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Einer allein ist kein Problem. Wenn aber viele ihr Geld von der Bank holen, dann wird es schwierig. (Bild: 2011 zogen Anleger großräumig ihre Ersparnisse von der lettischen Krajbanka ab, nachdem der litauische Mutterkonzern verstaatlicht wurde.)

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Fritz Weber sieht Europa auf einem schwierigen Weg, wenn die Sparpolitik weiter als einzige Krisenlösung durchgezogen wird.

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Griechenland schlittert immer tiefer in die Krise, Spanien folgt mit einem ausgewachsenen Bankendrama auf dem Fuß. Die Bürger und Bürgerinnen des Landes bringen vermehrt ihr Geld in Sicherheit, Europa fürchtet sich vor einem Banken-Run. Der Wirtschaftshistoriker Fritz Weber erklärt im Gespräch mit derStandard.at, was eigentlich so schlimm daran ist, wenn die Schlangen vor den Banken immer länger werden, welche historischen Erfahrungen Österreich damit hat und wo die Gefahren der derzeitigen Krisenpolitik Europas für den Kontinent liegen.

derStandard.at: Ganz Europa fürchtet sich vor einem Banken-Run, allen voran Griechenland und Spanien. Warum wäre das so schlimm?

Weber: Weil ein Banken-Run die betroffenen Institute in Schwierigkeiten bringen und sogar zur Schließung von Banken führen kann, wenn nicht die jeweilige Nationalbank oder die Europäische Zentralbank eingreift. Das gab es auch in Österreich schon in der Zwischenkriegszeit bei der Krise der Creditanstalt im Jahr 1931. Schon vorher war es zu kleineren Runs gekommen. Wenn die Leute einmal aufgescheucht sind und in Panik geraten, dann ist jedes Gerücht geeignet, einen Banken-Run auszulösen. Im Falle Griechenlands sind die Leute natürlich besonders nervös. 

derStandard.at: Ab wann ist ein Banken-Run mehr als nur ein paar Leute, die gleichzeitig ihr Geld vom Konto holen?

Weber: Man muss das immer in der Relation zu den Einlagen sehen, das ist die relevante Größe. Ich würde sagen: Wenn einmal ein Drittel der Einlagen bei einer Bank abgehoben ist, dann würde ich schon von einem Banken-Run sprechen. Das kann relativ rasch gehen.

derStandard.at: Eigentlich holen die Leute ja nur ihr Geld von der Bank. Warum macht das den Banken bei einem Ansturm zu schaffen?

Weber: Das Problem ist, dass die Banken die ihnen anvertrauten Mittel ja irgendwo kurzfristig oder langfristig veranlagt haben. Die müssen sie im Fall des Falles mobilisieren. Wenn das nicht geht, muss die jeweilige Nationalbank eingreifen. Wenn die nicht hilft, kommt der Bankrott.

derStandard.at: Wie können sich Banken auf einen Run vorbereiten?

Weber: Banken können sich nur begrenzt darauf vorbereiten, denn Banken arbeiten mit dem Geld ihrer Kunden. Sie legen einen bestimmten Prozentsatz ihrer Mittel liquide an, den können sie dann auch schnell mobilisieren. Aber keine Bank kann permanent davon ausgehen, dass hohe Beträge abgezogen werden. Dann hört sich das Bankgeschäft relativ schnell auf.

derStandard.at: Können Sie kurz beschreiben, was beim Banken-Run in der Zwischenkriegszeit passiert ist und was die Folgen waren?

Weber: Österreich war in der Zwischenkriegszeit ein Land, in dem die Leute sehr schnell in Panik geraten sind. Die Ursachen dafür liegen in der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg, als die Ersparnisse vernichtet wurden. Dann kam die Stabilisierungskrise, und im Zusammenhang damit brachen 1923/24 die ersten Bankenkrisen aus. Danach genügte eine Meldung in irgendeiner Boulevardzeitung über Zahlungsschwierigkeiten, und es bildeten sich Schlangen vor den Banken.

Bei der Creditanstalt kam es zu einer Leerräumung innerhalb kürzester Zeit. Das kann eine Bank nicht aushalten. Sobald die Creditanstalt verlautbart hatte, dass sie große Verluste hinnehmen hatte müssen, sind die Leute zur Bank gerannt und haben ihr Geld abgeholt. Von der Creditanstalt griff die Panik innerhalb weniger Tage und Wochen auch auf fast alle anderen Banken und Sparkassen über.

derStandard.at: Eine Ansteckung des gesamten Bankensystems also?

