"Für die nähere Zukunft erwarte ich mir einen neuen Inhibitor, der den Knochenabbau hemmt, indem er die Osteoklasten hindert, Knochen abzubauen."

Foto: Peter Pietschmann

Knochen werden im Alter brüchig. Diese Ansicht wurde noch vor wenigen Jahren vertreten. Heute ist die Osteoporose als eigenständige Erkrankung anerkannt, Wie sinnvoll die Knochendichtemessung als diagnostisches Mittel ist, weiß Peter Pietschmann, Experte auf dem Gebiet der Osteologie.

derStandard.at: Die Osteoporose ist zur Volkskrankheit geworden. Leiden heute mehr Menschen darunter, als früher?

Pietschmann: Osteoporose betrifft ja vor allem ältere Menschen, und nachdem der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung zunimmt, wird auch die Osteoporose ein zunehmend größeres Problem. 

derStandard.at: Aber sind nicht auch zunehmend mehr junge Menschen davon betroffen?

Pietschmann: Das würde ich nicht behaupten. Es liegt eher daran, dass wir heute mehr diagnostische Möglichkeiten haben und die Osteoporose daher früher erkannt wird. Ich betrachte das als medizinischen Fortschritt.

derStandard.at: Inwiefern spielt die Vererbung eine ursächliche Rolle?

Pietschmann: Osteoporose ist eine multifaktorielle Erkrankung, es gibt nicht eine Ursache dafür, sondern meistens sehr viele. Die Vererbung spielt aber definitv eine große Rolle: 50 bis 70 Prozent des statistischen Osteoporose-Risikos sind genetisch determiniert. 

derStandard.at: Wie sieht es heute mit dem Bewusstsein für diese Erkrankung in Österreich aus? 

Pietschmann: Ich glaube, wir haben bei der Bewusstseinsbildung viel erreicht, aber wir sind sicher noch nicht am Ziel. Bei den Patienten noch nicht, und leider auch noch nicht bei allen Ärzten. Unglücklicherweise ist noch immer ein großer Teil der Osteoporose-Erkrankungen nicht diagnostiziert. Ich schätze, dass etwa zwei der Drittel der österreichischen Patienten nicht oder nicht ausreichend behandelt werden. Um das zu verbessern, sind Aktionen wie der Osteoporose-Tag immer noch sehr wichtig. 

derStandard.at: Die Knochendichtemessung zählte jahrelang zu den zweifelhaften Medizintechniken. Wie aussagekräftig ist sie tatsächlich?

Pietschmann: Das Frakturrisiko wird generell von der Knochenqualität und der Knochendichte beeinflusst. Die Dichte ist also nicht der einzige Faktor, aber einer, der sich in der Praxis leicht überprüfen lässt. Es gibt Studien, die zeigen, dass die Knochendichte das Frakturrisiko besser vorhersagen kann, als der Cholesterinspiegel das Herzinfarktrisiko. 

derStandard.at: Welche Faktoren werden in der Diagnostik der Osteoporose heute noch berücksichtigt?

Pietschmann: Man muss definitiv auch klinische Risikofaktoren berücksichtigen. Ein neuer Ansatz hierfür ist das "Fracture Risk Assessment Tool", kurz FRAX, das aufgrund von Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht und weiteren klinischen Daten berechnet, wie hoch das Risiko für einen osteoporotischen Bruch in den nächsten zehn Jahren ist. Die Evaluierung dieses Tools ist derzeit noch nicht abgeschlossen. In Zukunft wird wahrscheinlich vor allem aufgrund der klinischen Risiko-Situation entschieden werden, ob eine Knochendichtemessung sinnvoll ist. 

derStandard.at: In welchem Alter wird die Knochendichtemessung angeraten?

Pietschmann: Es wird empfohlen, die Knochendichte bei Personen mit starken Risikofaktoren und Patienten, welche Knochenbrühe nach inadäquatem Trauma erlitten haben, zu messen. Unabhängig von Risikofaktoren gilt aber die Empfehlung, dass Frauen mit 65 und Männer mit 70 Jahren eine Messung durchführen sollten. In diesem Alter ist die Wahrscheinlichkeit einer Osteoporose doch relativ hoch. 

derStandard.at: Auch die therapeutischen Maßnahmen sind zum Teil nicht unumstritten. Wie gefährlich ist die derzeitige Standardtherapie mit Bisphosphonaten tatsächlich?

