Battlefield 3 (DICE/EA) ist für PC, PS3 und Xbox 360 erschienen

Foto: EA
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Man muss sich selbst nichts vorheucheln: So schrecklich Krieg, Mord und Zerstörung im echten Leben auch sind, wenn einem die Chance geboten wird, daran rein fiktiv teilzunehmen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, fühlt sich doch eine ganze Reihe Menschen verlockt. Das kennt jeder. Die verbotenen Früchte können manches Mal am süßesten schmecken. Es ist daher nicht verwunderlich, das immer realistischer anmutende Kriegsspiele die Massen anziehen. Eine ganze Industrie lebt davon. Software-Entwickler genauso wie Hardware-Hersteller und Plattformbetreiber. Ein Milliardengeschäft, das wenngleich nach wie vor nur marginal so lukrativ ist wie das Original.

Fake-Krieg im Trend

Das ist psychologisch bedingt. Der Mensch ist schwach und findet an seinen Schwächen gefallen. Die gute Nachricht: Das meiste, was im Kopf stattfindet, wird niemals in die Tat umgesetzt. Und obgleich Jugendschützer schon einmal argumentative Schwergewichte wie "Lernen am Modell" oder ähnliche Theorien auf das Tableau bringen, kann an dieser Stelle zumindest der Autor festhalten: Nach dutzenden Stunden hinter dem imaginären Steuer des polygongepanzerten Panzers und im Alphatexturglascockpit des partikelbeschleunigten Kampfjets oder fake-blutend an der Seite fraggender Scharfschützen-Onlinefreunde habe ich keinerlei Bedürfnis, auch nur eine dieser Aktivitäten in echt auszuüben. Dennoch, blind die virtuell mordende "Killerspiel"-Fraktion zu unterstützen, bringt natürlich auch niemandem etwas. Definitiv gibt es Games, die an die Grenzen des emotional Nachvollziehbaren gehen.

Die populäre Kriegsspielserie "Battlefield", des schwedischen Studios DICE, stellt trotz ihres Simulationscharakters andere Attribute in den Vordergrund. Wie bereits seine Vorgänger beweist auch das jüngst erschienene "Battlefield 3", dass ein Spiel die beste Form des Krieges ist und es selbst beim evolutionär bedingten Realitätsdrang unter dem Strich immer noch nur um Punkte geht.

Echt, aber unecht

Und dabei haben sich die Designer um äußerste Authentizität bemüht. Grafik, Animationen, Effekte, die Geräuschkulisse - jeder Baustein treibt die Computer- und Konsolentechnologien an ihre Grenzen. In der gefühllosen Haut eines Videospielsoldaten werden einem die unterschiedlichen Facetten des Kriegsschauplatzes in nicht gekannter Eindeutigkeit vorgetragen. Um das Repertoire zu präsentieren, flickt abseits des zentralen Mehrspielermodus eine kurz gehaltene Kampagne die Einsatzgebiete der Infanterie und Artillerie zusammen. Als Soldat der U.S. Marines wird man an der irakisch-iranischen Grenze damit beauftragt, die Terrorgruppierung PLR niederzuschlagen. Hollywood-Klischees gelungen eingefangen wird man zunächst Zeuge brutaler Straßenkämpfe, die rein optisch an tagesaktuelle Ereignisse erinnern. Die Bildsprache ist eindeutig: Sonnenlicht wird durch Staub und Schutt gebrochen, Geschoße zischen umher, Häuser stürzen ein, auf beiden Seiten fallen, durchsiebt von bleiernen Kalibern, Kameraden. Es folgt eine Jagd auf die Anführer rund um den Globus. Man selbst nimmt Teil an der schaurig-real aussehenden Bombardierung eines feindlichen Flughafens, drück "schwitzend" einen Panzerfeldzug in der Wüste durch und zerlegt die eine oder andere Maison in Paris.