Weber: Zuerst verlagert sich die Nervosität von einer Bank, die im Gerede ist, zu einer anderen: Die Sparer ziehen das Geld von Bank A ab und legen es auf Bank B. Dann gibt es den Punkt, wo die Leute panisch werden und auch die Bank B nicht mehr für sicher halten und ihr Geld auch dort abheben.

Die Creditanstalt hatte sehr viele Kredite im Ausland aufgenommen. Die ausländischen Gläubiger haben sich mit der Creditanstalt sehr schnell geeinigt und ein Stillschweigeabkommen unterzeichnet. Ihr Geld abgehoben haben dann die inländischen Sparer, Industriellen und Geschäftsleute. Der Run auf die anderen Banken begann, sobald bekannt war, dass die Creditanstalt das Stillhalteabkommen abgeschlossen hatte. Das geht unheimlich schnell. Wie schnell, haben wir auch 2008 gesehen: Dann muss schnell gehandelt werden. Wenn eine Panik ausbricht und man nicht sehr rasch eingreift, ist bald der Punkt erreicht, an dem man kaum noch Möglichkeiten hat, das zu stoppen.

derStandard.at: Gibt es noch andere Parallelen zwischen der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit und der jetzigen Krise seit dem Untergang von Lehman Brothers?

Weber: Es gibt mehr Parallelen, als uns lieb sein sollte. Natürlich sind die Ökonomien in Deutschland oder Österreich heutzutage viel stabiler als damals. Aber das kann sich rasch ändern. Wenn ich mir anschaue, welche Ratschläge den Griechen, Portugiesen oder Spaniern gegeben wurden, dann erinnert das sehr stark an das, was Österreich in den 1930er Jahren nach dem Krach der Creditanstalt erlebt hat.

Die Gläubiger des Staates und der Völkerbund haben ein einziges Rezept gehabt: Sparen, sparen, sparen. Ein solcher rigider Sparkurs hat die Tendenz, sich immer mehr zu verstärken. Wenn der Staat und die Privaten sparen, sinken die Staatseinnahmen erneut, und der Staat muss noch mehr sparen. Damit ein Sparkurs funktioniert, müssten die Steuereinnahmen steigen. Aber das funktioniert nur, wenn sich die Wirtschaft belebt. Und das kann sie nicht, wenn immer weiter gespart wird. Das ist der Teufelskreis, in den man die Griechen hineingeschickt hat, ohne zu überlegen, was man damit anstellt.

derStandard.at: Wäre ein Euro-Rauswurf oder -Austritt Griechenlands eine Lösung des Dilemmas?

Weber: Das ist eine Elferfrage. Ich glaube, dass ein Euro-Austritt den Griechen nicht wirklich helfen wird. Griechenland hat eine Wirtschaft, die nicht besonders produktiv ist. Prinzipiell gewinnt ein Land natürlich an Spielraum, wenn es abwertet. Griechenland würde von den gesteigerten Exportchancen wenig profitieren, weil es nicht viel zu exportieren gibt. Die griechische Ökonomie hat sich in den letzten zehn Jahren komplett umgedreht: Da ist viel Kapital in den Importsektor geflossen. Neben dem Tourismus gibt es sehr wenig, um die Einnahme von Devisen zu stärken. Darüber hinaus ist die Ansteckungsgefahr von Griechenland für andere Länder wie Spanien oder Portugal so groß, dass man besser die Finger davon lässt.

derStandard.at: Es gibt ja auch keine Blaupause dafür, wie ein Austritt aus einer Währungsunion funktioniert und was danach passiert.

Weber: Das sind Milchmädchenrechnungen, die man anstellen kann. In der Realität würden sich diese aber schnell als falsch herausstellen.

derStandard.at: Gibt es dann überhaupt einen Ausweg?

