Stefan Ederer: "Ich denke, die Slowakei spielt auf Zeit. Stimmen sie heute nicht zu, bedeutet das nicht das Ende des Rettungsschirms."

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Die Bronze-Statue "Der Beobachter" in der Altstadt von Bratislava versinnbildlicht die derzeitige Situation in der Slowakei.

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Mitten in der sich ausweitenden Schuldenkrise schaut Europa gespannt auf die Slowakei. Nach Malta stimmt das Parlament in Bratislava heute über die Erweiterung des Rettungsschirms EFSF ab. Die Slowakei zählt 5,4 Millionen Einwohner, Malta 418.000 - ein Bruchteil der Gesamt-Bevölkerung der Eurozone mit 332 Millionen Menschen. Die beiden Länder würden gemeinsam für 8,4 Milliarden Euro des Rettungsschirms von dann 440 Milliarden Euro garantieren. Trotzdem zeichnet sich ein "Nein" aus der Slowakei und möglicherweise ein vorzeitiges Ende der Regierung ab.

Wifo-Experte Stefan Ederer erklärt im derStandard.at-Interview, warum ein erweiterter Euro-Rettungsschirm unumgänglich ist, die Slowakei auf Zeit spielt und warum er dennoch optimistisch ist, dass das Land letztendlich der finanziellen Aufstockung zustimmen wird.

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derStandard.at: Das Parlament in Bratislava stimmt als letztes Euro-Land über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms ab. Es droht ein "Nein" und ein vorzeitiges Ende der Regierung.

Stefan Ederer: Beginnen wir mit der positiven Variante: Es wäre dringend notwendig, dass die Slowaken zustimmen. Immerhin zieht sich die Diskussion bereits über zwei, drei Monate, seit die europäischen Eliten beschlossen haben, die Aufgabenänderung dieses Rettungsschirms durchzuführen. Jetzt müsste diese endlich durchgesetzt werden. Momentan ist die Europäische Zentralbank die einzige, die zur Stützung des Euro und der Währungsunion beitragen kann. Das tut sie auch brav, aber es wäre hoch an der Zeit, den Rettungsschirm insofern auszuweiten, dass sich einerseits das Banken- und Finanzsystem stabilisieren kann, andererseits man schon vorbeugend in Italien und Spanien Staatsanleihen kaufen kann, um eine Entstehung der Krise nach dem Muster von Portugal und Griechenland zu verhindern.

derStandard.at: Die Erweiterung des EFSF ist heftig umstritten.

Ederer: Die Maßnahmen, die im Juli getroffen worden sind, gehen zwar in die richtige Richtung, sind aber nicht ausreichend. Umso wichtiger wäre es, den Rettungsschirm insofern auszuweiten, dass er überhaupt eine vernünftige Rolle in der Lösung der Eurokrise spielen kann.

derStandard.at: Malta hat dem EFSF gestern zugestimmt. Gemeinsam mit der Slowakei würden die beiden Länder lediglich für 8,4 Milliarden Euro des erweiterten Rettungsschirms von 440 Milliarden Euro garantieren.

Ederer: Dass so ein kleines Land das Zünglein auf der Waage ist, ist natürlich problematisch, liegt aber an der Struktur der EU und des Rettungsschirms. Letzterer muss eben von allen Euro-Mitgliedsländern getragen werden, daher kann auch jedes noch so kleine Land drohen, diesen zu blockieren.

derStandard.at: Die zweitstärkste Regierungspartei, SaS, von Parlamentspräsident Richard Sulik droht, die EFSF-Erweiterung nicht zu unterstützen, falls die Koalitionspartner ihre Bedingungen nicht akzeptieren.

Ederer: Wenn man die politische Diskussion in der Slowakei verfolgt, lässt sich deutlich erkennen, dass es dort weniger um die Lösung des Problems an sich geht, sondern darum, politisches Kapital aus der Abstimmung zu schlagen. Die Slowakei schließt schon jetzt eine Teilnahme am Stabilisierungsmechanismus ESM aus, der dem EFSF 2013 nachfolgen soll.

derStandard.at: Was geschieht bei einem "Nein" der Slowakei?

Ederer: Ich denke, die Slowakei spielt auf Zeit. Stimmen sie heute nicht zu, bedeutet das nicht das Ende des Rettungsschirms. Ich denke, es würde Nachverhandlungen und in der Folge doch noch eine Zustimmung geben. Sollte ich mich irren und die EFSF-Erweiterung tatsächlich abgelehnt werden, könnte der geplante Rettungsschirm nicht die Feuerwehr in der Eurozone spielen.

derStandard.at: Konkret heißt das?

Ederer: Dann werden nur Ländern, wenn sie in eine Krise geraten - wie Irland, Portugal oder Griechenland - Kredite gegeben. Mit der Betonung darauf, dass das nur geschieht, wenn die Krise auf ein Land schon übergegriffen hat. Zu einem Zeitpunkt also, wo die Krise nicht mehr zu stoppen ist. Wie man gesehen hat, haben vergangene Unterstützungen den notleidenden Ländern zwar unmittelbar geholfen, dass Finanzierungen ermöglicht werden, die Zinsen aber gleichzeitig keineswegs sinken. Zusätzlich schwächen strikte Sparprogramme die Wirtschaft. Natürlich wurde die Krise dadurch in diesen Staaten etwas stabilisiert. Aus meiner Sicht werden diese aber für die Zukunft nicht mehr ausreichen, vor allem, wenn die Anleger aktuell gegenüber Italien, aber auch Frankreich und anderen großen Ländern misstrauisch werden. Dann ist auch der Rettungsschirm viel zu klein, vorbeugend in irgendeiner Weise einzugreifen. Für die Bankenkrise, die gerade im Entstehen ist, kann er schon überhaupt nichts beitragen.

derStandard.at: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Frankreich als nächstes herabgestuft wird?

Ederer: Ich sehe das im gesamteuropäischen Zusammenhang: Begonnen hat es mit Griechenland, dann Portugal und Irland. Nach und nach trifft es die schwächeren Länder, aber im Grunde genommen ist kein Land davor gefeit. Wenn die Krise eskaliert - und das geschieht momentan - liegt es nahe, dass Ratingagenturen auch andere Länder herunterstufen, dadurch aber auch die Krise weiter anfachen. Das ist ein sich selbst steigernder Prozess. Meiner Meinung nach hilft hier nur eine gesamteuropäische Lösung, sprich, dass alle Euro-Länder Anstrengungen unternehmen, die Krise aus der Welt zu schaffen - das geht nur mit einem erweiterten großen Rettungsschirm oder durch Euro-Bonds.

derStandard.at: Ein Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone wäre also keine Lösung?

Ederer: Rechtlich wäre das gar nicht möglich. Selbst, wenn die Griechen einen Austritt freiwillig beschließen würden, wäre es technisch sehr schwer umsetzbar. Zudem wäre ein solcher Austritt für Griechenland selbst und den Rest der Eurozone eine wirtschaftliches Desaster. Man könnte über einen Schuldenschnitt für Griechenland nachdenken, aber nur, wenn man gleichzeitig die Vorkehrungen schafft, dass das Finanz- und Bankensystem stabil bleibt und andere Länder in die Vertrauenskrise schlittern. Ein Grund mehr, der für einen großen Rettungsschirm spricht, der prophylaktisch eingreifen kann. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 11.10.2011)