... Braucht Österreich die Freiheitlichen? Es ehrt die Freiheitlichen, dass sie sich darin selbst als Regierungspartei nicht sicher sind, weshalb diese Frage neulich einem Publikum auserwählter Leser von Andreas Mölzers "Zur Zeit" vorgelegt und einer, der es wissen sollte, damit beauftragt wurde, sie einer Lösung zuzuführen. Ein gewisser Herbert Haupt. Unvoreingenommen ist zu sagen, er unterzog sich dieser Aufgabe mit der ihm eigenen rhetorischen Bravour und hub also an: Wenn wir heute hier an vier verschiedenen Orten in Wien unterschiedliche Diskussionen haben, ist das vielleicht auch ein Zeichen der neuen Freiheitlichen - dass wir uns nicht in der Schicki-Micki-Gesellschaft der Seitenblicke bewegen, sondern uns tatsächlich in schwierigen Zeiten dieses Staates sehr unterschiedlich der Mühe unterziehen, mit der Bevölkerung in direkten Kontakt zu treten und unsere Anliegen, direkt authentisch und nicht von den Medien verändert, um nicht zu sagen manipuliert, zu artikulieren. Das beantwortete die Frage Braucht Österreich die Freiheitlichen? noch nicht erschöpfend, aber es könnte in Erinnerung rufen, dass sich auch die alten Freiheitlichen kaum je in der Schicki-Micki-Gesellschaft der Seitenblicke bewegten, sondern sich der Mühe, mit der Bevölkerung in direkten Kontakt zu treten eher in Bierzelten unterzogen. Trotzdem war der lauschende Andreas Mölzer vom Bekenntnis des Noch-Parteichefs derart hingerissen, dass er in seinem Editorial schrieb: Herbert Haupt, dem seine Kritiker immer wieder vorwerfen, er würde zur rhetorischen Konfusion neigen, war im Gegensatz zu solchen Anwürfen beeindruckend klar und überzeugend. Auch da, wo er sich zu Europa bekannte. Die Freiheitliche Partei war in der Geschichte Österreichs die erste Europapartei, und zwar nicht nur von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt. Sie hat schon damals ein Bild vom neuen Europa gehabt, dem wir uns heute in einer neuen Europäischen Union schön langsam annähern. Wir sind damals verlacht worden, als wir Europa vom Ärmelkanal bis zu Ural sahen. Nur den Russen ist das Lachen vergangen, verstört stöhnten sie auf: Nicht schon wieder! Viel gelacht wurde aber hierzulande etwas später über die Schildlaus, mit der Haupts Idol als Chef der ersten Europapartei in der Geschichte Österreichs Österreich von einem EU-Beitritt abhalten wollte. Das dürfte Haupt in seiner Begeisterung vergessen haben, denn heute weiß er: Heute sind wir zwei Drittel des Weges zu diesem neuen Europa gegangen, und Wien wird in den nächsten sieben Jahren wieder Mittelpunkt Europas sein und nicht mehr Brüssel. Daher darf es auch nicht Chicago werden. Jedenfalls: Die geographische Ausdehnung ist unübersehbar. Bestechend klar und überzeugend war Haupt auch, als er auf die Mühen der Pensionsreform zu sprechen kam. Sie können sich also vorstellen, wie langfristig und wie ausreichend diese Maßnahmen durchzusetzen sind, um das, was eine rechtsstaatliche Partei wie die Freiheitliche Partei (das zu betonen, kann nicht schaden) auch immer hochgehalten hat, den Eigentumsschutz, den Vertrauensschutz und die Berechenbarkeit der Bundesverfassung, auch in den nächsten 15 Jahren voll zu erhalten. Wenn wir bei nächster Gelegenheit wieder einmal die Bundesverfassung berechnen, werden wir gern einkalkulieren, wie rechtsstaatlich die FPÖ ist. Aber um zur Frage zurückzukehren: Jeder in Österreich ist gut beraten, sich zu überlegen, dass es in der österreichischen Parteienlandschaft auch in Zukunft eine Partei geben muss, die Europa verpflichtet ist, die den Menschen in diesem Lande auch dann verpflichtet ist, wenn sie jenseits der Grenzen dieses Landes entweder als Auslandsösterreicher oder als Volksgruppenangehöriger der altösterreichischen deutschen Minderheiten leben, die der Arbeitswelt in Österreich verpflichtet ist und der Solidarität mit jenen, die leisten können, und jenen, die leisten wollen, aber durch Behinderung oder andere Lebensumstände gehindert sind und die den Rechtsstaat weiterentwickeln, wie es Dieter Böhmdorfer gemacht hat. Deswegen soll Österreich die Freiheitlichen brauchen? Alle konnte Haupt nicht überzeugen, wie Mölzer berichtete, aber viele - immerhin waren die Reizwörter passend angebracht. Im Gegensatz zu einem Diskutanten aus dem Publikum, der Haupt vorwarf, er habe "seine Grabrede gehalten", dürften die meisten Besucher einen Teil jenes Optimismus', den der FPÖ-Chef in der Debatte versprühte, mitgenommen haben. Dabei muss es sich um den Sprühsatz handeln: Und daher glaube ich, dass wir Freiheitlichen in der Regierung unverzichtbar sind. Ich glaube auch, dass wir für diesen Staat unverzichtbar sind. Die Wähler sind Herbert Haupt in diesem Glauben eher nicht gefolgt. Wenigstens das kann er sich sehr gut erklären: Manche in den Medien und sehr viele in der österreichischen Öffentlichkeit können mit der freien Diskussion in der Freiheitlichen Partei nichts anfangen.
(DER STANDARD, Printausgabe, 10.6.2003)