Effekthascherei

Dem Ablauf des Spektakels folgend, war es den Autoren offensichtlich wichtig, vor allem eine Bühne für die einzelnen Gameplay-Bausteine zu bieten. Ohne jegliche Identifikationsmöglichkeit, befreit von erzählerischen Ansprüchen, soll man weniger Gefühl für die Situation als für das MG in seinen Händen bekommen. Verstärkt wird dieser Eindruck von einer spielerischen Unart, die das populäre "Call of Duty"-Franchise durchgesetzt hat. Szenen werden streng nach Skripten aufgebaut. So kann man auf der anderen Seite der Front Menschen wie Fliegen sterben sehen, solange man nicht an einen bestimmten Punkt vorgelaufen ist, verstummt die Angriffswelle nicht. Was sich nach einer kreativen Unzulänglichkeit anhört, ist auch eine. Allerdings scheint sie das bislang einzige Mittel der Schöpfer zu sein, das Chaos einer Schlacht zu imitieren. Was absolut gelingt und sogar soweit führt, dass man vor lauter Frust das Eingabegerät knirschen lässt. Nicht selten hat man das Gefühl, den Überblick zu verlieren.

Ab in die Sandkiste

DICE hat hier einige Chancen ungenutzt gelassen und sich leider ins Fahrwasser der Konkurrenz gestürzt. Es ist eine inhaltlich belanglose Kampagne, die sich nicht einmal bemüht, frischen Wind ins Genre zu bringen. Fans der Serie wird es dennoch vermutlich kaum jucken, schließlich ist das Franchise von Beginn an als Multiplayer-Erlebnis ausgelegt worden.

Und genau hier spielt "Battlefield 3" seine Stärken aus. Es hat äußerlich den Anschein einer Simulation und ist im Kern nichts anderes als ein riesiger Sandkasten für Erwachsene. Bis zu 64 PC-Spieler und immerhin 24-Konsolenspieler dürfen in den Kampf ums virtuelle Überleben oder taktische Ziele ziehen und sich dabei des gesamten Rüstungsportfolios bedienen. Im klassischen Conquest-Modus wird am besten deutlich, dass es hier nicht einfach ums "Ballern" sondern um Zusammenspiel, Taktik und Fähigkeiten geht. Als Teil eines vierköpfigen Squads spricht man sich ab, ob man das Feld aus der Luft per Hubschrauber oder Kampfjet, mobil mit dem Panzer oder Jeep oder schleichend als Scharfschütze oder stürmend mit MG oder Raketenwerfer aufrollt. Wer sich über die Panik im Schützengraben hinaus damit auseinandersetzt, erkennt rasch, dass es sich im Prinzip um ein Schachspiel um Stellungen handelt, in dem der Pilot zur Dame und der Läufer zum Sanitäter wird.

Facettenreich

In einfacheren Varianten wie Teamdeath-Match oder auch dem geradlinigeren Rush-Mode, in dem man als Angreifer mit der Zerstörung bestimmter Ziele beauftragt wird, ist die Battlefield-Essenz schwächer zu spüren. Dennoch macht es nichts, dass die Entwickler nicht versucht haben ihr Rad neu zu erfinden. Das gebündelte Wirken dieser sehr unterschiedlichen Kräfte auf gigantischen Schlachtfeldern, deren zerstörbare Infrastrukturen genauso zum Schutz wie zur Falle werden können, ist ein auf Monate fesselndes Schauspiel. Persönliche Motivation wird in Form ausbaufähiger Fähigkeiten zugeführt. Praktisch für jede Tat im Eifer des Gefechts, erhält man Abzeichen und Erfahrungspunkte, die in das Upgrade von Waffen umgemünzt werden. So kann jeder, egal ob er sich als Rambo versucht oder mit der Reparatur von Gerätschaften beschäftigt, vorankommen.

Für kooperative Einsätze, werden einem darüber hinaus die Co-op-Herausforderungen nahegelegt. Das sind etwa 15-minütige Einsätze von höchster Brisanz. Denn Zwischenspeichern ist nicht erlaubt.

