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OECD-Chefanalyst Schleicher über Österreichs Hochschulpolitik: "Wichtige Reformen wurden in den letzten Jahren auf den Weg gebracht, aber es wird lange Zeit und große Anstrengungen brauchen, hier verlorenen Boden wieder gutzumachen."

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STANDARD: In der neuen OECD-Studie "Education at a Glance" ist zu lesen: "Wenn sich die aktuellen Abschlussquoten der 25- bis 34-Jährigen weiter fortsetzen, werden Brasilien, Deutschland und Österreich noch weiter hinter andere OECD-Länder zurückfallen." Was raten Sie diesen Ländern?

Schleicher: Klar ist, dass die Nachfrage nach Spitzenqualifikationen in den Industrienationen weiter deutlich zunehmen wird, das erklärt auch, warum Personen mit einem Universitätsabschluss in Österreich mehr als die Hälfte mehr verdienen als Personen mit beruflicher Ausbildung. Wichtig ist aber auch, dass der Steuerzahler von besserer Bildung seiner Bürger enorm profitiert, eben weil diese höhere Steuern zahlen und weniger Sozialleistungen kassieren. Für Österreich sammelt der Staat pro Universitätsabsolventen rund 66.200 Euro mehr ein, als er für dessen Bildung ausgibt. Die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme zu verbessern bleibt also weiterhin eine wichtige und anspruchsvolle Aufgabe nicht nur, aber auch für Österreich.

STANDARD: Was heißt verbesserte Leistungsfähigkeit?

Schleicher: Bürger und Arbeitgeber erwarten heute von Bildungssystemen zu Recht, dass sich Bildungs- und Ausbildungsanbieter effizient an die sich verändernde Nachfrage anpassen, sowohl quantitativ wie auch qualitativ. Sie erwarten qualitativ hochwertige und effiziente Bildungsangebote, damit die richtigen Kompetenzen zur rechten Zeit, am rechten Ort auf die effektivste Art und Weise erworben werden. Sie erwarten die notwendige Flexibilität, damit die Menschen das lernen können, was sie möchten, wann sie möchten und wie sie es möchten. Sie erwarten den Abbau von Zugangsbeschränkungen - Studiengebühren sind keine - sowie den Ausbau von vielfältigen Einstiegs- und Wiedereinstiegsmöglichkeiten in das Bildungssystem. Sie erwarten schließlich die Entwicklung effizienter und nachhaltiger Finanzierungsansätze, bei denen nicht Ideologie oder Tradition bestimmt, wer für was, wann wo und wie viel bezahlt, sondern ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Bildungsinvestitionen und ihren Erträgen. In all diesen Bereichen kann sich Österreich verbessern.

STANDARD: Österreich wird im "schlimmsten" Sektor der Analyse geführt, jenem mit "historisch niedrigem Bildungsstand", was die Akademikerzahl anlangt. Mit nur 21 Prozent liegen wir noch immer weit unter dem OECD-Schnitt (39 Prozent). Was läuft da falsch?

Schleicher: Das stimmt zwar, aber man darf nicht übersehen, dass in Österreich in den vergangenen Jahren viel passiert ist. Seit dem Jahr 2000 hat sich Absolventenquote ja verdoppelt. Wichtige Reformen wurden in den letzten Jahren auf den Weg gebracht, aber es wird lange Zeit und große Anstrengungen brauchen, hier verlorenen Boden wieder gutzumachen.

STANDARD: Muss man unbedingt möglichst viele Akademiker haben, oder könnten besonders viele Abschlüsse im Sekundarbereich II, wo Österreich besonders hohe Werte hat, auch "genug" sein für ein Land?

Schleicher: Ja, eine gute Ausbildung im Sekundarbereich II ist eine große Stärke des österreichischen Bildungssystems. Aber die Tatsache, dass sie im Arbeitsmarkt nur mit einem Einkommensvorteil von 33 Prozent vergütet wird, während eine Universitätsausbildung mit plus 69 Prozent zu Buche schlägt, zeigt, dass wenn Österreich global wettbewerbsfähig bleiben will, Qualifikationen im Sekundarbereich allein nicht ausreichen. Noch deutlicher wird das, wenn man die Beschäftigungsquoten anschaut.

STANDARD: In Österreich lag - wie z. B. auch in Deutschland - der Anstieg der Ausgaben für Bildungseinrichtungen tendenziell unter dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Falsches Feld zum Sparen?

Schleicher: Sparen ist und bleibt ein wichtiges politisches Ziel, aber Staaten machen einen großen Fehler, wenn sie Investitionen in die Zukunft gegen heutigen Konsum eintauschen.

STANDARD: Macht Bildung denn glücklich?

Schleicher: Geld ist sicher nicht alles, was zählt, und die OECD hat in dieser Ausgabe von "Bildung auf einen Blick" daher auch zum ersten Mal soziale Erträge wie z. B. Zufriedenheit bewertet. Die Ergebnisse zeigen einen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen besserer Bildung, mehr Lebenszufriedenheit, aber auch eine höhere Bereitschaft, sich für die Gesellschaft zu engagieren auf. Wundern sollte einen das eigentlich nicht. (Lisa Nimmervoll, STANDARD-Printausgabe, 14.9.2011)