eines Lächelns um die Lippen. Die Frau, die aus dem großen Zeitungsinserat blickt, wirkt sympathisch, ganz "normal". Ist sie auch, über ihrem Bild steht in großen Lettern: "Eine ganz normale Autistin". Petra, 43 Jahre alt, ist eines der Models, das in einer Informationskampagne der Autistenhilfe Vorarlberg um Verständnis für die Erkrankung wirbt.

Im Gegensatz zu körperlich beeinträchtigten Menschen ist Autisten ihr Anderssein meist nicht anzusehen. So überrascht ihr Agieren und Reagieren und wird oft falsch verstanden. Wer wie Petra gesellschaftlich etablierte Codes nicht begreift, weder Höflichkeitsfloskeln noch Smalltalk beherrscht und erst recht nicht mit nonverbaler Kommunikation zurecht kommt, eckt an. Ihre sehr direkte Art der Kontaktaufnahme habe nichts mit schlechter Erziehung zu tun, erklärt der Bildtext, sondern mit der Autistinnen und Autisten eigenen, völlig anderen Art der Wahrnehmung, ihrer fehlenden Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Sensibler Umgang

"Für Autismus, eine Beeinträchtigung, die man nicht sieht, hat unsere Gesellschaft noch kein Bewusstsein", weiß Irma Gerstenmayer-Hausenblas aus täglicher Erfahrung. Ihr zehnjähriger Sohn Oskar ist Autist und ein Lausbub mit originellen Leidenschaften: Staubsaugen und Rasenmähen. Er hat besondere Fähigkeiten, kann Geräusche, vor allem die seiner Lieblingsgeräte, tongenau imitieren. Unbekannte Geräusche können bei ihm aber Panik auslösen, die sich lautstark äußert.

Je älter ihr Sohn werde, umso verständnisloser reagierten Menschen auf ihn, bedauert Irma Gerstenmayer-Hausenblas: "Zuerst war er klein und süß, da durfte er sich aufführen, jetzt beschimpfen ihn Leute oder schubsen ihn sogar, weil er ist, wie er ist." Fix und fertig könne einen das als Mutter machen: "Ich bin ja nicht immer in der Verfassung, jedem zu erklären, was mit dem Kind los ist." Die Bregenzerin hat die Informationskampagne initiiert, ihr Mann, der Grafiker Christian Gerstenmayer, hat sie umgesetzt: "Das Ziel der Kampagne ist, dass Menschen sensibler mit Autisten umgehen, ein Gefühl für diese Krankheit bekommen."

Fehlendes Einfühlungsvermögen

Toleranz und Verständnis für die andere Wahrnehmung der Wirklichkeit wünscht sich auch Therese Zöttl, pädagogische Leiterin von Rainman's Home, einer Einrichtung zur Integration und Ausbildung von Autisten in Wien. Die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt anderer zu versetzten, die Autisten durch Fehlsteuerungen im Gehirn fehlt, vermisse sie auch bei vielen sogenannten Normalen: "Ich wünsche mir, dass man Autisten nicht als fremd und bedrohlich sieht, sondern versucht, die Perspektive zu wechseln, die Welt mit ihren Augen zu sehen."

Das sei nicht so einfach wie bei anderen Behinderungen, räumt die Pädagogin ein, "Blindsein kann man sich vorstellen, indem man die Augen schließt", sich in die Welt von Autisten zu versetzten sei ungleich schwieriger, "da brauchen wir noch viel Aufklärung". Schleifen zum Sichtbarmachen von Autisten, wie sie in den USA getragen werden, oder Buttons, wie der von Christian Gerstenmayer entworfene, beurteilt Zöttl skeptisch: "Das kann als Stigmatisierung aufgefasst werden."

Einfach anders

Nicht alle Autisten sehen ihr Anderssein als Beeinträchtigung. Ein kleiner Teil von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung hat das Asperger-Syndrom (benannt nach dem Wiener Kinderarzt Hans Asperger). Betroffene dieser milden Form von ASS sind oft überdurchschnittlich intelligent, zeigen Spezial-, auch Hochbegabungen, aber auch große Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen. Sie gelten als "wunderlich", wenn sie sich intensiv ihren Spezialinteressen widmen und von der Umwelt abkapseln. Im besten Fall gehen sie als "Nerds" durch, im schlimmsten bekommen sie psychiatrische Fehldiagnosen und -behandlungen.

Asperger-Betroffene starteten bereits in den frühen 1990er-Jahren in den USA eine Empowerment-Bewegung, die im ersten Autistic Pride Day 2005 gipfelte. Mittlerweile sind Aspies, wie sie sich selbst nennen, auch in Europa aktiv.

Aspies-Gruppen organisieren sich in Netzwerken, gründen Vereine, betreiben Websites und Foren. Asperger-Betroffene schreiben Bücher und geben damit Einblick in ihre Lebenswelten.

Ihr Ziel: Sie wollen nicht als beeinträchtigt gesehen werden und verstehen Autismus nicht als Krankheit, sondern als Teil ihrer Persönlichkeit. "Wir treten für uns selbst ein und sprechen für uns selbst", heißt es in den Grundzielen des deutschen Aspies-Vereins. "Menschenkenntnis" sei ein gegenseitiger Lernprozess, zu dem man gleichberechtigt beitragen möchte. (Jutta Berger, DER STANDARD, 10.12.2012)

Autisten nehmen ihre Umwelt anders wahr. Ihrem Umfeld fehlt oft das Verständnis. Foto: Reuters
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