Glanzpunkte

Bei allem Lob für das Gameplay ist nicht zu übersehen, dass ein Teil des Reizes durch gleich mehrere technische Glanzstücke ausgeübt wird. Das fängt bei der exakten Abbildung der Truppen an, geht über augenschmeichelnde Licheffekte, zerstörbare Kulissen bis hin zur schieren Weite der Einsatzgebiete. Die mitreißende Umsetzung der Dog-Fights in dem von Wattewolken verzierten Luftraum würde fast ein eigenes Werk rechtfertigen. Gepaart mit authentischen Sounds und einer absoluten Gänsehautatmosphäre wird ein Spielgefühl geboten, das man in keinem anderen Titel wiederfindet.

Und Versionsmängel

Dennoch ist das "technologische Wunder" bei Weitem nicht frei von Fehlern. Bugs wie schwebende Panzer oder unsichtbare Löchern im Boden gehören zum Alltag und überlastete Server sowie ein zwingendes Update zum Verkaufsstart sind Zeichen dafür, dass da doch etwas gehudelt wurde. Dann gibt es wenig überraschend starke Versionsunterschiede. Wer es sich leisten kann, wird mit dem PC einen Vorgeschmack auf die nächste Generation des Grafikstandards erhalten. Da können PS3 und Xbox 360 nicht mithalten, wissen aber dennoch zu beeindrucken. Allerdings eine kleine Vorwarnung: Ein optischer Graus erwartet Besitzer von Xbox 360-Konsolen ohne Festplatte. Um scharfe Texturen darstellen zu können, benötigt "Battlefield 3" eine Installation. Kurioser Weise ist dies nur auf Festplatten und nicht etwa auf den Flashspeichern der Xbox 360 4GB und älteren Arcade-Modellen möglich. Das größte Manko der Konsolenversionen ist die Spieleranzahl-Beschränkung. Sie sorgt dafür, dass die Schlachten weniger epische Ausmaße erreichen. Immerhin, durch die Größenanpassung der Karten konnte ein Verlorenheitsgefühl verhindert werden.

PC-Spieler müssen sich hingegen mit einem ganz anderen Ärgernis herumschlagen. Denn zur Nutzung des Spiels schreibt Herausgeber EA den Konsumenten vor, die Verwaltungssoftware Origin zu installieren, die ihrerseits wiederum eine permanente Internetverbindung voraussetzt. Einerseits verkompliziert dies den Einstieg ins Spiel deutlich (ganz zu schweigen vom Browser-basierten Menü), andererseits steht die Software im Kreuzfeuer der Datenschutzkritiker. Wie berichtet, wird EA vorgeworfen, damit praktisch eine Spyware auf die PCs der Nutzer zu schleusen - was der Hersteller wiederum dementierte.

Fazit

Das ist definitiv eine Debatte, die nicht nur "Battlefield 3" sondern EA im Allgemeinen noch länger verfolgen wird. Und jeder Konsument sollte für sich entscheiden, ob er solche Vertriebsmodelle akzeptiert oder nicht (letztendlich entscheidet schließlich das Geld). Das Spiel Battlefield 3 ist abseits dessen dennoch nicht nur ein technischer Überflieger, der spielerisch bei seinen Wurzeln geblieben ist. Letzteres ist keine Kritik, da es kein anderes Werk am Markt gibt, das den Krieg als Spiel besser inszenieren kann. Es schmerzt dennoch, dass man sich zum erzählerischen Aufhänger nicht mehr als den niedrigen Industriestandard überlegt hat. Vielleicht würde die Serie wie in den Anfängen besser damit fahren, das Kapitel "Single-Player" zu streichen - eine "Call of Duty"-Kampagne pro Jahr ist genug. Denn ob zu Fuß, fahrend oder fliegend - innerhalb der Grenzen der virtuellen Welten findet man derzeit keinen facettenreicheren Schlagabtausch für schießende Schachspieler. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 1.11.2011)

Update: Der Artikel wurde nachträglich ergänzt, um die Datenschutzprobleme der PC-Version zu beleuchten.


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