Der Fotoband von Horst A. Friedrich über die schicksten Radfahrer in London ist im Prestel Verlag erschienen: Cycle Style. € 24,95

Foto: Prestel Verlag

>>>Zur Ansichtssache: Ein Blick in das Buch "Cycle Style"

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Der Beweis, dass er 2008 das richtige Pferd sattelte, betrat im Sommer des Vorjahres Michael Vogts Laden. "Die Dame war sehr elegant und über 60. Sie sagte, sie brauche ein Fahrrad." Vogt macht eine dramaturgische Pause: "Und zwar eines, das zu ihrem pinken Chanel-Kostüm passt." Die Dame, erinnert sich der Münchner, brauchte nicht lange. "Dann rief sie im Hotel Vier Jahreszeiten an - und ließ das Rad abholen: Sie war übers Wochenende aus Nürnberg gekommen - und wollte sich keine stilistische Blöße erlauben."

Vogts Radgeschäft heißt "Stilrad". Der Name ist Programm - und der Markt ist da: Stilrad hat Niederlassungen in Berlin, Frankfurt und Zürich. Österreich kommt demnächst: Wien oder Salzburg. Die Zeit, so Vogt, sei reif: 2008 war er mit seinem Wunsch, mit Anzug auf dem Rad gut auszusehen, recht allein. Doch heute wirke die Frage nach guten Look auf dem schönen Bike "wie die Frage nach Henne und Ei". Das Dilemma - und sein Asset: "Der Radhandel ist technikfixiert, obwohl die Leute gut aussehen wollen."

Unterwegs mit Stil

Nicht nur in München, ergänzt Horst A. Friedrichs. Friedrichs ist Fotograf, lebt in London - und hat dort im Laufe des vergangenen Jahres das soeben erschienene Buch Cycle Styles (Prestel) geschossen: Radfahrer und Radfahrerinnen, deren Montur nicht dem Vehikel und dessen - angeblich - schweiß- und schmutzintensiven Nebenwirkungen folgt, sondern "die so fahren, wie sie auch sonst unterwegs seien: mit Stil".

London, so der 45-Jährige, der mit seinen Fotobänden seit jeher "zeigen will, was alles in der Wundertüte London steckt", sei ein gutes Pflaster, um Style und Bike zu vereinen - und zu dokumentieren: "Nicht umsonst hat das Fahrrad hier früher ,Dandy Horse' geheißen." Und nicht zufällig beginnt das Buch mit einem Exkurs in die Geschichte britischer Fahrradvereine des 19. Jahrhunderts. Und der Debatten, was ein Radfahrer trägt.

Aber heute und in Festlandeuropa? Zu praktischen (Goretexjacke und Schmuddeljeans) und sportlichen (Lycra) Bikern kamen in den letzten Jahren Messenger-Lookalikes. "Drei von vier Radfahrern tun so, als wären sie Kuriere", amüsiert sich die Berliner Modepublizistin Nadine Barth. Berlin hinke London "also klar hinterher: Unsere Fashion- und Avantgardeszene hat der Trend noch nicht erreicht."

Selbst Politiker fahren Rad

Doch nicht nur Zeitgeist und Going-Green-Gedanken bringen London aufs Rad: Krise und City-Maut spielen auch eine gewichtige Rolle. Friedrichs: "In jedem Fall machen weniger Autos die Stadt lebenswerter. Und das hat einen Schneeballeffekt." Banker wie Punks, Models wie Mütter - ja sogar Politiker führen plötzlich Rad. Die "Trachten" seien da oft vorgegeben, die Räder aber frei wählbar: Ob es standesgemäß ist, wenn ein Schneider der Savile Row im Maßanzug auf dem 5000-Euro-Karbonrenner zur Arbeit fährt, war für Etikett-Definierer bisher nie Thema. Friedrichs castete daher nicht - er fand: im Vorbeifahren. In und um die hippen, neuen Rad-Bars wie das "Look Mum: No hands!" Oder bei Themen-Radtreffen wie dem "Tweed Run".

Freilich: Der aus Deutschland stammende Fotograf ist nicht der Erste, der Stil und Style auf dem Rad einfängt. Am 14. November 2006 schoss Mikael Colville-Andersen in Kopenhagen ein Bild, das, wie er sagt "eine Million Fahrräder lostrat": Colville schuf den Blog Cycle Chic (www.copenhagencyclechic.com) - einen Street-Fotography-Blog, der die Schönheit des Radelns, abseits von Technik und Sport, zelebriert. "Style over Speed" lautet das Credo. Dem folgen mittlerweile Ableger in 57 Städten - und im Mai wird Colville-Andersen quasi einen Best-of-Bildband präsentieren. Dass sein Cycle Chic dem gleichen Thema huldigt wie Friedrichs Cycle Style (und im selben Verlag erscheint), verwirrt: Spiegel online verwechselte die Titel bereits - weitere Medien werden folgen. 

Das Rad selbst als Stilobjekt

Nicht zuletzt, weil das Zusammenfinden von Fahrrad und Stil vom urbanen Nischen- zum zeitgeistigen Megathema wird: Ex-Talking-Heads-Kopf David Byrne erinnert sich in seinen soeben auf Deutsch erschienenen Bicycle Diaries (S. Fischer), wie man ihn anstarrte, als er in den 80ern im Anzug in New York von Club zu Club radelte. Jetzt dagegen springt die Modeindustrie gerade auf den Zug auf. Kleine Designer, etwa das New Yorker Label Outlier, bedienen schicke Biker zwar schon länger - aber dass ein Konzern wie Levi's im Frühjahr 2012 Hosenkollektion für Radfahrer vorstellt, geschieht nicht auf Verdacht.

In Österreich ist von alledem wenig zu spüren, bedauert der Radsammler und und Bike-Historiker Michael Embacher: "Hier wird das Rad selbst erst als Stilobjekt entdeckt." Der nächste Schritt sei aber "zwingend, weil logisch: Die Leute merken, dass sie sich mit Anzug, Rock oder High Heels sogar auf einem Rennrad wohlfühlen können." Auf Zeit setzt daher auch Alec Hager von der Wiener Radlobby-"IG-Fahrrad": "Dem Phänomen fehlt noch die Breite. Aber: Es beginnt."

Auf halber Strecke zwischen London und Wien sieht Stilrad-Händler Michael Vogt München: "Sogar die konservativen Bayern sehen, dass der Porsche in der City keinen Auftrag mehr hat. Aber gut aussehen wollen die Schickis trotzdem." Und das, glaubt Vogt, leite gerade einen verkehrspolitischen Dammbruch ein: "Wenn Radfahren sexy ist, wird es vom Kampf- zum Lifestylethema: Machen wir es schön - dann zieht es." (Thomas Rottenberg, Rondo, DER STANDARD, 23.03.2012)