Die alte, als Diogenes-Taschenbuch wieder aufgelegte Übersetzung von Albert Hess und Peter Schünemann  bleibt ob ihrer Kühnheiten  lesenswert.

Foto: Diogenes

Wien - Viel ist nicht übrig geblieben von Addie Bundren, die im Farmhaus ihres Mannes Anse im Sterben liegt: ein Bündel Knochen auf einer Matratze, die mit getrockneten Kukuruzblättern gefüllt ist. Addies Blicke aus dem Schlafzimmerfenster fallen ausgerechnet auf ihren Sarg. Cash, der erstgeborene, hinkende Sohn unter ihren insgesamt fünf Kindern, hobelt mit dem Breiteisen die Bretter für ihre unwiderruflich letzte Bettstatt zurecht.

William Faulkners frühes Meisterwerk Als ich im Sterben lag (1930) ist eine Fahrt zurück an die Ursprünge von "Yoknapatawpha County", der mythischen Traumlandschaft des amerikanischen Südens. Faulkner hat diesen Landstrich im Alleingang erfunden: ihn kolonisiert und mit störrischen, einsilbigen Menschen bevölkert.

Nachdem Addie tatsächlich das Zeitliche gesegnet hat, bricht die Sippe der Bundrens nach unbekannt auf. Der Sarg mit den sterblichen Überresten wird auf ein Maultiergespann geschnallt. Die Mutter, sagt Papa Anse, habe sich nichts sehnlicher gewünscht, als im 40 Meilen entfernt liegenden Jefferson im Familiengrab zur Ruhe gebettet zu werden.

Der einfältige Witwer ist durch nichts von seinem Totengeleit abzubringen. Unwetter ergießen sich über das Land mit den Baumwollfeldern und Zedernpflanzungen. Die Flüsse schwellen an, zerren die Brücken zu sich herab ins Wasser. Die Kutsche havariert beim Versuch, eine Furt zu queren. Sohn Chase bricht sich zum zweiten Mal das Bein.

Eine groteske Abfolge von Unglücksfällen und Katastrophen pflastert den krummen Weg nach Jefferson. In 60 kurzen Abschnitten wechseln jeweils die Erzähler: Das "wilde, dunkle Blut in einem schwarzen Land" ergießt sich in unzähligen Rinnsalen und verästelten Läufen. Faulkner ist ein wahrer Flussgott des Erzählstroms. Er leiht einem Wahnsinnigen ebenso souverän die Stimme wie einem verstockten Mädchen, das seine Schwangerschaft vor der Mitwelt verborgen hält.

Dem Autor ist es ein Leichtes, jenen finalen Aufschub zu erwirken, von dem Als ich im Sterben lag im Kern handelt: "Das Leben ist nicht dazu da, es den Leuten leicht zu machen." Die Menschen hätten sonst keinen Grund, "gut zu sein und zu sterben". Nichts aber ist schwerer, als die eigenen Begierden mit dem Wunsch nach Erlösung abzustimmen. Faulkners Stimmenvielfalt liefert den Hinweis für ein Geschehen, in dem die Psyche des Individuums den kulturellen Anforderungen schutzlos preisgegeben ist.

Maria Carlssons Neuübersetzung dieses Schlüsselwerks der Moderne hält sich angenehm zurück: Sie vermeidet im Zweifelsfall das aussichtslose Nachstellen von Slang und regionalen Idiomen. Die alte, wieder aufgelegte Übersetzung von Albert Hess und Peter Schünemann (bei Diogenes) bleibt ob ihrer Kühnheiten trotzdem lesenswert. Der verweste Leichnam Addie Bundrens wird übrigens doch noch beerdigt. Vater Anse nimmt daraufhin sofort die resolute Schwester zur Frau.   (Ronald Pohl, DER STANDARD, 6.7.2012)