Karlheinz Töchterle: Vom Skeptiker zum "glühenden Befürworter" des Universitätsgesetzes.

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April 2002: Kundgebung gegen den Entwurf des neuen Universitätsgesetzes in Salzburg.

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Andrea Kuntzl (im Hintergrund Elisabeth Gehrer, Aufnahme von 2002) sagt heute: "Die Bedenken, die wir damals hatten, haben sich bewahrheitet."

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Die Aktionsgemeinschaft übergibt der ehemaligen Bildungsministerin einen Protestbrief.

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Proteste gegen das Universitätsgesetz gab es viele. Im Juli jährt sich der Beschluss des UG 2002 zum zehnten Mal. Es stammt aus der Feder der schwarz-blauen Regierung, zuständige Wissenschaftsministerin war Elisabeth Gehrer (ÖVP). Die damals in Opposition befindliche SPÖ und die Grünen stimmten gegen das Gesetz, vor allem wegen des Abbaus demokratischer Mitsprache an den Universitäten. Sie fühlen sich heute bestätigt. SPÖ-Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl sagt im Gespräch mit derStandard.at: "Das Zehn-Jahres-Jubiläum ist kein Grund zu jubeln. Die Bedenken, die wir damals hatten, haben sich bewahrheitet."

Kernpunkt der Reform war die Einführung der Autonomie der Universitäten. Sie wurden aus der Bundesverwaltung ausgegliedert, ihre gesetzlich festgelegten Aufgaben erfüllen sie seither weisungsfrei. Alle drei Jahre verhandeln die Universitäten mittels Leistungsvereinbarungen ihr Budget. Sie sind Arbeitgeber ihres Personals. Die Mitbestimmung von Studenten, Assistenten und Dozenten wurde stark eingeschränkt. Sie verloren unter anderem das Recht zur Wahl des Rektors. In uniinternen Gremien erhielten die Professoren die Mehrheit der Stimmen.

Neu eingeführt wurde der Universitätsrat. Seine Mitglieder werden je zur Hälfte vom Uni-Senat und der Regierung bestellt. Gemeinsam mit Uni-Senat und Rektorat leitet der Uni-Rat eine Universität.

"Großer Wurf"

Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle lud am Dienstag zu einem Hintergrundgespräch, um im Kreise von UG-Befürwortern die Reform Revue passieren zu lassen. Töchterle selbst gab zu, zu Beginn "durchaus skeptisch" gewesen zu sein, heute aber sei er ein "glühender Befürworter" des Universitätsgesetzes. Töchterle bezeichnet es als "großen Wurf", der die Universitäten in die Moderne geführt habe. Die Unis seien aus dem engen staatlichen Rahmen befreit worden. Europaweit habe das österreichische Gesetz viele Nachahmer gefunden. Die vielfach geäußerte Befürchtung, die Unis würden wie Unternehmen geführt, habe sich zwar vielleicht bewahrheitet, aber keine negativen Effekte gehabt.

Auch der frühere Hochschulsektionschef im Wissenschaftsministerium, Sigurd Höllinger, betonte, dass das Gesetz viel Beachtung gefunden habe. Es sei als Best-Practice-Modell in Nachbarstaaten angesehen worden. Natürlich habe man bei der "größten Systemänderung seit 150 Jahren" auch Fehler begangen: "Wir haben die Karrierewege für den Nachwuchs nicht gut geregelt."

Mut zu Entscheidungen

Georg Winckler, ehemaliger Rektor der Universität Wien und 2002 Präsident der Rektorenkonferenz, bezeichnete die Autonomie als Befreiungsschlag der Universitäten, weil man eigenständiger arbeiten konnte. Gleichzeitig verlange das neue Gesetz aber auch Mut zu Entscheidungen: "Für mich war Autonomie immer auch eine Verpflichtung nachzudenken, in welche Richtung die Uni sich entwickeln soll."

Der Verfassungsjurist Heinz Mayer war Mitglied der Arbeitsgruppe zur Einführung des UG. Er verwies anlässlich des Jubiläums gleich auf die nächsten Baustellen: Neben den immerwährenden Streitfragen Studiengebühren und Zugangsregeln sei das vor allem das "absolut leistungsfeindliche Studienrecht". Er sprach sich für eine Studienreform aus: "Wir haben ein Studienrecht, das aus den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts stammt, das absolut leistungsfeindlich ist mit der großen Anzahl an möglichen Prüfungswiederholungen. Studenten haben viele Rechte, aber nur wenige Pflichten."

