Wald als Abenteuerspielpatz: Timur Massold und Peter Schneider in "Die Summe meiner einzelnen Teile".

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Wien - Ein diffuses Unbehagen am Konformismus gegenwärtiger Lebenskonzepte haben alle Filme des Vorarlbergers Hans Weingartner gemeinsam. "Die Summe meiner einzelnen Teile", seine neue Arbeit nach der schiefgelaufenen Mediensatire "Free Rainer", macht da keine Ausnahme und wirkt in mancher Hinsicht wie eine radikalisierte Variante seines Debüts von 2002, "Das weiße Rauschen". Daniel Brühl spielte damals einen jungen Mann, der hoffnungsfroh nach Berlin kommt, dann aber durch den Drogen befeuerten Hedonismus der Stadt in eine Krise gerät und an Schizophrenie erkrankt.

Martin, der von Peter Schneider empfindsam verkörperte Held des aktuellen Films, fällt aus den Reihen der Nine-to-Five-Soldaten, weil er an einem Burnout laboriert. Als Weingartner in die Erzählung einsteigt, scheint das Schlimmste jedoch schon vorüber zu sein: Aus der Psychiatrie entlassen, versucht der Mathematiker dort anzuschließen, wo er aufgehört hat. Seine zögerliche Rückkehr ins Leben liefert vielleicht die stimmigsten Momente des Films: die mausgraue Wohnung, der schrecklich gut gelaunte Freund der Ex, die aalglatte Abfertigung am Arbeitsplatz - wer will schon mit in diesen Alltag?

Weingartner selbst mit Sicherheit nicht. Er bevorzugt immer die Abweichung von der Norm, eine Alternativroute, die als politische Ausstiegsfantasie romantisiert wird. In "Die Summe meiner einzelnen Teile" geht zunächst alles zack, zack abwärts: Zwangsräumung, Obdachlosigkeit, Alkoholismus, psychische Ticks. Doch dann begegnet Martin einem kleinen Jungen (Timur Massold) aus der Ukraine, der so wie er selbst allein auf der Straße lebt. Aus den beiden wird ein Gespann, das wie eine idealtypische Vater-Sohn-Beziehung erscheint: Von der zurückweisenden Welt des Asphalts ziehen sie um in den Wald, der wie ein Abenteuerspielpatz erscheint, in dem die Lebensgeister neu erwachen.

Die Idee dieser Wildnis am Rande einer auf Effizienz ausgerichteten Zivilisation hätte ihren Reiz, würde der Film seine Gegenüberstellungen von Staat und Individuum beziehungsreicher und hintergründiger anlegen. Obwohl die mentale Lage des Helden durchaus labil wirkt - weshalb sich auch die Erzählebenen ein wenig verschieben -, machen sich hier nur die Institutionen verdächtig, die mit hartem Griff auf den Einzelnen zugehen. Das ist ein wenig zu einfach gedacht.   (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 30.3.2012)