Mika (Enzo Gaier) und sein vierbeiniger Freund in "Das Pferd auf dem Balkon".

Foto: Filmladen

Wien – "Man sagt, ich bin anders, aber sind das nicht alle?" Sehr viel anders als die anderen Zehnjährigen ist der kleine Mika (Enzo Gaier) auch gar nicht, abgesehen von der Tatsache, dass er immer die Wahrheit sagen muss, Mathematik mag und bei ihm jeden Tag pünktlich zur selben Zeit das Essen auf dem Tisch zu stehen hat. "Ich tu mir schwer mit anderen Menschen", erklärt er seiner neuen Freundin Dana (Natasa Paunovic) sein Asperger-Syndrom. Dieser ist das aber ziemlich egal, denn Mikas Marotten sind erstens leicht erträglich, und zweitens hat er etwas ganz Großartiges im Hof des Wiener Gemeindebaus, in dem die beiden wohnen, entdeckt: Auf einem der kleinen Klopfbalkone steht in der Nacht ein Pferd.

Für die beiden ein guter Grund, sich den Vierbeiner zunächst mithilfe einer Leiter näher anzusehen, für den Regisseur Hüseyin Tabak (Kick Off) ein guter Anlass, die Kinder in der Folge auf eine unwahrscheinliche Abenteuerreise zu schicken. Das Schöne an Das Pferd auf dem Balkon, eine Adaption des gleichnamigen Kinderbuchs von Milo Dor aus den frühen Siebzigern, ist seine gelungene Übertragung dieses wundersamen Bilds in die Filmerzählung: Dass plötzlich etwas an einem Ort auftaucht, wo es angeblich nicht hingehört, bedeutet noch lange nicht, dass man seinen Augen nicht trauen darf.

Diese Mischung von Magie und Wirklichkeit bestimmt auch das von Milan Dor geschriebene Drehbuch. Während seine Mutter (Nora Tschirner) als Alleinerzieherin alle Hände voll zu tun hat, um über die Runden zu kommen, blitzen Mikas Wünsche und Träume immer wieder als Fantasiebilder auf und formen eine eigene Welt, die aber nicht weniger mit der Wirklichkeit des Gemeindebaus zu tun haben wie die Sorgen und Ängste der Erwachsenen. Das trifft besonders auf Sascha (Andreas Kiendl) zu, den sympathischen Besitzer des sehr reale Äpfel produzierenden Pferdes, der mit diesem seine Spielschulden so schnell wie möglich loswerden will – ein Vorhaben, das Mika und Dana nicht gutheißen können und in bester Kindermanier vereiteln wollen.

Derart erzählt Das Pferd auf dem Balkon nicht nur vom üblichen Wünschen und Helfen kleiner Helden, die in den Augen Erwachsener große Dinge tun, sondern auch davon, dass eine gehörige Portion Starrsinn – mit oder ohne Asperger-Syndrom – in dieser Welt nicht schadet. Allerdings nicht immer: Um dem verschuldeten Verlierer aus der Patsche zu helfen, planen das Mathematikgenie und eine alte Nachbarin (großartig: Bibiana Zeller) den trickreichen Gang ins Kasino. "Die Sechs ist unzuverlässig, wenn man sie umdreht, ist sie eine Neun", besteht Mika im entscheidenden Moment auf seiner Entscheidung. In manchen Situationen sollte man flexibel bleiben.

Dass am Ende interkulturelles Weihnachten in mehreren Altersklassen gefeiert werden kann, versteht sich ebenso, wie dass der erste Schnee fällt; und die bösen Buben aus dem Prater sollen ruhig glauben, ein Pferd hätte sie getreten. Schließlich haben nicht nur Zehnjährige Wutanfälle. (Michael Pekler, DER STANDARD, 24./25.11.2012)