"Wenn er im Fitness-Center vor der Spiegel-Wand stand, ließ er seine Muskeln spielen. Sein Armumfang war erstaunlich, er hatte eine Art Stiernacken bekommen. Körperkult contra Krankheit."

Stefan Berg arbeitete in der DDR bei Kirchenzeitungen, wurde 1991 Redakteur des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes und ist seit 1996 Spiegel-Autor. 2008 erkrankte er im Alter von 44 Jahren an Morbus Parkinson.

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Zitterpartie, Eine Erzählung

Stefan Berg, Hansisches Druck- und Verlagshaus, ISBN-10: 3869210893, 126 Seiten, 13,30 Euro

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Der Spiegel-Redakteur Stefan Berg gewährt mit seinem Buch "Zitterpartie" berührende Einblicke in seine Parkinson-Erkrankung. Drei Jahre nach der Diagnose ist ihm der Kollege Parkinson schon sehr vertraut. Mit dem Wort unheilbar hat er gelernt zu leben, die Frage nach dem Warum hat er sich nie gestellt. Im Gespräch mit Regina Philipp erzählt er davon, wie ihm die Krankheit das Tempo aus seinem Leben genommen hat.

derStandard.at: Können Sie sich an den Tag erinnern, an dem Sie bemerkt haben, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt?

Berg: Im Nachhinein ist es schwer zu sagen, wann dieser Tag war. Ich hatte Probleme in der linken Schulter, im linken Arm und habe beispielsweise bemerkt, dass ich beim Schwimmen immer im Kreis geschwommen bin. Ich habe bemerkt, dass ich ein wenig unruhiger war als sonst und meine linke Hand zu zittern begonnen hat. Und dann kam es zu dieser Situation, die auch im Buch eine Rolle spielt: Ich saß neben einem Politiker auf einem Podium, habe ihm das Mikrophon hingehalten und plötzlich hat sich meine Hand selbstständig gemacht. Ich hätte meinem Gesprächspartner mit dem Mikrophon beinahe auf das Kinn geschlagen. Daraufhin habe ich meine linke Hand unter den Oberschenkel geklemmt. In diesem Moment wusste ich, dass ich mich gründlicher untersuchen lassen muss.

derStandard.at: Wie viel Zeit ist vom Bemerken der Symptome bis zur Diagnose vergangen?

Berg: Bestimmt ein Jahr. Die Diagnose stand im Jahr 2008, wobei ich im Nachhinein weiß, dass sich bereits 2005 die ersten Dinge verändert haben.

derStandard.at: Haben Sie selbst an Morbus Parkinson gedacht?

Berg: Nein, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich war damals stellvertretender Ressortleiter beim Spiegel und habe die Symptome primär mit dem Stress in Verbindung gebracht. Den Kollegen Parkinson kannte ich nur vom Hörensagen. Das erste Mal fiel das Wort Parkinson bei einem Physiotherapeuten, der mich gründlich untersucht hat und mir empfohlen hat einen Neurologen aufzusuchen.

derStandard.at: Wie haben Sie den Moment, als Sie die Diagnose erfahren haben, erlebt?

Berg: Natürlich war dieser Moment überraschend. Es war aber komischerweise auch ein Stück Erleichterung. Ich erinnere mich genau, dass ich dachte, jetzt weißt du wenigstens woran du bist.

derStandard.at: Sie schreiben "Wäre er ohne Diagnose so krank, wie er sich fühlte?". Hat Sie das Wissen um die Diagnose kränker gemacht?

Berg: Nein, ich habe aber angefangen mich mit dieser Krankheit zu beschäftigen und dann stellt sich immer die Frage, tut man das zu viel beziehungsweise zu wenig.

derStandard.at: Haben Sie sich gefragt, warum ich?

Berg: Nein, diese Frage finde ich blödsinnig. Als ich noch quietschlebendig war, mit vier Kindern und einer Frau und mit einem tollen Job, habe ich auch nicht gefragt: warum geht es mir so gut? Ich habe es als gegeben angenommen. Und jetzt stelle ich mir diese Frage erst gar nicht und deswegen bin ich auch nicht trübsinnig.

derStandard.at: So eine Diagnose ist ein traumatisches Erlebnis. Haben Sie die klassischen Trauerphasen durchlebt?

Berg: Es gibt bestimmte Phasen, die ich auch versucht habe in dem Buch zu beschreiben. Am Anfang habe ich mir eine schöne Arbeitsteilung ausgedacht: für die Krankheit ist der Arzt zuständig, ich bin für meine Gesundheit zuständig. Es gab Momente, in denen ich mir schlaue Strategien überlegte, wie ich die Erkrankung bekämpfen kann und andere Momente, wo ich zwischen totaler Verdrängung und Überbeschäftigung mit der Krankheit hin und her geschwankt bin.

Die wichtigste Phase der Auseinandersetzung waren für mich zwei Reha-Aufenthalte, in denen ich mich sehr intensiv mit der Fitnessgeschichte beschäftigen konnte. Der Vorteil dieser Erkrankung ist ja, dass man nicht allein auf Medikamente setzen muss, sondern sehr stark auf bewegungsstabilisierende Elemente wie Sport.

derStandard.at: "Körperkult contra Krankheit", wie Sie es in Ihrem Buch bezeichnen?

