"Im Herzen ist man ein Österreicher, wenn man sich als solcher fühlt."

Foto: standard / christian fischer

"Ich nenne es 'Leistung ermöglichen', jemand anders nennt es Antidiskriminierung."

Foto: standard / christian fischer

Begriffe wie Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit kommen Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) nur schwer über die Lippen. Den erhobenen Zeigefinger mag er nicht, denn wenn die Politik Leistung ermögliche, sei das auch Antidiskriminierungsarbeit. Mit daStandard.at sprach Kurz außerdem über Integration als Herzensangelegenheit und über die Offenheit der österreichischen Gesellschaft.

daStandard.at: Herr Kurz, Sie sagen, damit Integration funktionieren kann, muss man nicht nur am Papier, sondern auch im Herzen ein Österreicher sein. Was meinen Sie damit?

Kurz: Im Herzen ist man ein Österreicher, wenn man sich als solcher fühlt. Wir haben leider einige Menschen, die zwar am Papier Österreicher sind, aber noch nicht angekommen sind und sich mit dem Land nicht identifizieren.

daStandard.at: Muss man sich als Österreicher fühlen, um hier angekommen zu sein?

Kurz: Wenn man Staatsbürger ist, sollte man sich auch als Österreicher fühlen. Es ist sinnvoll, einen Zusammenhang zwischen Gefühl und Realität am Papier zu haben.

daStandard.at: Wie ist das mit Doppel- oder Mehrfachidentitäten?

Kurz: Es ist dann kein Problem, wenn das Ganze positiv ausgelegt ist. Wir haben ja das Problem, dass viele Menschen einen Identitätskonflikt haben und sich deshalb nicht wohlfühlen.

daStandard.at: Das Identitätsproblem ist doch konstruiert, weil die Botschaft lautet: Du musst dich entscheiden, beides geht nicht.

Kurz: Es ist nicht so, dass die Wurzeln verleugnet werden sollten. Aber wenn sich jemand hier nicht heimisch fühlt, dann leidet er oftmals darunter, und ab dem Zeitpunkt ist es ein Problem, und ab da gibt es Handlungsbedarf.

daStandard.at: Stichwort Handlungsbedarf: 1,5 Millionen Menschen haben Migrationshintergrund. Wie viele haben eigentlich ein Integrationsproblem?

Kurz: Es wäre falsch, eine Trennlinie zu ziehen zwischen Integrierten und Nichtintegrierten. Es gibt Aufholbedarf in den Bereichen Sprache, Arbeitsmarkt und gegenseitiger Respekt. Bei einem Großteil gibt es aber keine Probleme.

daStandard.at: Trauen Sie sich, "Großteil" zu präzisieren?

Kurz: Es wäre fahrlässig, da eine Schätzung zu machen. Es kommt immer auf den Bereich an und darauf, wo man die Grenze setzt.


Video: Sebastian Kurz in aller Kürze über Integration.

daStandard.at: In was soll man sich eigentlich integrieren? "Die" österreichische Gesellschaft gibt es schließlich nicht.

Kurz: Integration ist ein gegenseitiger Prozess. Es braucht Offenheit der aufnehmenden Bevölkerung und Integrationswillen von Zuwanderern. Entscheidend sind die gemeinsame Sprache, Einsatz und Respekt.

daStandard.at: Empfinden Sie die österreichische Gesellschaft als offen und tolerant?

Kurz: Wir haben noch großen Aufholbedarf. Wir machen darum auch viel in diesem Bereich. Mit unseren Integrationsbotschaftern wollen wir einerseits Vorurteile abbauen. Toleranz kann man üben, Offenheit kann man lernen. Wir wollen aber auch bei Kindern mit Migrationshintergrund Motivation schaffen und zeigen, dass Österreich ein Land der Chancen ist, in dem man vieles erreichen kann, indem man sich anstrengt.

daStandard.at: Gibt es Chancengleichheit für alle, egal wo man herkommt? Ist es nicht so, dass Migranten oft mehr leisten müssen, um das Gleiche zu erreichen?

