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Michael Haneke gewinnt wieder die Goldene Palme.

Foto: REUTERS/Yves Herman

Eine Karriere im internationalen Kino ist oft von vielen Unwägbarkeiten geprägt. Man muss es schon vor dem Akt der Produktion "verkaufen", und auch dann kann immer noch viel passieren.

Es ist wichtig, sich das klarzumachen, wenn man Michael Hanekes Erfolg in Cannes einschätzen will. Mit zwei Filmen hat er nun eine Goldene Palme gewonnen, er hat mit Amour das wiederholt, was ihm 2009 schon mit Das weiße Band gelang. Ein Kammerspiel mit französischen Stars das eine, ein schwarzweißes Historienpanorama das andere - die Stoffe liegen weit auseinander.

Vor zehn Jahren war Haneke, geboren 1942 in München und aufgewachsen in Wiener Neustadt, schon einmal an einer markanten Stelle seiner Karriere. Damals hatte Die Klavierspielerin in Cannes Premiere, auch das bereits ein Erfolg, der ihm viele Türen öffnete. Darauf ließ er zwei Jahre später Wolfszeit folgen, ein Drehbuch, das er lange in der Schublade gehabt hatte, ein mutmaßliches Hauptwerk über das Ende der Zivilisation. Es erwies sich aber als Irrläufer : Wolfzeit gehörte einer früheren Phase von Hanekes Werk an, einer symbolschwangeren Gesellschaftskritik.

2007 ließ er dann Caché folgen, ein Schritt ins Offene, in dem er erstmals seine Medienkritik mit einem neuen Sinn für Zusammenhänge verband. Die Drohbotschaften in Caché erschienen wie eine Flaschenpost aus dem Algerien-Konflikt. Hanekes Abstraktion wurde konkret.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen, aus dem er kommt, hat ihn lange Zeit stärker bestimmt, als ihm vielleicht klar war: Eine didaktische Erzählhaltung, wie sie das Fernsehen als Kulturmedium gern annahm, konnte er nur allmählich ablegen. Selbst Das weiße Band hat noch etwas von einer magistralen Großerzählung, die noch einmal die deutsche Geschichte auf einen einfachen Nenner bringt, den einer "schwarzen Pädagogik" nämlich.

Mit Amour öffnet sich in Hanekes Werk nun ein neuer Raum. Er schreibt sich ein in die große Filmgeschichte, mit zwei Darstellern, die in die Urgeschichte des modernen Kinos zurückreichen. Emmanuelle Riva, Hauptdarstellerin aus Hiroshima mon amour (1959), hat er im Grunde wiederentdeckt und damit ein Zeichen für die Position gesetzt, die sich Haneke mittlerweile zutraut: auf einer Ebene mit einem Alten Meister wie Alain Resnais. Dass er dazu im Vergleich noch jung wirkt, hat auch mit einer Verspätung in seiner Karriere zu tun, die er nun in großem Stil aufholt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 29.5.2012)