Gerhard Dannemann ist der Direktor des "Centre for British Studies" in Berlin.

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Premier David Cameron im Parlament.

Foto: REUTERS/Parbul TV via Reuters TV

derStandard.at: Könnte der Abhörskandal Cameron tatsächlich die politische Existenz kosten?

Dannemann: Nicht zum jetzigen Stand, aber es sieht nicht gut aus für Cameron. Er ist einfach zu dicht dran gewesen an "News of the World" und wir wissen ja noch nicht alles. In den letzten Tagen haben die Briten Dinge erfahren, die vorher schwer vorstellbar waren. Zum Beispiel, dass Beamte von Scotland Yard angeblich geschmiert wurden, sich der zurückgetretene Polizeichef Paul Stephenson einen Kuraufenthalt bezahlen ließ. So könnte es sein, dass uns noch einige weitere Überraschungen bevorstehen. Das Gefährlichste für Cameron wäre es, wenn weitere Details bekannt werden, die ihn persönlich mit hineinziehen. Ein akute Rücktrittsnotwendigkeit sehe ich jetzt allerdings nicht.

derStandard.at: Eine zu enge Verflechtung mit der Presse betrifft ja nicht nur einen Premier Cameron.

Dannemann: Tony Blair war genauso dicht dran, die Verbindungen waren hier genauso eng. Er hat zwar seinen Pressesprecher Alastair Campbell nicht von der Murdoch-Presse übernommen, aber vom Daily Mirror. Die enge Verbindung zwischen den Medienwelten und der Politik ist ja nichts Neues.

derStandard.at: Wie stark ist der Einfluss Murdochs auf die wichtigsten Akteure der britischen Politik?

Dannemann: Diese Verflechtungen haben eine lange Geschichte. Schon am Anfang des vergangenen Jahrhunderts sprach man von den Pressebaronen der Fleet Street. Tony Blair hat diesen Verbindungen zu seiner Zeit allerdings mehr Priorität eingeräumt. Damit ist ein Teil seines Wahlerfolges 1997 zu erklären. Rupert Murdochs Einfluss ist umfangreich und nicht mit - zum Beispiel - der Kronenzeitung zu vergleichen. Hinter Murdoch steht ein wahres Medienimperium. Er besitzt ja nicht nur die "Sun" oder "News of the World" sondern auch noch die "Times" und zahlreiche Fernsehsender. Als Politiker darf man es sich mit so jemandem auf keinen Fall verscherzen. Und es gab auch keinen "zweiten Murdoch", gegen den man ihn ausspielen konnte.

derStandard.at: Wie nutzt die Opposition den Skandal?

Dannemann: Ed Miliband und die Labour-Partei verkaufen sich bisher recht gut. Obwohl Miliband ja selbst "Minister of the Cabinet Office" war, als er bei Brown eingestiegen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Jahr lang in dieser maßgeblichen Position nichts mit News International zu tun gehabt hat. Aber bisher ist darüber nichts in die Öffentlichkeit gedrungen. Noch besser machen sich die Liberaldemokraten. Es kam ja ans Tageslicht, dass der zuständige Minister, der Liberaldemokrat Vince Cable, gegen eine weitere Ausweitung der Aktivitäten von News International im Fernsehbereich war. Er wurde anscheinend von David Cameron zurückgepfiffen. Wenn das weiter thematisiert wird, könnten sich die Liberaldemokraten damit profilieren. 

derStandard.at: Welche Auswirkungen wird der Skandal auf das Verhältnis zwischen Politik und Medien haben?

Dannemann: Der "NoW"-Skandal kam ja dicht hinter dem Parlamentarierskandal, in dem die Bevölkerung feststellen musste, was sich einige Parlamentarier alles auf Steuerkosten finanzieren lassen. Das Vertrauen war damit weg. Jetzt beschädigt der Skandal ein weiteres Mal das Image der Politiker und außerdem der Presse und der Polizei. Dass man die Telefone von Milly Dowler, einem entführten und ermordeten 13-jährigen Mädchen und von Angehörigen von in Afghanistan gefallenen Soldaten gehackt hat, ließ eine gewisse Belustigung über das eine oder andere von der Regenbogenpresse abgehörte Telefonat von Prinz Charles einer kollektiven Empörung weichen. Was die Polizei betrifft: Die Metropolitan Police hatte eigentlich in Großbritannien einen sehr guten Ruf. Wenn sich aber herausstellt, dass ein Viertel der Presseabteilung von Scotland Yard für "News of the World" gearbeitet hat, und möglicherweise Polizisten bestochen hat, ist das Vertrauen in diese Institution weg. Ein Kommentator hat gesagt: "Jetzt bleibt nur mehr die Queen übrig".

derStandard.at: Inwiefern wirken sich die Rücktritte von Polizeichef Stephenson und seines Stellvertreters John Yates auf die Sicherheitssituation in Großbritannien aus, auch hinsichtlich der Vorbereitung der Olympischen Spiele?

Dannemann: Es war so, dass die beiden in der letzten Zeit mehr mit dem Skandal zu tun hatten, als mit ihrer Arbeit der Verbrechensprävention. Gerade bei Yates, der zuständig für Sicherheit und Terrorismusprävention war, hat sich das sicher negativ ausgewirkt. Ich denke, dass durch die Rücktritte kein großes Vakuum entstehen wird. Der Polizeiapparat wird außerdem nicht plötzlich funktionsunfähig, nur weil die Führungspersonen weg sind. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 20.7.2011)