Pietschmann: Generell werden Bisphosphonate gut vertragen. Kiefernekrosen in Zusammenhang mit der Osteoporose-Therapie treten nur selten auf. Bei einzelnen Patienten ist jedoch die Osteoklastenhemmung so stark, dass damit eine Kiefernekrose einhergehen kann. Das Risiko bei Osteoporose-Patienten ist aber deutlich niedriger als etwas bei Krebspatienten, die mit Bisphosphonaten in wesentlich höherer Dosierung behandelt werden. Die häufigsten Nebenwirkungen bei oraler Gabe von Bisphosphonaten sind Übelkeit und Verdauungsbeschwerden. Durch Applikation in Form von Spirtzen oder Infusionen lässt sich dieses Risiko aber vermeiden.

derStandard.at: Unstimmigkeiten gibt es aber auch in Bezug auf die Dauer der Behandlung mit Bisphosphonaten. 

Pietschmann: Das stimmt, die Meinungen über die optimale Dauer gehen hier auseinander. Als Standard gelten drei bis fünf Jahre. Nach dieser Zeit sollte auf alle Fälle eine Reevaluierung der Therapie erfolgen, bei der das Fraktur-Risiko vom behandelnden Arzt neu ermittelt wird. Bisphosphonate haben die Eigenschaft, dass sie auch nach Absetzen der Therapie teilweise im Körper verbleiben. Deshalb ist es wichtig, gründlich über eine optimale Therapiedauer nachzudenken.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie eine Therapie mit Denosumab, ein monoklonaler Antikörper der erst seit kurzem zugelassen ist?

Pietschmann: Denosumab ist eine gute Alternative, etwa wenn Bisphosphonate nicht vertragen werden oder man nach längerer Bisphosphonat-Therapie zu einem anderen Präparat greifen möchte. Die Wirkung von Denosumab auf die Knochendichte ist sogar besser als bei oral verabreichten Bisphosphonaten. Ein weiterer Unterschied ist, dass dieser monoklonale Antikörper nicht in Knochen abgelagert wird, also nach Absetzen der Therapie relativ bald aus dem Körper verschwindet. 

derStandard.at: Was tut sich sonst im Bereich der Therapie beziehungsweise was erwarten Sie sich für die Zukunft?
Die Medizin hat im Bereich der Therapie einer Osteoporose schon sehr große Fortschritte gemacht. Als ich begonnen habe, gab es noch keine Evidenz, wie die Patienten zu behandeln sind, heute wissen wir das sehr gut.

Pietschmann: Für die nähere Zukunft erwarte ich mir einen neuen Inhibitor, der den Knochenabbau hemmt, indem er die Osteoklasten hindert, Knochen abzubauen. Dieser Inhibitor heißt Odanacatib, wird oral verabreicht und befindet sich derzeit in Forschungsphase III. Ich würde vorsichtig schätzen, dass er in zwei bis drei Jahren auf den Markt kommt. Außerdem rechne ich in einigen Jahren mit einem Antikörper, der Knochenaufbau bewirken kann. 

derStandard.at: Was bringt die prophylaktische Einnahme von Calcium-Tabletten? 

Pietschmann: In allen großen Studien wurden Calcium und Vitamin D als Basis zur Osteoporose-Behandlung gegeben. Vitamin D ist sicherlich unumstritten, beim Calcium gibt es aber durchaus auch kritische Meinungen. Die Datenlage ist nicht ganz eindeutig, aber generell wird empfohlen, täglich nicht mehr als 1000mg Calcium und dieses möglichst mit der Nahrung, in Form von Milchprodukten, einzunehmen. Im Einzelfall muss aber der behandelnde Arzt entscheiden, ob und wie viel Calcium ergänzend eingenommen werden soll. 

derStandard.at: Was ist mit ergänzenden basischen Nahrungsmittelzusätzen wie Bikarbonat?

Pietschmann: Ich bin eher ein Vertreter der klassischen Schulmedizin und halte die therapeutische Wirkung des Säure-Basen-Haushalts für etwas überstrapaziert. Von nichtmedikamentöser Seite halte ich Ernährung und Bewegung für wesentliche Vorbeugungsmaßnahmen. Tai-Chi kann als Ergänzung sinnvoll sein, um das Gefühl für Balance zu stärken und damit die Wahrscheinlichkeit für Stürze zu senken. Von anderen alternativmedizinischen Methoden bin ich nicht überzeugt.

derStandard.at: Welche Rolle spielt Krafttraining in der Osteoporose-Prävention beziehungsweise Therapie?

Pietschmann: Wir wissen, dass das Ausmaß der „Peak-Bone-Mass"(Knochenmineraldichte von 100 Prozent, Anm.Red.) stark von der körperlichen Aktivität abhängig ist. Krafttraining kann daher bei jungen Menschen dazu beitragen, eine möglichst hohe „Peak-Bone-Mass" zu erreichen. Beim typischen Osteoporose-Patienten liegt die Bedeutung des Krafttrainings eher im Verhindern des weiteren Knochenverlustes und kann ergänzend zur medikamentösen Therapie durchgeführt werden. (Florian Bayer, derStandard.at, 5.12.2012)