Ein intimer Kenner der Wiener Kommunalpolitik antwortete einst, als die rot-grüne Stadtregierung taufrisch im Amt und die Stimmung aufgekratzt war, trocken auf die Frage, ob er an den Erfolg dieser Konstellation glaube: "Das kommt darauf an, ob sich in beiden Parteien die Sozialarbeiter durchsetzen."

Der Satz war natürlich nicht als pauschalisierende Beschimpfung aller im Sozialbereich Tätigen gemeint - er sollte, sehr pointiert, ausdrücken: Sollten die Koalitionäre die Stadt künftig mit dem Impetus der Weltverbesserung regieren, wird es schwierig für Rot-Grün in Wien. Zu kaum einem Thema passt diese Prognose besser als zum Umgang der Stadtverwaltung mit Prostitution. Eine neue Regelung wollten die zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger (SP) und die grüne Chefverhandlerin Birgit Hebein schaffen, getragen vom Geist der Toleranz, Weltoffenheit und Verantwortung für die Schwachen - in dem Fall die Prostituierten. Gleichzeitig sollten rebellierende Anrainer befriedet und die Wünsche der Polizei berücksichtigt werden. Von diesen, den allerbesten, Absichten getragen, wurde wochenlang verhandelt, und heraus kam - ein großer Murks rund um den Straßenstrich.

Die Anrainer beim Westbahnhof sind selbigen los - dafür stehen die Prostituierten nun rund um die Uhr am Rande des Wurstelpraters. Die Absicht, die Sicherheit der Sexarbeiterinnen zu erhöhen und in Laufhäuser umzuleiten, ist nicht aufgegangen. Die Mieten dort sind flugs gestiegen, sodass Prostituierte nun vermehrt in privaten Wohnungen arbeiten - was die Lage der Frauen noch verschlimmert. Wenn nun auch im Prater die "Erlaubniszonen" zeitlich beschränkt werden, verschwindet die Szene wohl zur Gänze in den Untergrund.

Und was tut die Stadt? Sie putzt sich plötzlich ab und argumentiert, sie könne rein gar nichts unternehmen - solange der Bund nicht das Gesetz ändert und Prostitution fürderhin vom Makel der Sittenwidrigkeit befreit. Das ist eine Ausrede und politisch feige.

Wenn die rot-grüne Stadtregierung der Ansicht ist, dass Prostitution ein Gewerbe wie jedes andere ist, muss man Prostituierten auch die Möglichkeit geben, es auszuüben - in Offenheit und mit dem größtmöglichen Schutz. Das bedeutete aber, sich mit Anrainern und Bezirksvorstehern anzulegen. Das wagt aber niemand, denn die nächste Wahl kommt bestimmt.

Der andere Weg wäre der, für den sich Schweden und Frankreich entschieden haben: Dort gilt Prostitution als unerwünschtes Gewerbe, Freier werden bestraft. Das kann problematisch sein, weil ein Teil des Geschäfts ebenfalls in die Illegalität abtaucht und das beileibe noch nicht heißt, dass das Rotlichtmilieu verschwindet. Das zeigen auch die jüngsten Enthüllungen um die angeblichen Eskapaden des schwedischen Königs mit "käuflichen Damen". Aber immerhin melden die Sicherheitsbehörden, dass Menschenhändler zunehmend einen Bogen um das Land machen - weil sich durch hohe Strafdrohungen das Geschäft schlicht nicht rechnet.

Diese Sichtweise, die auch auf EU-Ebene Anhänger findet, sollte man auch in Österreich zumindest diskutieren. Was spräche dagegen, dass sich Rot-Grün in Wien zur Speerspitze einer solchen Debatte erklärt? Das könnte zumindest ein markantes Projekt und Alleinstellungsmerkmal in Sachen Gesellschaftspolitik sein.

Freilich: Bei diesem Weg wäre ebenfalls politischer Mut gefragt - momentan ein unüberwindliches Handicap. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 23.5.2012)