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"Unsere Nahrungsmittel, vor allem Nahrungsergänzungsmittel verursachen Nebenwirkungen, aber keine Behörde will das wissen", übt Ledochowski Kritik.

Nicht immer ist gesund, was als gesund beworben wird. Zuckerersatz beispielsweise oder der rotbackige Apfel, das cremige Joghurt. Lebensmittel können Unverträglichkeiten verursachen, zu Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Reizdarmsyndrom oder Depressionen führen. Bei Kindern können Nahrungsmittelintoleranzen Aggressionen, Konzentrationsstörungen auslösen.

Symptome wie Blähungen, Durchfall, Aufstoßen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Fettstühle weisen auf eine Unverträglichkeit hin. Schuld am unangenehmen Bauchgefühl kann eine SorbitIntoleranz sein oder eine Fructose-Unverträglichkeit oder gleich beides.

Der Zuckerersatz Sorbit, ein süßer Alkohol, kommt vor allem in " zuckerfreien" Produkten vor - vom Kaugummi bis zu Diabetiker-Nahrungsmitteln. Der Fruchtzucker (Fructose) findet sich vor allem in als gesund geltenden Lebensmitteln - im Honig, in Obst und Gemüse. Unangenehme Bauchgefühle kann auch der Milchzucker, die Laktose, verursachen, wenn es am Lactaseenzym, jenem Enzym, das den Milchzucker aufspaltet und verdaubar macht, fehlt. Alle drei Zuckerarten füllen die Supermarktregale, sind in industriell gefertigten Backwaren zu finden wie in Halbfertigprodukten.

Sorbit-Intoleranz und Fructose-Unverträglichkeit

Je mehr unsere Nahrungsmittel können müssen, je mehr "Wirkung" sie haben sollen, umso mehr Ersatz- und Zusatzstoffe muss die Industrie in sie hineinpacken. "Keine Wirkung ohne Nebenwirkung", sagt der Innsbrucker Ernährungsmediziner Maximilian Ledochowski, Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen zum Thema. Die Folgen: 80 Prozent leiden laut Ledochowski unter Sorbit-Intoleranz, 30 Prozent unter Fructose-Unverträglichkeit, 20 Prozent vertragen keinen Milchzucker.

Während Medikamente ein langwieriges Zulassungsverfahren durchlaufen müssen, auf jede Nebenwirkung im Beipackzettel aufmerksam gemacht werden muss, kommen Lebensmittel in die Regale, "von denen wir nicht wissen, was alles zugefügt wurde", rügt der Ernährungsmediziner. Am Beispiel von Brot erklärt er: Der Zusatz von Vitamin C bei der Mehlproduktion, um Verfärbungen zu verhindern, müsse ebenso wenig deklariert werden wie die Verwendung von Trennmitteln (Kalziumkarbonat) beim Transport und Umladen von Mehl. Der Bäcker kaufe eine Mischung, von der er nicht weiß, was sie enthält, kritisiert der Ernährungsmediziner, der Konsument nehme Vitamin C und Kalzium in hohen Konzentrationen zu sich, ohne es zu ahnen.

Nicht nur die Industrie, auch die Landwirtschaft trage Verantwortung für gesundheitliche Auswirkungen, sagt Ledochowski. So würden Obstsorten mit immer höherem Fruchtzuckergehalt gezüchtet. Obst wird zur Zuckerquelle und damit zum schnellen Stimmungsaufheller. Der Effekt: Die Fructose ist nicht resorbierbar und damit unverträglich. Maximilian Ledochowski: "Wir erkaufen uns kurzfristige Vorteile mit langfristigen Nachteilen, weil wir glauben, dass wir es besser als die Natur machen können."

Keine Meldestelle

"Unsere Nahrungsmittel, vor allem Nahrungsergänzungsmittel verursachen Nebenwirkungen, aber keine Behörde will das wissen", kritisiert Ledochowski die bestehende Rechtslage. "Wir brauchen bei Nahrungsergänzungsmitteln ein Zulassungsverfahren analog zu Medikamenten" , fordert er. Nebenwirkungen sollten künftig von den behandelnden Ärzten gemeldet werden können.

Dafür fehlen aber die Meldestellen. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit sei dafür weder zuständig noch eingerichtet, sagt deren Sprecherin Ingrid Kiefer. Die Verwendung des Begriffs " Nebenwirkung" im Zusammenhang mit Lebensmitteln irritiert sie. Bei Lebensmitteln könne die Ages nur überprüfen, ob gesetzliche Vorgaben eingehalten würden, "ob auch drinnen ist, was draufsteht", sagt Kiefer. Die Ernährungswissenschafterin hielte aber verstärkte Forschung über eine Reihe von Zusatzstoffen für "interessant".

Ein grundsätzliches Umdenken fordert Ernährungsmediziner Ledochowski bei Gesetzgebung und Wissenschaft nicht nur beim Lebensmittelrecht. Auch in der Medizinerausbildung müsse das Thema Ernährung höheren Stellenwert bekommen. "Wir brauchen Institute und Forschungseinrichtungen, besser ausgebildete Mediziner." Die Nahrungsmittelindustrie sollte sich an der Expertise der Ernährungsmediziner orientieren, denn "die Mediziner sind mit den Konsequenzen aus neuen Entwicklungen konfrontiert, sie kennen die Auswirkungen, weil sie diese behandeln müssen". (Jutta Berger, DER STANDARD, 18.6.2012)