Was er sagt, hat Gewicht: Der ambitionierte Nachrichtenmoderator Will McAvoy (Jeff Daniels) nimmt sich in der US-Serie "The Newsroom" kein Blatt vor den Mund.

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Aaron Sorkin schrieb schon "The West Wing".

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New York / Wien - Am Anfang steht eine Beschimpfung. Was die USA zu einem so großartigen Land mache, will die aufgeweckte Studentin mit Strahlelächeln und unerschütterlichem Selbstvertrauen wissen. Der Gastlektor zählt ohne Punkt und Beistrich die jüngsten Schandtaten der Vergangenheit auf und schließt: "Sie fragen mich, was uns so großartig macht? Ich habe, verdammt nochmal, keine Ahnung, wovon Sie sprechen!"

Abgründe des US-Nachrichtenjournalismus

Die Wahrheit ist dem Publikum zumutbar. Darauf müssen sich US-Zuschauer gefasst machen, denn Will McAvoy, fiktiver Anchor der fiktiven Newsshow News Night spricht ab 24. Juni noch viel mehr Klartext: In der neuen HBO-Serie "The Newsroom" führt er in die ganz realen Abgründe des amerikanischen Nachrichtenjournalismus und macht sich als Aufklärer der Nation an die Zerstörungsarbeit an so mancher Illusion über Unabhängigkeit im Mediengeschäft. Die Öffentlichkeit wartet bereits sehnsüchtig auf das Epos, sogar Trailer wurden hymnisch bejubelt.

Hinter "The Newsroom" steckt Aaron Sorkin, einer der wichtigsten Drehbuchautoren der USA. Sorkin gelang bereits in "The West Wing" eine exzellente Abbildung der Realität amerikanischer Machtpolitik, die bisweilen sogar bis zu deren Vorwegnahme ging: Im Weißen Haus saß Matt Santos (Jimmy Smits), Angehöriger einer ethnischen Minderheit, als Barack Obama noch unbekannter Kandidat zum US-Senat war. Sorkin nahm Obama als Vorbild für seine Vision.

Exzellent beobachtet

In "The Newsroom" spielt Jeff Daniels den aufbrausenden News-Anchor, der erst eine Krise durchleben und danach mit einem kleinen Team aus dem zynischen Produktionsalltag ausbrechen wird, um es besser zu machen. Ähnlich wie Martin Sheen setzt Sorkin Daniels als positive Figur ein, die mit Ernsthaftigkeit und professioneller Berufsauffassung zeigt, dass es Journalisten gibt, die verantwortungsbewusst und sorgfältig arbeiten und nicht der Quote hinterherjagen. "Die Produktion von Nachrichten schafft ein Umfeld, in dem uns gesagt wird, was wichtig ist und was nicht", sagte Sorkin in der New York Times. In seiner Serie nehme diese Aufgabe eine "hyper-kompetente Gruppe" wahr.

Sorkins Stärke liegt in seiner scharfen Beobachtungsgabe. So manches Nachrichtenstudio in den USA dürfte sich in "The Newsroom" wiedererkennen. Der spezielle Reiz der Serie wird darin liegen, reale Ereignisse aus Sicht der Journalisten darzustellen und sie in ein fiktives Erzählsetting einzubetten. Das schafft Platz zur kritischen Aufarbeitung von "Breaking News": Etwa durch die Ölpest im Golf von Mexiko oder den Tod Osama Bin Ladens. Die Zuschauer kennen die äußeren Umstände der Ereignisse, die Medienbilder sind sattsam bekannt. In die verborgenen Abläufe der Nachrichtenproduktion führt sie McAvoy, Journalist des Vertrauens. Die Verlinkung zur Realität dringt übrigens bis in Nebenrollen vor: Jane Fonda, Ex von CNN-Gründer Ted Turner, spielt eine entschlossene Senderchefin.

Dass Sorkin wieder eine Serie schrieb, war nicht absehbar. Vier Jahre nach dem Ende von "The West Wing" und drei Jahre nach einem Flop mit Studio 60 on the Sunset Strip holte sich der 51-Jährige 2010 mit dem Drehbuch zu The Social Network den wohl verdienten Oscar.

Steve-Jobs-Biografie

Demnächst verfilmt er fürs Kino das Leben von Apple-Gründer Steve Jobs nach der Biografie von Walter Isaacson. Es habe einige Überredungskunst gebraucht, um Sorkin zu überzeugen, sagen HBO-Manager.

Das Wissen um journalistische Prozesse hat Sorkin bei Keith Olbermann studiert. Olbermann präsentierte jahrelang für den Sender MSNBC eine Nachrichtenshow. Sorkin war wochenlang dabei und sah zu. Die Wirklichkeit passte sich dabei abermals der Fiktion an: Wie der Serienmoderator kehrte Olbermann dem großen Newsbusiness den Rücken und wagte einen Neustart. Die neue Show in Current TV, einem von Al Gore und Joel Hyatt gegründeten unabhängigen Sender, endete allerdings im März. Will McAvoy fängt jetzt erst richtig an. (Doris Priesching, DER STANDARD, 13.6.2012)