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Marihuana- Züchtungen mit immer höherem THC- Gehalt.

Foto: APA/Peter Dasilva

In den Achtzigern schien die Welt für Kiffer noch in Ordnung zu sein. Cannabis-Konsum war zwar auch damals illegal, aber das Kraut relativ leicht zu beschaffen, und diejenigen, die einmal so richtig mehrere Tage hintereinander abheben wollten, pilgerten einfach nach Holland. Gesundheitsbedenken? Keinesfalls. Haschisch, Marihuana & Co machen nicht süchtig, weder körperlich noch geistig, hieß es. Und das behaupten vie- le bis heute. Ihre Argumente basieren meist auf eigenen Erfahrungen. Wer am Abend kräftig "einen durchzieht", ist am nächsten Tag normalerweise problemlos wieder fit, ganz im Gegensatz zum klassischen Alkohol-Zecher. Abgesehen davon macht Cannabis nicht aggressiv. Alles ganz harmlos also.

Doch die Zeiten haben sich geändert. "Noch vor einigen Jahren schien Cannabis eine ziemlich gutartige Droge zu sein, und erst seit kurzem sehen wir eine zunehmende Anzahl von Süchtigen", erklärt die Psychopharmakologin Valerie Curran vom University College in London im Gespräch mit dem Standard. Die Betroffenen zeigen die üblichen Abhängigkeitssymptome wie eine reduzierte Empfindlichkeit gegenüber den Wirkstoffen, Entzugserscheinungen und den täglichen Wunsch nach Konsum. Ihre Gedanken kreisen immer stärker um das Suchtmittel, sagt Curran. Nach neueren Erkenntnissen dürfte etwa ein Prozent der erwachsenen Bevölkerung in der EU Cannabis-abhängig sein, so die Wissenschafterin. Bei 14- bis 17-jährigen Jugendlichen liege die Quote sogar bei circa 1,8 Prozent. "Das ist ein bisschen beunruhigend."

Neue Züchtungen

Nach Ansicht vieler Experten sind moderne Anbaumethoden in Gewächshäusern und neue Züchtungen Schuld an der Misere. Die Fortschritte haben unter anderem die sogenannten "Skunk"-Varianten mit sehr hohen Konzentrationen - bis über zwanzig Prozent - des Hanf-Wirkstoffs 9-Tetrahydrocannabinol (THC) hervorgebracht. Diese hochpotenten Sorten verdrängen zunehmend traditionelles "Gras" und Marihuana aus Freilandanbau. Deren THC-Gehalt beträgt meist nur drei bis acht Prozent, und sie enthalten gleichzeitig relevante Mengen der Begleitsubstanz Cannabidiol (CBD), welche einen gewissen Schutzeffekt gegen negative Auswirkungen von THC zu haben scheint. Hochgezüchtetes Gewächshauscannabis ist meist CBD-frei. "Die Dominanz von Skunk verursacht die Probleme", meint Valerie Curran. Auf dem britischen Drogenmarkt zum Beispiel bestehen bereits rund 80 Prozent des Angebots aus sehr stark THC-haltigen Cannabisprodukten. "Es ist für Jugendliche kaum noch möglich, etwas anderes zu kaufen."

Mehr Psychosen

Der starke Stoff steht zunehmend im Verdacht, Psychosen wie Schizophrenie auslösen zu können. Fachleute aus der Gesundheitspraxis berichten von einer Zunahme solcher Krankheiten, vor allem bei jungen Hanfkonsumenten. Harte Zahlen fehlen gleichwohl. Lediglich eine Erhebung weist eine Verdopplung der Psychosen-Inzidenz seit Anfang der Sechzigerjahre in einem bestimmten Gebiet nach - in Problemvierteln Südlondons. Hierbei dürften Drogen eine wesentliche Rolle spielen, glauben Forscher.

Auch Stephan Kupferschmid, Kinder- und Jugendpsychiater an der Universitätsklinik Bern, sieht einen möglichen Zusammenhang zwischen Psychosen und Cannabis. "Wir beobachten Patienten, die schon immer gekifft haben, immer damit zurechtkamen und dann irgendwann psychotisch werden." Als unmittelbarer Auslöser kommt immer wieder Skunk infrage, so Kupferschmid. Die am häufigsten mit intensivem Cannabis-Konsum einhergehenden psychischen Störungen sind allerdings Depressionen und das "amotivationale Syndrom", betont der Mediziner. Eben die allseits bekannten Stimmungstiefs sowie Antriebslosigkeit.

THC-Gehalt

Die wissenschaftliche Beweislage zum Thema Psychosen und Cannabis ist noch längst nicht eindeutig. Zwar weisen mittlerweile mehrere Studien auf eine Verbindung hin (vgl. u. a. British Journal of Pharmacology, Bd. 160, S. 511), doch die zentrale Frage bleibt weiterhin ungeklärt: Löst die Droge, vor allem Skunk, tatsächlich psychotische Störungen aus, oder greifen psychotisch anfällige Personen eher zu Cannabis und seinen hoch THC-haltigen Varianten? Was ist Ursache, was ist Folge? Gesichert scheint jedoch, dass Hanfkonsumenten ein mehr als doppeltes Risiko für die Erkrankung an einer Psychose tragen, sehr starke Kiffer sogar ein sechsfaches. Dennoch betonen sowohl Curran als auch Kupferschmid, dass nur eine sehr geringe Minderheit der Konsumenten tatsächlich Schäden davonträgt.

Alexander David, Arzt bei der Drogenkoordination Wien, sieht die Gefahr vor allem bei Jugendlichen. Bei ihnen kann Cannabis vermutlich eine bereits existierende psychotische Prädisposition verstärken, die Krankheit bricht schneller aus, so der Fachmann. "Je früher mit dem Konsum begonnen wird, desto größer das Risiko." Sehr bedenklich sei es deshalb, wenn bereits 13-Jährige regelmäßig kiffen. Stephan Kupferschmid teilt diese Position. "Es scheint so zu sein, dass psychische Störungen bei Cannabis-Konsum früher eintreten." Und da die Pubertät eine besonders kritische Lebensphase ist, seien die Folgen einer Erkrankung während dieser Zeit am größten.

Gefährdete Jugendliche

In Wien gibt es schätzungsweise 10.000 Minderjährige mit Cannabis-Erfahrung, wahrscheinlich sind 300 bis 400 davon Problemkonsumenten, berichtet Alexander David. "Ein ganz wesentlicher Faktor für die Entwicklung psychotischer Störungen ist, wie das soziale Umfeld auf den Kranken reagiert." Bei sozialen Schwierigkeiten kann Cannabis deshalb eine besondere Dynamik entwickeln. Betroffene Jugendliche brauchen deshalb die vertrauensvolle Unterstützung ihrer Eltern, und bei den ersten Anzeichen von psychischen Problemen muss professionelle Hilfe geholt werden, betont David. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 21.5.2012)