Weber: Einen Ausweg gibt es immer nur langfristig. Wenn Sie zum Beispiel Österreich in den 1930er Jahren nehmen, so hat sich die österreichische Wirtschaft bis 1938 nicht mehr von der Weltwirtschaftskrise erholt. Das hatte auch mit dem wahnwitzigen Sparkurs zu tun. Man kann am österreichischen Beispiel sehen, dass Sparen und ein bisschen Investieren nichts bringt. Das ist die große Gefahr, die auch jetzt droht, nicht nur bei Griechenland. Meine große Befürchtung ist, dass man sich auf europäischer Ebene auf Kompromisse einigt, die außer Kosmetik nicht viel bringen.

derStandard.at: Diese Strategie fährt man ja ohnehin schon seit ein, zwei Jahren: Lösungen, die keine sind. Und am Schluss ist alles noch schlimmer, als es vorher war.

Weber: Man müsste grundlegend umdenken. Aber dem stehen die vorherrschenden Lehrmeinungen entgegen. Diese sind in Europa sehr stark geprägt von neoliberalen Ideen und von Theorien, die davon ausgehen, dass Sparen der einzige Weg aus der Krise ist. Der entgegengesetzte Weg ist auch kein einfacher. Man kann sicherlich nicht auf Dauer eine Ökonomie am Leben erhalten, indem man Defizite macht. Aber es ist in bestimmten Situationen notwendig und nützlich, es zu tun. Man weiß ja, was in den 1930er Jahren passierte. Wenn in Europa alle Regierungen sparen und alle, die konsumieren können, auch zu sparen beginnen, weil sie um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen, kann man sich das Ergebnis leicht ausmalen.

derStandard.at: Europa nimmt mit seinem derzeitigen Kurs also verstärkt soziale Unruhen in Kauf?

Weber: Ich habe sogar den Eindruck, dass das einigen mächtigen Leuten nichts ausmachen würde. Wenn man sich die 1930er Jahre anschaut, wird man merken, dass soziale Unruhen nicht das einzige Ergebnis einer solchen Krise sind. Damals kamen die großen Ordnungen, wie man etwas ironisch sagen könnte, ans Ruder: der Austrofaschismus und der Nationalsozialismus. So weit sind wir heute sicher noch lange nicht. Aber als Historiker sieht man am Horizont doch deutliche Warnzeichen. Die Griechen haben jetzt links gewählt. Aber in Europa insgesamt gibt es einen Auftrieb für ziemlich obskure Gestalten und Parteien. Man muß nur an Ungarn denken.

derStandard.at: Der Weg zu einer politischen Radikalisierung wird geebnet?

Weber: Das kann in alle Richtungen gehen. Dort, wo "anarchistische" Traditionen lebendig sind, in Italien oder Spanien, ist vieles denkbar. Die große Gefahr heute liegt darin: In den 1930er Jahren gab es zumindest eine einigermaßen funktionierende Arbeiterbewegung. Das ist heute anders. Wohin sollen sich Menschen mit Wut im Bauch wenden? Das kann auf Dauer zu gefährlichen Entladungen führen.

derStandard.at: Banken-Runs sind ja durchaus auch Ausdruck einer Stimmungslage in der Bevölkerung. Könnte eine Bank zumachen und sagen: Ihr kriegt jetzt nichts mehr?

Weber: Zumachen kann nur der Staat. Er könnte sogenannte Bankfeiertage ausrufen oder Regeln erlassen, dass man zum Beispiel pro Tag nur 100 Euro abheben kann. Das ist ja immer wieder passiert, wenn Sie zum Beispiel an Argentinien denken. Das große Problem bei Phänomenen wie einem Banken-Run ist, dass der Einzelne, der sein Geld abheben will, für sich selbst rational und richtig handelt. In dem Augenblick, wo das alle machen, wird es zu einem Problem.

derStandard.at: Wie kann man das umschiffen?

Weber: Das Bankgeschäft hat mit Vertrauen zu tun. Wenn das aus irgendeinem Grund weg ist, kommen die Leute und wollen ihr Geld abheben. Dagegen hilft nur eine gute und vorsichtige Bankpolitik, aber nicht erst dann, wenn Feuer am Dach ist. Damit hätte man schon vor zehn Jahren anfangen müssen. Oder besser, man hätte es gar nicht so weit kommen lassen dürfen, dass die Banken zu Agenturen der Spekulation werden konnten. Dann hätte es kein Jahr 2008 gegeben, wo alles angefangen hat, was heute Probleme bereitet. (Daniela Rom, derStandard.at, 5.6.2012)