Die EU bietet Russland im Rahmen der Aufstockung der Gelder für das atomare Kreditprogramm Euratom Mittel für die Fertigstellung von sechs Reaktoren an. Damit sollen russische Atomanlagen, die schon seit Mitte der 80er-Jahre in Bau sind, fertig gestellt werden. Offenbar misst die EU mit unterschiedlichen Maß: Für Anlagen in den neuen Mitgliedsländern und in geografischer Nähe soll es Stilllegungsprämien geben; weiter im Osten soll die europäische Atomindustrie dagegen groß ins Geschäft kommen. Eine Doppelmoral.

Offiziell spricht das die EU-Kommission nicht aus - es gehe nur um die Verbesserung der Sicherheit von existierenden AKW. Aber im geheimen Anhang ("Non-Paper" im Diplomatenchinesisch) werden sechs Projekte in Russland aufgezählt, für die man bereits über die Finanzierung verhandelt. Darunter ein Schrottreaktor vom Tschernobyl-Typ - technisch das baugleiche Modell wie der Meiler in Litauen, dessen Abschaltung (zwar erst 2009) Brüssel zur Vorbedingung des Beitritts des baltischen Landes gemacht hatte.

Brüssel spielt mit dem Feuer

Brüssel spielt bei der Aufrüstung der russischen Nuklearindustrie offenbar bewusst mit dem Feuer: Die EU muss sich fragen lassen, wie sie denn die neuen und künftigen EU-Mitglieder zu Schließungsplänen verpflichten, geschweige denn zu einem Ausstieg aus der Kernenergie bewegen will, wenn man zugleich den Russen bei der Fertigstellung von Anlagen hilft, die auf Sicherheitstechnik aus der Zeit vor dem GAU in Tschernobyl basieren.

Dass die sechs Meiler nicht schon längst strahlen, ist nur dem Geldmangel in Moskau zu verdanken. Bei der geplanten Aufrüstung muss auch die österreichische Regierung Farbe bekennen. Meint sie es ernst mit dem Kampf gegen AKW, muss sie gegen die Aufstockung der Kreditlinien stimmen. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 16.6.2003)