"Ergreift die Möglichkeit"

Hinsichtlich der Studiengebühren fehle eine klare politische Entscheidung, so Mayer, woraufhin Töchterle die Universitäten zu mehr Mut aufforderte. "Universitäten, ergreift die Möglichkeiten, die euch die Autonomie bietet", sagte er im Hinblick auf die derzeitige Situation, wonach die einzelnen Uni-Senate autonom über die Wiedereinführung der Studiengebühren abstimmen. 

Dass er Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen nicht abgeneigt ist, bewies der Wissenschaftsminister mit seiner Zustimmung zu einer Aussage Wincklers. "Keine Studiengebühren und keine Zugangsbeschränkung geht nicht. Zumindest eines müsste man verändern", sagte der ehemalige Uni-Wien-Rektor. Töchterle pflichtete ihm bei: "Dem ist überhaupt nichts hinzuzufügen."

SPÖ stellt Autonomie in Frage

Der Wissenschaftsminister ist der Meinung, die Autonomie müsse weiter ausgebaut werden. Der Koalitionspartner SPÖ ist jedoch auch nach zehn Jahren noch skeptisch, was die Autonomie der Universitäten betrifft. Unterrichtsministerin Claudia Schmied sagte schon im Dezember, bei der Ausgestaltung der Autonomie der Universitäten gebe es Gesprächsbedarf. "In Österreich werden die Universitäten überwiegend aus Steuermitteln finanziert", so Schmied. Die Entscheidung, in welche Bereiche investiert werde, könne man nicht den Universitäten überlassen.

Andrea Kuntzl bekräftigt: "Autonomie soll nicht dazu führen, dass die Politik nur noch Geld zur Verfügung stellt." Bildungspolitische Weichenstellungen müssten nach wie vor von der Politik erfolgen.

Mitsprache für Mittelbau

Mit dem Universitätsgesetz sei die Mitbestimmung fast zur Gänze abgeschafft worden. Das sei ein massiver Entdemokratisierungsschritt gewesen. "Der Mittelbau soll wieder mehr Mitsprache erhalten", fordert Kuntzl. Außerdem fehle eine Möglichkeit, die Universitäten zu koordinieren. "Es findet eine Auseinanderentwicklung statt", dadurch sei ein Lenkungseffekt im tertiären Sektor schwieriger zu erreichen.

Kurt Grünewald, Wissenschaftssprecher der Grünen, kritisiert in erster Linie, dass im Zuge des UG 2002 die medizinischen Fakultäten der Unis Wien, Graz und Innsbruck ausgegliedert und in eigenständige Medizinische Universitäten umgewandelt wurden. Durch die Schaffung von Doppelstrukturen seien enorme Mehrkosten entstanden. Er fordert, die Perspektiven für Nachwuchswissenschaftler zu verbessern. Diese seien im UG unzureichend geregelt. Eine große Schwachstelle des Universitätsgesetzes sieht Grünewald auch in der Positionierung des Senats: "Das einzige direktdemokratische Organ ist entmachtet worden."

Viel Macht für Rektorat

In dieselbe Kerbe schlägt die ÖH. "Das Gesetz hat die Mitbestimmung abgeschafft", sagt Martin Schott vom ÖH-Vorsitzteam im Gespräch mit derStandard.at. So zeige beispielweise die Abschaffung des Bachelorstudiums Internationale Entwicklung an der Universität Wien die Machtposition des Rektorats. Es könne gegen den Willen von Senat, Fakultätsgremium und Studierenden nach Belieben entscheiden.

Außerdem habe das UG die Entwicklung hin zu einer Verschulung begünstigt. "Die Studienplänen werden immer straffer und richten sich nach der Wirtschaft aus", kritisiert Schott. Er wünscht sich, dass die Gremien wieder demokratischer gestaltet werden. "Damit wir uns alle auf Augenhöhe begegnen." (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 31.5.2012)