Teil der Schau "Zeit-Zeugen" ist auch Standard-Fotograf Matthias Cremer: Fotos von Personen zu machen, die alle erkennen, obwohl ihr Gesicht nicht zu sehen ist, bereitet ihm besondere Freude.

Foto: Standard/Matthias Cremer

Die Inszenierung des 1945 ansetzenden Bilderbogens ist assoziativ und seicht geraten.

Wien - Fotos, die aus dem Dunkel herausleuchten. So stellte sich die Photographische Gesellschaft ihre Ausstellung Zeit-Zeugen zur österreichischen Fotografie seit 1945 ursprünglich vor. Aber die ersehnte Blackbox scheiterte am lieben Geld. Jetzt ist die Schau samt Fußboden schneeweiß geworden: "Die Bilder sollen schweben", erklärt Werner Sobotka, Präsident der heuer ihren 150. Geburtstag feiernden Gesellschaft.

Schwerelos ist in gewisser Weise auch die Hängung geraten. Denn die 155 versammelten Lichtbildmeister aus Kunst-, Presse- und Werbefotografie werden über sechs Säle hinweg als buntes Kaleidoskop in dichter Salonhängung präsentiert. Dazu kommt ein Kapitel zur Stereoskopie. Eintretend fällt der Blick auf Erwin Wurms prominent platziertes Selbstporträt mit Zitrone im Mund (The artist begging for mercy, 2002), das vom Akt eines Jünglings von Agnes Prammer und einem Hermann-Nitsch-Porträt Markus Rössles begleitet wird.

Assoziative Späßchen

So logisch gruppiert geht es allerdings nicht weiter. Die Leistungsschau österreichischer Fotografie (von Lothar Rübelt über die Fotos zum Wiener Aktionismus bis zu jungen Zeitgenossen wie Gerd Hasler) folgt jedoch weder Chronologie noch thematischen Unterkapiteln oder Entstehungszusammenhängen. Modefoto oder Schauspielerinnenporträt? Bei den Aufnahmen Hubert Urbans ist das nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Ist der Mercedes Benz W 196, der sogenannte "Silberpfeil", von dem Bernhard Angerer nur die Silhouette unter einem weißen Laken zeigt, reine Kunst, oder doch vom Autohersteller beauftragt?

Im Fall des flammenden Infernos, das Sebastian Wagner samt Hitzeschutzanzug der Firma Tempex meisterlich ins Bild gesetzt hat, klärt der Bildtitel offene Fragen. Feuer gefangen? In der kühlen Küstenlandschaft gleich daneben, kann das entflammte Auge sogleich gelöscht werden. Solch assoziative, oft humorvolle Sprünge dominieren die Hängung einer Schau, die, wie Fotograf und Kurator Horst Stasny betont, "keine brave Ausstellung, wie man sie gewohnt ist", sein will. Und so stoßen über Eck preisgekrönte Reportagefotos, wie etwa das heftige Fixer-Foto Heinz Stephan Tesareks (World Press Photo 2011) auf das berühmte Gruppenporträt, das Christian Skrein 1968 von Künstlern wie Oswald Kalb, Walter Pichler und Christian Ludwig Attersee machte.

Weniger rätselhafte, aber dafür vordergründigere Nachbarschaften sind etwa jene von Patti Smith (Jork Weismann) und Mutter Teresa (Lois Lammerhuber): Beide halten ein Buch in Händen! Oder die alte Dame, deren skeptischer Blick in eine Unterwäscheauslage Erich Lessing 1958 auf Bild bannte. Daneben posiert die zeitgenössischen Fotografin Flora P., die sich selbstbewusst nackt inszeniert.

Eine Hängung, die Augenermüdung verhindert, heißt es. Ein unterhaltsames, aber anspruchsloses Spiel, in das selbst der 450 Seite starke Wälzer in Ermangelung eines alphabetischen Index keine Ordnung bringen kann. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD - Printausgabe, 20. Dezember 2011)