Berg: Ja, man kann viel für die Beweglichkeit tun und das ist das Erfreuliche, wenn man schon so eine unerfreuliche Krankheit hat. Beim Parkinson geht viel über Eigeninitiative.

derStandard.at: Die Lebenserwartung parkinsonkranker Menschen ist praktisch ident mit der in der Normalbevölkerung. Trotzdem fallen in ihrem Buch Worte wie: "Der Tod fängt an" oder "der Tod hat sich in sein Leben geschlichen". Wieso diese starke Assoziation mit dem Tod?

Berg: Diese Krankheit hat mich auf die Zerbrechlichkeit des Lebens hingewiesen. Die Illusion, dass alles unbegrenzt und nichts unmöglich ist, wurde mit der Diagnose zerstört. Und wenn man weiß, dass gesunde Gehirnzellen sterben, dann wird man sich auch bewusst: das ist der Tod, der sich da meldet. In begrenzter Form zwar, denn ich weiß, dass meine Lebenserwartung nicht eingeschränkt ist mit dem Kollegen Parkinson. Aber es ist natürlich schon ein Stück Abschied vom bisherigen Leben.

derStandard.at: Hat es auch mit dem Begriff "unheilbar" zu tun?

Berg: Richtig, dieser Begriff "unheilbar" ist seltsam. Unheilbar heißt, ich kann zwar damit leben, es ist aber nicht mehr reparabel. Der Mensch hat sich daran gewöhnt, vom Auto bis zum eigenen Körper, alles irgendwie zu reparieren, recyceln und zu flicken. Und hier ist der Punkt, wo es nichts mehr zu reparieren gibt. Dieses Wort unheilbar ist für mich unter all den Fachbegriffen wie eine große Zacke herausgeragt. In Gesprächen mit anderen Patienten bemerke ich ebenfalls, dass Begriffe wie Krebs oder unheilbar eine eigene Dimension entwickeln und teilweise zur Verstärkung der Krankheit im psychologischen Sinne beitragen.

derStandard.at: Kämpfen Sie nach wie vor gegen Ihre Krankheit oder haben Sie sie als Teil Ihres Lebens akzeptiert?

Berg: Beides. Ich habe sie als Teil meines Lebens akzeptiert. Das ist auch der Sinn des Buches. Andere versuchen sich krank zu schreiben, ich versuche mich gesund zu schreiben. Parkinson ist mein Lebenskamerad geworden, ein Lebensgefährte mit dem ich mich täglich auseinandersetzen muss. In dieser Auseinandersetzung mit der Erkrankung, gewinne ich die Autonomie über mein eigenes Leben zurück.

derStandard.at: Sind Sie heute ein anderer Mensch?

Berg: Mein Verhalten hat sich sehr verändert. Ich lebe etwas zurückgezogener und mehr auf dem Dorf, als in der Stadt. Ich bin etwas einsamer und etwas ruhiger geworden. Die Krankheit fordert viel Selbstdisziplin und Selbstkonzentration und hat auch für veränderte Beziehungen mit Kollegen, mit dem Partner und in der Familie gesorgt.

derStandard.at: Die Krankheit hat das Tempo aus Ihrem Leben genommen. Ist diese Entschleunigung nicht das, was sich viele Menschen eigentlich wünschen?

Berg: In einer gewissen Form ist diese Krankheit eine Bereicherung, wenn auch eine unfreiwillige. Die selbstorganisierte Hektik muss man gezwungenermaßen relativieren. Ich habe begonnen zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen zu unterscheiden und ich habe eine Sprache gefunden. Das ist für mich eigentlich das Erstaunlichste.

derStandard.at: Sie haben Krankheit nach außen getragen, sind also kein "Meister im Spielen und Täuschen"?

Berg: Ich bin von Anfang an sowohl in meiner Familie als auch im Beruf offen damit umgegangen, weil ich finde, die Krankheit alleine ist schon blöd genug. Wenn man sie aber auch noch tarnen und verstecken muss, wird alles noch schwieriger. Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Jeder, der mit mir zu tun hat, weiß, dass ich diese Krankheit habe. Ich muss mein Zittern nicht verstecken. Es ist viel angenehmer offen damit umzugehen, als so zu tun, als wäre man der Superfitte wie früher.

derStandard.at: Wie hat die Umgebung reagiert?

Berg: Erst einmal geschockt auf die Diagnose, weil viele Menschen damit sehr unangenehme Assoziationen verbinden. Aber auch sehr sympathisch auf meine Art damit offen umzugehen. Natürlich sind viele Gesunde – ich behaupte es gibt keine Gesunden, sondern nur Leute, die noch nicht wissen, welche Krankheit sie bekommen – sehr unbeholfen im Umgang mit Kranken. Das hängt auch damit zusammen, dass kranke Menschen nicht offen damit umgehen und die Sache damit verkomplizieren.

derStandard.at: Verunsichert Sie die Ungewissheit, was noch auf Sie zukommt?

Berg: Die macht mich teilweise kräftiger. Ich lebe mehr in der Gegenwart als früher. Ich bin ein bisschen davon befreit Pläne zu machen.

derStandard.at: Was bedeutet dann das Wort Zukunft für Sie?

Berg: Noch größere Ungewissheit als sie jedem Menschen ohnehin gegeben ist. Das beruhigende ist aber, dass mein Leben ebenso ausgehen wird, wie ihres. (derStandard.at, 15.11.2011)