Sandra Reichl bloggt für derStandard.at/Etat aus Stockholm. Sie studiert derzeit auf Hyper Island.

Foto: Sandra Reichl

Auf Hyper Island soll man "multiskilled" und "multitaskingfähig" sein.

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Alles begann mit der Hyper Island Way Week.
Eine Woche, um 66 Menschen kennen zu lernen, das Manifest und die Methodik von Hyper Island zu verinnerlichen und um zu lernen, wie man lernt. Die Agenda: Selbst-Reflexion und Gruppen-Reflexion, Feedback geben und annehmen und alles zum Thema Gruppendynamik. Ein Mix aus Vorträgen und Übungen, bei denen wir von einem Psychoanalytiker und mehreren Coaches begleitet wurden.

Hört sich an wie eine Gruppentherapie für 67 Studenten? Genau so fühlte es sich die meiste Zeit an!

Dennoch habe ich noch nie in nur einer Woche so viele verschieden Menschen wirklich kennen und schätzen gelernt. All jene Tools, die wir in die Hände bekamen, bilden nun eine fantastische Grundlage für das Zusammenarbeiten in den nächsten Monaten und weit über die Zeit auf Hyper Island hinaus.

Idea Week

Als nächstes kam die Idea Week, in der wir mit unserem ersten richtigen Kunden arbeiteten. In Teams zu je sechs Kreativen sollten wir das Gelernte der ersten Woche in die Realität umsetzen. Und nicht nur Interactive-Art-Direction-Studenten arbeiteten an diesem Projekt, sondern alle Studiengänge: Digital Media, E-Commerce, Motion Graphics und Interacitve Art Direction. Der Kunde: H&M. Das Zeitfenster: eine Woche.

Prozess wichtiger als Endprodukt

Was zuerst nicht machbar schien, entpuppte sich als eine der besten Präsentationen an der ich je gearbeitet habe. Warum? Weil der Prozess wichtiger war als das Endprodukt. Dadurch wurde das Endprodukt außergewöhnlich! Hört sich an wie eine buddhistische Weisheit? Ist es auch. Und es ist Teil der Hyper Island Methodik! Man glaubt kaum, wie weit man mit Zuhören und "richtigem" Feedback kommen kann. Etwas so simples, das ich in Österreich oft vermisse.

Inside Story: Der erste richtige Kunde.

Vision Week

Danach kam die Vision Week, in der wir Studenten etwas entspannen konnten und die verschiedensten Vortragenden eingeladen wurden, über die Zukunft zu sprechen. Eröffnet wurde von Fredrik Härén (interesting.org) - dem Mario Pricken Schwedens - der mit seinem "The Idea Book" und
seiner Insel für Kreative auf den Philippinen (ideasisland.com) beeindruckte. David Erixon, einer der drei Gründer von Hyper Island, der nun Global Director für Brand Strategy sowie Head of Global Advertising Vodafone ist, sprach über die Zukunft von Marketing. Daniel Siders, ein ehemaliger Hacker aus den USA, der nahezu 80 Stunden pro Woche auf Twitter verbringt, sprach über die Zukunft von Technologie (daniel.side.rs) und den Schluss machte Alan Moore, der als einziger Soziologe eine fantastische End-Präsentation hielt.

Heulen musste ich kein einziges Mal, aber ...

Drei anstrengende Wochen, die mein Hirn und Herz bis aufs Letzte forderten. Heulen musste ich kein einziges Mal, aber knapp davor war ich mehr als nur einmal. Ich bin glücklich, diesen Schritt getan zu haben und entdecke jeden Tag neue Seiten an mir, meinen Kollegen und unserer sogenannten
"Kreativ-Branche".

"Multiskilled" und "Multitaskingfähig"

Was auffällt ist, dass hier kein Mensch von den klassischen "Agentur-Rollen" spricht. Vielmehr überwiegt der Gedanke, dass Agenturen der Zukunft aus Kreativen der verschiedensten Bereiche, mit den verschiedensten Hintergründen und Ausbildungen bestehen. Alle müssen "multiskilled" und "multitaskingfähig" sein, da die Grenzen der klassischen Agentur-Hierarchien und Rollen verschwimmen und am Ende die beste Idee gewinnt. Wenn ich also hier von der Besonderheit gantnerundenzis spreche, ernte ich meist verständnislose Blicke, da das Konzept der kontakterlosen Agentur für die meisten schon lange nichts Neues mehr ist.

Schwedischer Rhythmus

Zum Schluss: Ich bin zum zweiten Mal umgezogen und habe das Gefühl, dass ich endlich ein gutes zu Hause gefunden habe. Gemeinsam mit einer Englisch-Lehrerin für Kindergartenkinder wohne ich in einer riesigen Wohnung im Zentrum Stockholms. Ganz angefreundet habe ich mich noch nicht mit den Preisen Schwedens, aber ich habe mich an den allgemeinen Rhythmus gewöhnt, der bestimmt wird von
1. den Öffnungszeiten des "Systembolagets" (nur hier kann man Alkohol über 3,5 Prozent kaufen) und
2. den "Laundry-Zeiten". Da kein Schwede eine Waschmaschine besitzt, hat jedes Haus eine Waschküche, die man Wochen im Voraus buchen muss, damit alles seine Ordnung behält und kein Schwede zu kurz kommt oder gar ungerecht behandelt wird.

Med vänliga hälsningar, Sandra Reichl