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Alawi (Alawit) bezeichnet nicht mehr und nicht weniger als einen Anhänger des Cousins und Schwiegersohn des Propheten Muhammad, Ali, von dem sich die Imame der Schia ableiten. So scheint es nicht unlogisch, dass die syrischen Alawiten als "schiitische" Sekte bezeichnet werden: Immerhin hat auch der libanesische schiitische Geistliche Moussa Sadr im Jahr 1973 die Alawiten als Schiiten ganz offiziell anerkannt (was handfeste politische Gründe hatte). Daneben gibt es auch noch die Behauptung, dass arabische Alawiten und türkische Aleviten sich nur durch die Sprache unterscheiden: Das wird man teilweise sogar von Mitgliedern dieser Religionsgemeinschaften selbst hören.

Wissenschaftlich stimmt das alles dennoch nicht. Das Alawitentum ist eine gnostische Sekte des Islam. Stephan Procházka, Arabistikprofessor an der Universität Wien, hat für Religionen unterwegs, die Zeitschrift des "Forum für Weltreligionen", einen Artikel geschrieben, in dem er die Glaubenswelt der alawitischen Geheimreligion vorstellt. In "geheim" ist enthalten, dass die Alawiten ihr esoterisches Wissen nicht an Nichtalawiten (auch nicht an Frauen) weitergeben. Es wird jungen alawitischen Männern mitgeteilt, in Form einer - sich über Monate erstreckenden - Initiation, deren Grundidee laut Procházka "die Schaffung einer neuen leuchtenden Seele" ist.

Alle Aussagen über die Religion müssen wegen dieser Geheimhaltung mit Vorsicht getroffen werden. Aber eines ist sicher: Mit der islamischen Lehre hat das alawitische Geheimwissen nur wenig zu tun - allerdings entspricht es frühschiitischen Vorstellungen, dass dem "Äußeren" immer ein noch wichtigeres "Inneres" gegenübersteht. Zum "Äußeren" gehört auch der Koran, der ja auch von Alawiten rezitiert wird. Aber die fünf täglichen Gebete oder die Pilgerfahrt sind nicht üblich.

Der Islam spielt eine gewichtige Rolle als letzter von sieben weltlichen "Zyklen" der alawitischen Kosmologie, an deren Beginn eine ewige Lichtgottheit steht, die durch Emanation Neues schafft. Die göttliche Trinität "Sinn", "Name" und "Tor" - wobei der "Sinn" den "Namen" und dieser das "Tor" emaniert - werden in diesem Zyklus von Ali, Muhammad und Salman al-Farisi (einem frühen Muslim und glühenden Anhänger Alis) personifiziert.

Göttliche Emanationen

Aus der Trinität gehen die "Fünf Einzigartigen" hervor, die wiederum die "Zwölf Führer" emanieren: Im islamischen Zyklus sind das die zwölf schiitischen Imame. Jeder von ihnen hat ein "Tor": Und der Begründer des Alawitentums, Muhammad Ibn Nusayr (gest. 863), ist das "Tor" des 11. Imams, al-Hassan al-Askari.

Für die Schiiten waren die Nusayrier, wie die Alawiten früher genannt wurden, "ghulát" (Übertreiber), wegen der göttlichen Rolle Alis. Mit Ibn Nusayrs Nachfolger al-Khasibi, der wegen der Lehre verfolgt wurde, kam das Alawitentum vom Südirak nach Syrien.

Den Artikel in der Verfassung, dass der Präsident Syriens Muslim sein muss, hat der Alawit Hafiz al-Assad eingeführt - und sich zeitlebens sehr sunnitisch - nicht etwa schiitisch - gegeben. Das Alawitentum hat als Religion nicht von der alawitischen Herrschaft profitiert, im Gegenteil. Typisch alawitische Bücher waren verboten, alawitische Scheichs mussten sich als Mainstream-schiitisch gerieren. Die Herrschaft der Assads hatte keine konfessionell-religiösen Züge, sondern im weiter gefassten Sinne tribale.

Procházka meint, dass die Initiationen junger Alawiten rückläufig sein dürften, was zumindest eine Schwächung des esoterischen Charakters des Glaubens mit sich bringen würde. Vielleicht werden ja die Alawiten doch noch einmal ganz "normale" Muslime - eine Verarmung des kulturellen Erbes des Nahen Ostens. (guha/DER STANDARD, 22.7.2012)