Rund 200 Immobilienmenschen nahmen am Dienstag am Auftaktkongress der IG Lebenszyklus Hochbau in der Wiener Siemens City teil.

Foto: IG Lebenszyklus Hochbau

Vor wenigen Monaten erst gegründet, hielt die "IG Lebenszyklus Hochbau" nun ihren ersten großen Kongress ab: 200 Vertreter der Bau- und Immobilienwirtschaft kamen am Dienstag in die Siemens-City in Wien-Floridsdorf, um sich über das bereits vorgestellte Lebenszyklus-Modell zu informieren und Neuigkeiten dazu auszutauschen.

Als Keynote-Speaker sprang Herbert Lechner, stv. Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der österreichischen Energieagentur, ein. Umweltminister Niki Berlakovich, der ursprünglich diesen Part übernehmen sollte, musste aus terminlichen Gründen absagen.

Keynote aus Goisern

Die wichtigste "Keynote" kam aber ohnehin von jemand ganz anderem: "Wenn ma lang so weiter hoaz'n, brennt da Huat", singt Hubert von Goisern nämlich in seinem neuen Nummer-1-Hit "Brenna tuat's guat" - und mit diesem Song, der zum Auftakt des "Auftaktkongresses" aus den Boxen dröhnte, war für Lechner quasi das Worst-Case-Szenario vorgegeben, das den anwesenden Immo-Profis klarmachen sollte, was in den kommenden Jahren und Jahrzehnten alles gelöscht werden müsse. "Das Tempo der Dekarbonisierung muss signifikant erhöht werden", gerade im Gebäudebereich herrsche enormes Potenzial, so Lechner. Für eine systematische Verbrauchsreduktion sei aber ein systemischer Ansatz nötig, was den Lebenszyklus von Gebäuden sowie die Rückwirkungen auf das Energiesystem, vor allem in Bezug auf Mobilität, betreffe.

Was Letzteres bedeute, umriss der zweite Keynote-Speaker, Architekt und Architekturprofessor Christoph Achammer, mit einem prägnanten Vergleich: "In meinem Heimatland Tirol sind 0,3 Prozent der gesamten Fläche Bauland, aber 1,0 Prozent ist Verkehrsfläche." Der "Traum aller Österreicher", das freistehende Einfamilienhaus, könne deshalb nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Hebel von 2:50

Mit der gesamten Immobilienwirtschaft ging Achammer in seiner pointierten Rede dann hart ins Gericht. "Wir verhalten uns wie im Mittelalter. Sogar in der Planung wird immer noch nach dem Billigstbieterprinzip vorgegangen." Er rechnete vor, dass die Planung eines Gebäudes maximal zwei Prozent seiner Lebenszykluskosten ausmache, während knapp ein Fünftel für die Errichtung und der große Rest von knapp 80 Prozent für den Betrieb aufgewendet werden müssen. "Mit zwei Prozent der Kosten beeinflussen die Planer ca. 50 Prozent der Lebenszykluskosten direkt; dieser Hebel von 2:50 lässt selbst Bankster und Casineure verblassen", zog er einen launischen Vergleich zur Finanzindustrie.

M.O.O.Con-Geschäftsführer Karl Friedl und Stephan Heid von Heid Schiefer Rechtsanwälte gingen dann nochmals näher auf das von der IG entwickelte Lebenszyklus-Modell ein. Dieses geht von einer partnerschaftlichen, nutzungsorientierten, betriebsfokussierten und lebenszyklusoptimierten Zusammenarbeit von Planern, Nutzern, Bauherren, Bauunternehmern sowie den finanzierenden Institutionen (Banken) aus, unter einer "fairen und eindeutigen Verteilung der Risiken und der Verantwortung". Dies mache die Vernetzung aller Beteiligten "bereits in der Planungsphase notwendig", so Friedl.

Sorgen kleiner Architekturbüros

"Wenn jemand, der ganz am Anfang die Investition verantwortet, auch gleich die Reinvestitionen nach 20 oder 30 Jahren mitdenken muss, dann wird das den Planungsprozess völlig verändern", postulierte der M.O.O.Con-Geschäftsführer. Es kranke aber eben heute daran, dass es bei Bauprojekten keinen Gesamtverantwortlichen gebe; die angestrebte Form der Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft sei nur als Gemeinschaftsprojekt möglich. Offene Fragen gebe es aber natürlich noch genug, so Friedl: "Wie verändern sich Leistungsbilder? Wie müssen Vergabeprozesse künftig aussehen?", gab er einen kleinen Vorgeschmack darauf. Und: "Was sagt die Architektenkammer dazu?"

Ein anwesendes Mitglied der Wiener Architektenkammer, Michael Wildmann von grundstein architektur, gab dann auch prompt seine Bedenken zu Protokoll. Die Entwickler des Modells sollten "nochmals an den Start gehen und die Planer mitnehmen", riet er, denn kleinere Büros mit nur wenigen Mitarbeitern würden die hier geforderte integrale Planung, die auf einem ständigen Austausch mit allen "Stakeholdern" (Bauherr, Haustechnik, Nutzer, Finanzierer etc.) basiert, möglicherweise nicht schaffen. Für ihn wären damit auch die innovativsten Teilhaber am Bauprozess bedroht - oder, um mit Hubert von Goisern zu sprechen: Auch hier könnte bald der eine oder andere Hut brennen. (Martin Putschögl, derStandard.at, 8.11.2011)