Kurz: Es gibt leider noch keine Chancengleichheit für alle Menschen in Österreich. Es ist Teil unserer Arbeit, uns täglich zu bemühen, dass das besser wird. Es ist aber falsch zu sagen, dass jeder Migrant automatisch keine Chancengleichheit hat. Wir müssen wegkommen vom Opferdenken. Einige Kinder von Migranten haben wesentlich bessere Chancen als der Durchschnitts-Österreicher.

daStandard.at: Europaweit wollen die Österreicher am wenigsten gerne einen Migranten zum Nachbarn haben. Wie konnte die Stimmung so schlecht werden?

Kurz: Das beschäftigt mich sehr. Es ist leider nicht messbar, woran das liegt. Manche begründen es historisch, manche begründen es mit einer hohen Konzentration an Migranten in Städten. Es gab auch Versäumnisse seitens der Politik, aber auch medial hochgespielte Konflikte, zum Beispiel bei Wahlkämpfen.

daStandard.at: Ein Greißler sperrt zu und ein türkischer Supermarkt sperrt auf. Vielen bereitet das ein ungutes Gefühl. Verstehen Sie das?

Kurz: Veränderung ist grundsätzlich für viele schwierig. Da geht es oft gar nicht um Ausländerfeindlichkeit, sondern um die Veränderung per se.

daStandard.at: Ist es nicht auch Ihre Aufgabe zu vermitteln, dass man sich vor solchen Veränderungen nicht zu fürchten braucht?

Kurz: Wäre es die alleinige Aufgabe eines Staatssekretariats, wäre das schwer zu stemmen. Da muss jeder Einzelne mitmachen. Das Integrationsstaatssekretariat tut hier sehr viel. Die meisten Maßnahmen des Expertenbeirates wirken in beide Richtungen.

daStandard.at: Wörter wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus kommen in ihrem Maßnahmenkatalog nicht vor.

Kurz: Ich nenne es "Leistung ermöglichen", jemand anders nennt es Antidiskriminierung. Wenn die Politik Leistung ermöglicht, dann ist das eine Form der Antidiskriminierung. Wir suchen aber das Verbindende, nicht das Trennende. Unsere Aktion heißt deswegen nicht "Du sollst kein Rassist sein", sondern "Zusammen Österreich". Der erhobene Zeigefinger ist nicht der erfolgreichste Weg, das haben die letzten Jahrzehnte gezeigt. Vielleicht hilft es der Sache mehr, wenn man es so nennt, wie wir es nennen.

daStandard.at: Gegen Schulpflichtverletzungen fordern Sie ein Bündel an Maßnahmen und höhere Strafen. Wieso nicht auch gegen Diskriminierung?

Kurz: Wir haben eines der strengsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa, und das ist gut so. Es sind noch nicht viele Tage vergangen, wo mir nicht jemand von einem Diskriminierungsvorfall erzählt halt. Ich nehme diese Fälle alle sehr ernst, aber wir haben da strenge Gesetze.

daStandard.at: Offensichtlich reichen Gesetze nicht.

Kurz: Stimmt. Darum machen wir Projekte wie "Zusammen Österreich". Wir müssen in den Köpfen der Menschen etwas ändern, aber wenn jemand gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstößt, gehört er angezeigt und verurteilt.

daStandard.at: Vor einem Jahr wussten Sie in einem Interview nicht, was ein Schwabo ist. Wissen Sie es mittlerweile?

Kurz: Ja, ich bin zeitnah aufgeklärt worden.

daStandard.at: Hat Sie im letzten Jahr einmal jemand so genannt?

Kurz: Nein, zumindest habe ich es nicht mitbekommen. (Yilmaz Gülüm/Olivera Stajić, daStandard.at, 13.4.2012)