Neues Leben, neue Freunde: Französin Babou (Isabelle Huppert) und Belgier Bart (Jurgen Delnaet) gehen zum Bowling.

Foto: polyfilm

Wien - Babou schwebt in den Film per Rolltreppe. Sie schlendert durch ein Kaufhaus, lässt sich an einem Werbestand gratis ein frisches Make-up verpassen. Ihre Kochrezepte holt sie sich aus der Leihbücherei, ein Auto borgt sie sich von einer alten Freundin. Dafür teilt sie ihr bisschen Geld mit einem treuen Kumpan, der gerade pleite ist. Und für die bevorstehende Hochzeit ihrer Tochter Esméralda wird ihr schon noch ein leistbares Geschenk einfallen.

Eine wie Babou (Isabelle Huppert) hätte man früher als Lebenskünstlerin bezeichnet - und ein wenig bewundert: für ihre Unabhängigkeit und ihre unbeirrbare Freiheitsliebe. In einer materialistischen Welt, in der sogar die Mittellosen immer stärker unter Leistungsdruck stehen, ist Babous entspannte Lebenseinstellung allerdings schnell einmal verdächtig. Esméralda kann mit der unsteten Art der Gelegenheitsjobberin auch immer weniger anfangen, und so geschieht es nicht ganz freiwillig, dass Babou im grauen nordfranzösischen Tourcoing ihre bunten Sachen packt und in einen anonymen Apartmentblock am Strand von Ostende eincheckt:

Für die gerade fertiggestellten Timesharing-Wohnungen soll sie als Teil eines frisch rekrutierten Maklerteams Käufer finden. Von anderen falsch eingeschätzt zu werden erweist sich dabei als Vorteil. Im neuen Job findet sich die unerschrockene Babou mit ihrem zartroten Beehive, den farbigen Strumpfhosen und den wild gemusterten kurzen Kleidern nämlich schnell zurecht. Mit ihrer erdigen, verbindlichen Art und ihrer Lebensklugheit setzt sie sich bald gegen ihre spießigen wie unsozialen Kolleginnen durch.

Heldin der Arbeit

"Copacabana" von 2010 ist der zweite Spielfilm des Autors und Regisseurs Marc Fitoussi. Isabelle Huppert stand dafür gemeinsam mit ihrer Tochter Lolita Chammah vor der Kamera. Die beiden Schauspielerinnen liefern sich als Babou und Esméralda auf der Leinwand fiktive Mutter-Tochter-Konflikte. Außerdem tritt Huppert, die inzwischen 59-jährige Vielarbeiterin unter den französischen Schauspielstars, hier in einem Rollenfach auf, in dem sie nicht so oft zu sehen ist: als in die Jahre gekommene, proletarische Hippiemutter - exaltiert, direkt, spontan.

Wenn man ihr so zusieht, dann hat man den Eindruck, dass ihr diese Figur als Abwechslung großen Spaß macht. An Huppert denkt man trotz Ausnahmen wie "8 Frauen" zuerst als große Tragödin: als souveräne Verkörperin der stets Haltung bewahrenden Bourgeoisen, als sich verausgabende, große Nervöse oder als eine leicht flirrende Mischung solcher Typen. Aber die Französin, deren Filmografie mehr als hundert Werke zählt, beherrscht auch das leicht Boulevardeske formvollendet. Ihre ein bisschen blasierte und ein bisschen süffisante Miene gewinnt dann neue Nuancen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 27.6.2012)