Wien - In dem bereits in den 70er Jahren aufgelassenen Erziehungsheim Schloss Wilhelminenberg in Wien-Ottakring soll es auch zu Todesfällen gekommen sein. Das berichtete Rechtsanwalt Johannes Öhlböck, der zwei mutmaßliche Opfer von systematischen Vergewaltigungen und Misshandlungen vertritt, am Dienstag vor zahlreichen Medienvertreter aus dem In- und Ausland im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien.

Laut Öhlböck soll eine Frau, die von 1948 bis 1953 im Schloss Wilhelminenberg untergebracht war, die Schilderungen seiner beiden Mandantinnen "voll bestätigt" und darüber hinaus von Todesfällen berichtet haben. "Kinder sind zu Tode gekommen. Das Opfer hat das sehr authentisch geschildert. Details kann ich dazu heute nicht preisgeben, weil sie noch Gegenstand von Untersuchungen sind", sagte der Anwalt. 

Frau spricht von "Gruppe von Todesfällen"

In einem Fall soll die mittlerweile über 70 Jahre alte Frau unmittelbare Zeugin eines Vorfalls gewesen sein und sowohl den Namen des Opfers als auch den Namen des Täters bekanntgegeben haben, präzisierte Öhlböck auf Nachfrage. Der Tod des betreffenden Kindes sei "unmittelbare Folge einer Misshandlung" gewesen. In einem weiteren Fall habe die Frau von einer "Gruppe von Todesfällen" berichtet, diese aber nicht mit eigenen Augen wahrgenommen.

Die Frau soll auch selbst Opfer von Gewalt geworden und mittlerweile von der Gemeinde Wien mit 35.000 Euro entschädigt worden sein. Denselben Betrag bekam eine der beiden Schwestern zugestanden, die vor wenigen Tagen mit Berichten über Serienvergewaltigungen und Kinderprostitution in dem Erziehungsheim in den 70er Jahren an Öffentlichkeit gegangen waren. Demgegenüber ging die zweite Schwester bisher leer aus, berichtete ihr Anwalt Öhlböck (Details siehe weiter unten).

Verfahren um Todesfall 2010 eingestellt

Die Stadt Wien hat am Dienstag mitgeteilt, dass eine Anzeige zu einem möglichen Todesfall im ehemaligen Kinderheim am Wilhelminenberg vorliegt. Das Verfahren sei jedoch von der Staatsanwaltschaft bereits 2010 eingestellt worden, hieß es. Laut Rathaus hat sich im Vorjahr eine Frau an die Stadt gewandt, die davon berichtete, dass in den 1950er Jahren ein Kind zu Tode gekommen ist.

Man habe den Bericht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, wo das Verfahren Anfang September 2010 eingestellt worden sei, hieß es im Büro des zuständigen Stadtrats Christian Oxonitsch. Ob es sich bei dem Fall um jenen handelt, den der Anwalt zweier ehemaliger Missbrauchs-Opfer am Dienstag erwähnt hat, ist offen - da der Jurist mit Verweis auf die laufenden Untersuchungen keine näheren Details nannte. Laut Stadt verdichten sich jedoch die Anzeichen dafür. Einzelheiten, worum es bei dem angezeigten Fall geht, wollte man jedoch auch im Rathaus vorerst nicht bekanntgeben.

Bericht über Todesfälle

Auf kurier.at wiederum beruft man sich auf eine heute 69-jährige Frau, die als damaliger Zögling die Misshandlung mit Todesfolge mit eigenen Augen wahrgenommen habe. "Mein Gott, wenn jemand atmet.. dann sieht man ja, wie sich der Brustkorb bewegt... da war nix", wird die Zeugin zitiert. Die Lehrerin soll jemanden gerufen haben, um die Wiener Rettung zu verständigen. Diese soll das Mädchen dann im Klassenzimmer zugedeckt und abtransportiert haben.

Was die angeblichen Serienvergewaltigungen in dem 1977 aufgelassenen Heim betrifft, belastet die 69-Jährige auch angeblich dort tätige männliche Erzieher. Diese wären nachts in die Schlafsäle eingedrungen und hätten die Mädchen vergewaltigt, so der "Kurier".

Stadt Wien spielt "ambivalente Rolle"

Die Stadt Wien spiele eine "ambivalente Rolle", kritisierte Opferanwalt Öhlböck. Einerseits lobte er deren Bereitschaft, Schadenersatz auch bei an sich verjährten Fällen zu leisten. Die Aufarbeitung von Misshandlungs- und Missbrauchsvorwürfen sei aber "nicht positiv". Der Anwalt zog in diesem Zusammenhang die Tätigkeit der im Vorjahr eingerichteten Historikerkommission zur Klärung von Gewalt in städtischen Kinderheimen in Zweifel: "Was diese Kommission getan hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, besonders tief kann diese Kommission nicht gegraben haben." Ansonsten hätte man früher von den Vorkommnissen im Schloss Wilhelminenberg erfahren.

Öhlböck forderte daher, die nun vom Wiener Jugendamt angekündigte externe Kommission "Schloss Wilhelminenberg" müsse eine neue Qualität aufweisen. Diese sei mit Proponenten aller im Wiener Landtag und im Nationalrat vertretenen Parteien und unabhängigen Experten zu besetzen. An der Spitze dürfe nicht ein von der Stadt Wien ausgesuchter pensionierter Richter oder Staatsanwalt stehen, sondern ein von allen vertretenen Parteien nominierter Vorsitzender.

Stadt Wien spricht von Zahlungen an Schwestern

Die Stadt Wien wehrt sich gegen den Vorwurf, nicht rechtzeitig aktiv geworden zu sein. Die zuständige Magistratsabteilung 11 (Jugend und Familie, Anm.) gab in einer Aussendung zudem bekannt: Eine der betroffenen Frauen habe sich bereits am 6. Dezember 2010 an die Opferschutzorganisation Weißer Ring gewandt.

Anschließend habe die zweite Betroffene den Kontakt gesucht. Die Fälle wurden in der Sitzung des Gremiums am 28. Juni 2011 behandelt - eine Entschädigung für beide wurde demnach beschlossen. Beide haben laut Stadt Wien jeweils 35.000 Euro erhalten.

Damit konfrontiert, versicherte Johannes Öhlböck am Dienstagnachmittag, die zweite Schwester habe "nichts gekriegt. Das ist ein Skandal". Er müsse sich auf das verlassen, was ihm seine Mandantinnen erzählen: "Natürlich überprüfe ich das Konto meiner Mandantinnen nicht. Aber glauben Sie mir, wenn sie 35.000 Euro bekommen hätte, wäre ihr das aufgefallen. Sie hätte das Geld bitter nötig. Sie geht keiner Beschäftigung nach."

Weißer Ring hatte kein Budget

Der "Weiße Ring" hat die Verwirrung rund um den Erhalt der Entschädigungszahlungen an die beiden Schwestern daraufhin aufgeklärt: Eine der beiden habe ihr Geld bereits bekommen, die Zahlung an die andere sei "im Laufen", erklärte Geschäftsführerin Marianne Gammer am Dienstag. Der Grund für die zeitlichen Abstände der Auszahlungen: Man habe warten müssen, bis das Budget aufgestockt werde, erklärte Gammer. Im September wurden für 2011 Mittel in der Höhe von 3,8 Mio. Euro beschlossen. Im Vorjahr waren von der Stadt 2 Mio. Euro bereitgestellt worden.

Die Geschäftsführerin versicherte außerdem, dass für beide Frauen in der Gremiumssitzung am 28. Juni 2011 eine Entschädigung beschlossen worden sei. "Wir machen in einzelnen Fällen, wenn dringende Gründe dafür vorliegen, raschere Auszahlungen", erklärte die Geschäftsführerin die Vorgehensweise. Dafür sei eine konkrete Anfrage notwendig. Jenes mutmaßliches Opfer, das noch kein Geld bekommen habe, habe im Gegensatz zur Schwester keine solche Anfrage gestellt. "Wir haben eine der beiden vorgezogen", so Gammer.

Öhlböck kritisiert Weißen Ring

Opferanwalt Öhlböck erhob aber auch schwere Vorwürfe gegen den Weißen Ring, der die beiden Schwestern "nicht reden" habe lassen: "Die haben ihnen gesagt, wir wollen keine Beweise, wir wollen keine Fotos. Der Weiße Ring ist nicht in die Tiefe gegangen. Er hat ihnen nicht zugehört."

Der Darstellung der Stadt Wien zufolge langte ein erstes Schreiben des Anwaltes mit den betreffenden Vorwürfen am 21. Juli 2011 ein, also nach dem Entschädigungs-Beschluss. Daraufhin kam es zur Abklärung, ob die Opfer beim Weißen Ring in Betreuung seien, wurde im Rathaus betont. Vom Weißen Ring sei das bestätigt worden. Der Anwalt sei daraufhin an diesen verwiesen worden.

Am 13. September 2011 langte in der MA 11 ein zweites Schreiben des Anwaltes ein, in dem die Vorwürfe näher ausgeführt und die Erzieherinnen mit vollständigem Namen genannt wurden. Daraufhin wurde laut Stadt mit Zeitzeugen gesprochen. Am 28. September 2011 seien die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelt worden, hieß es in der Aussendung.

Anwalt geht von "vierstelliger Dunkelziffer" aus

Öhlböck verlangte eine "schonungslose Aufklärung der Sache". Er zeigte sich überzeugt, dass in den Wiener Erziehungsheimen im Lauf der Jahrzehnte hunderte, wenn nicht tausende Zöglinge misshandelt und missbraucht wurden: "Ich gehe von einer vierstelligen Dunkelziffer aus." Das, was die Opfer berichten, sei "unglaublich glaubwürdig und absolut authentisch. Eine Geschichte dieser Art kann man nicht erfinden. Das ist unmöglich."

Dass zuletzt ehemalige Erzieherinnen die Schilderungen der im Schloss Wilhelminenberg untergebracht gewesenen Schwestern in Zweifel zogen, echauffierte sich Öhlböck. Die Behauptung der Erzieherinnen, es habe dort keine männlichen Aufsichtspersonen gegeben, sei "schlicht und ergreifend falsch". (APA)